Normalerweise sorgen Stammzellen dafür, dass Schäden an unseren Muskeln durch nachreifende Zellen repariert werden können. Doch im Alter lässt diese Regeneration nach. Warum das so ist, haben nun Wissenschaftler herausgefunden. Demnach sammeln sich in den von Stammzellen besetzen Nischen des Muskelgewebes alte, nicht mehr funktionsfähige Zellen an. Diese seneszenten Zellen sind zwar stillgelegt und teilen sich nicht mehr, geben aber noch immer entzündungsfördernde Botenstoffe ab. Dies wiederum blockiert die Regeneration des Gewebes durch die Stammzellen, wie das Team feststellte. Diese Erkenntnisse erklären, warum im Alter die Muskeln schwinden, könnte aber auch Therapieansätze eröffnen.
Die ständige Reparatur von Zellen und Geweben ist für unseren Körper lebensnotwendig. Nur wenn durch Verletzungen, DNA-Defekte oder Alterung geschädigte Zellen immer wieder durch neue ersetzt werden, bleiben unsere Organe, Muskeln und Knochen funktionsfähig. Verantwortlich dafür sind kleine, überall in den Geweben verstreute Ansammlungen von Stammzellen, sogenannte Stammzellnischen. Wenn Botenstoffe und umgebende Zellen ihnen signalisieren, dass es Gewebeschäden gibt, werden diese Stammzellen aktiv, teilen sich und differenzieren sich zu den benötigten Zelltypen aus. Das ermöglicht es unserem Körper, Muskelschäden zu reparieren und defekte Zellen zu ersetzen. Damit dies allerdings funktioniert, müssen die Stammzellen “aufgeweckt” werden und die entsprechenden Signale erhalten. “Die Rekonstruktion beschädigter Gewebe erfordert eine präzise getaktete Interaktion verschiedener Zelltypen innerhalb der regenerativen Stammzellnische”, erklären Victoria Moiseeva von der Pompeu Fabra Universität in Barcelona und ihre Kollegen.
Vorzeitige Zellalterung im Muskel
An diesem Punkt setzt die Studie von Moiseeva und ihrem Team an. Denn die Forschenden wollten wissen, welche Rolle seneszente Zellen für die Geweberegeneration spielen. Diese Zellen haben das Ende ihrer Lebenszeit erreicht und werden daher von zelleigenen Programmen stillgelegt: Sie teilen sich nicht mehr, um eine altersbedingte Entartung zu verhindern, bleiben aber in einer Art Ruhezustand in den Geweben erhalten. “Über die Verbreitung dieser seneszenten Zellen und ihre Rolle bei der Geweberegeneration war bisher aber kaum etwas bekannt”, erklären die Wissenschaftler. Dies lag vor allem daran, dass es an eindeutigen Markern für Zellen im seneszenten Stadium fehlte, sie sehr unterschiedlich erschienen und schwer zu isolieren waren. Um Abhilfe zu schaffen, haben Moiseeva und ihre Kollegen zunächst einige möglicherweise typische Stoffwechselmoleküle seneszenter Zellen in Muskelgewebe identifiziert und deren Produktion bei lebenden Mäusen mit einem Fluoreszenzmarker sichtbar gemacht.
Dies ermöglichte es dem Team, die Verteilung seneszenter Zellen in den Muskeln von jungen und alten Tieren und in Tieren mit einer Muskelverletzung zu beobachten. Es zeigte sich: In den jungen, gesunden Muskeln waren kaum alte Zellen zu finden. Das änderte sich jedoch, wenn die Mäusemuskeln alterten oder verletzt wurden. Dann reicherten sich seneszente Zellen vor allem in den Stammzellnischen der Muskeln an – an den Orten, von denen eigentlich die Gewebereparatur ausgehen sollte. Nähere Analysen enthüllten, dass diese rapide Anreicherung dadurch ausgelöst wurde, dass viele ältere, aber noch funktionsfähige Zellen in diesen Nischen plötzlich in den seneszenten Zustand fielen. “Nach einer Verletzung werden einige Muskelzellen seneszent und erzeugen dadurch ein vorzeitig gealterte Mikroumgebung”, erklärt Co-Autor Antonio Del Sol von der Universität Luxemburg. Die betroffenen Zellen zeigen starken oxidativen Stress und vermehrte DNA-Schäden, die sie dann in den Alterungszustand treiben.
Seneszente Zellen hemmen die Geweberegeneration
Als nächstes untersuchten die Wissenschaftler, welche Prozesse hinter dieser Umwandlung stecken. Sie fanden heraus, dass die schon vorhandenen seneszenten Zellen im Muskel bei Verletzung und auch mit steigendem Alter des Muskels ihre Zellstoffwechsel verändern und bestimmte Gene hochregulieren. Dadurch geben sie nun vermehrt Botenstoffe ab, die Entzündungen und die Ansammlung von verhärteten Bindegewebszellen fördern. “Ihre Botenstoffe spiegeln damit die normalerweise mit dem Altern verknüpften Signale und erzeugen diese selbst bei jungen, verletzten Mäusen”, erklärt Del Sol. Im Prinzip kommt es dadurch zu einer vorzeitigen Alterung der Zellumgebung rund um die für die Gewebereparatur wichtigen Stammzellen. Mediziner sprechen bei der alterstypischen Kombination von Entzündung und Gewebevernarbung auch vom “Inflammaging”. Während junge Körper diese Effekte in Teilen beheben können, indem das Immunsystem die überschüssigen seneszenten Zellen beseitigt, ist dies im Alter nicht der Fall. “Das in seiner Funktion geschwächte Immunsystem in höherem Alter entfernt diese seneszenten Zellen nicht mehr und dadurch bleiben sie im geschädigten alten Muskel länger erhalten und reichern sich an”, erklären Moiseeva und ihre Kollegen.
Das hat Folgen: Wie die Wissenschaftler feststellten, hemmt die Präsenz dieser alten Zellen die Vermehrung und Differenzierung der Stammzellen im Muskel. Das wiederum führt dazu, dass Verletzungen und ähnliche Schäden nicht mehr oder nur noch langsam repariert werden können. “Die seneszenten Zellen in den Stammzellnischen unterdrücken demnach die Regeneration”, so die Forschenden. Dieser Effekt ließ sich auch beobachten, wenn seneszente Zellen in verletztes Muskelgewebe transplantiert wurden. Diese vorzeitige Alterung der Stammzellnischen könnte auch erklären, warum ältere Menschen häufig an schleichendem Muskelschwund leiden: Mikroschäden und abgestorbene Gewebebereiche werden bei ihnen nicht mehr oder nur langsam repariert, weil sie von Natur aus mehr alte, seneszente Zellen in ihren Geweben haben.
Die neuen Erkenntnisse eröffnen aber auch eine Chance, etwas gegen den altersbedingten Muskelschwund und andere Störungen der Muskelheilung zu tun. Denn als das Forschungsteam bei seinen Mäusen die seneszenten Zellen oder ihre Botenstoffe blockierte, verbesserte sich die Muskelregeneration sowohl bei den jungen wie den alten Mäusen. “Weil sich solche seneszenten Zellen auch in menschlichen Muskeln anreichern, eröffnet dies neue Wege, um die Muskelreparatur zu verbessern”, erklären Moiseeva und ihre Kollegen.
Quelle: Victoria Moiseeva (Universitat Pompeu Fabra, Barcelona) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-022-05535-x)