Immer mehr Menschen werden hundert Jahre alt und älter – und Wissenschaftler fragen sich: Gibt es ein natürliches Höchstalter des Menschen? Womöglich nicht, legt eine Studie nun nahe. Denn sie zeigt: Ab einem Alter von 105 Jahren nimmt das Sterberisiko offenbar nicht mehr weiter zu. Wer einmal diese Marke erreicht hat, kann demnach ebenso gut auch 110 werden.
Noch im Jahr 1928 postulierte der amerikanische Statistiker Louis Dublin eine maximale menschliche Lebenserwartung von 65 Jahren. Diese Schwelle hat die Menschheit in vielen Ländern längst überschritten. Seit dem 20. Jahrhundert steigt unsere durchschnittliche Lebenserwartung kontinuierlich – und die Ältesten unter uns brechen immer wieder Rekorde: Die Bestleistung in Sachen Lebensdauer liegt derzeit bei stolzen 122 Jahren. Fortschritte in der Medizin und anderen Bereichen, aber auch eine bessere Ernährung und gesündere Lebensumstände ermöglichen es heute immer mehr Menschen, extrem alt zu werden. Doch wie weit lässt sich dieser Prozess noch auf die Spitze treiben?
Wissenschaftler diskutieren schon länger darüber, ob es ein natürliches Höchstalter des Menschen gibt – und wo genau diese Grenze liegt. Während einige von ihnen dabei das maximale Limit als längst erreicht ansehen, glauben andere dagegen nicht an eine feste Obergrenze. Elisabetta Barbi von der Universität La Sapienza in Rom und ihre Kollegen liefern nun neue Fakten für diese kontroverse Debatte. Sie haben Daten von 3836 Italienern ausgewertet, die zwischen 2009 und 2015 ihren 105. Geburtstag gefeiert hatten oder sogar noch älter geworden waren. Konkret schauten sie sich an, wer von diesen Probanden im Laufe des Studienzeitraums verstarb und berechneten Sterblichkeitsraten für einzelne Altersgruppen.
Plateau ab 105
Typischerweise steigt das Sterberisiko mit zunehmendem Alter exponentiell an. Doch wie sich zeigte, gilt dieser Zusammenhang für über 105-Jährige offenbar nicht mehr. Sie hatten den Auswertungen zufolge eine Chance von 50 zu 50, in einem betrachteten Jahr zu sterben und eine durchschnittliche weitere Lebenserwartung von rund 1,5 Jahren – und zwar egal, ob sie 106, 109 oder 110 Jahre alt waren. Betrachteten die Forscher nur Personen, die im selben Jahr geboren worden waren, offenbarte sich sogar: Die Sterblichkeit erreichte ab 105 nicht nur ein Plateau, sie sank von dort an mit zunehmendem Alter minimal.
“Unsere Daten zeigen uns, dass ein festes Limit für die menschliche Lebensdauer noch nicht in Sicht ist”, sagt Seniorautor Kenneth Wachter von der University of California in Berkeley. “Wir sehen nicht nur, dass die Sterblichkeitsraten im Alter aufhören, schlimmer zu werden – wir sehen sogar, dass sie etwas besser werden.” Ähnliche Muster lassen sich den Wissenschaftlern zufolge auch bei anderen Arten finden, zum Beispiel bei Fliegen und Würmern. Doch warum ist das so? Warum bleibt die Wahrscheinlichkeit zu sterben ab einem bestimmten erreichten Alter annähernd gleich?
Produkte der Evolution
Für die Biologen scheint klar: Erreichen Menschen ihre 80er und 90er, wird der Körper zerbrechlicher und das Risiko für Erkrankungen wie Demenz, Schlaganfall und Krebs steigt. Aus diesem Grund sterben die meisten von uns in diesem Alter. Wer überlebt, tut dies aufgrund der natürlichen Selektion: weil er besonders robust und genetisch gut aufgestellt ist. Nur die Menschen mit den besten biologischen Voraussetzungen erreichen demnach überhaupt die Über-Hundert-Marke – und mit diesen Voraussetzungen lässt es sich theoretisch so alt wie Methusalem werden. “Was haben wir mit Fliegen und Würmern gemein? Mindestens eins: Wir sind alle Produkte der Evolution”, schließt Wachter.
Quelle: Elisabetta Barbi (Universität La Sapienza, Rom) et al., Science, doi: 10.1126/science.aat3119