Als der Nobelpreis ins Leben gerufen wurde, sollten Forscher damit für ihre jüngsten Leistungen ausgezeichnet werden. Als Peyton Rous 1966 die Auszeichnung erhielt, lagen seinen Forschungen bereits länger als ein halbes Jahrhundert zurück. Schon 1911 hatte Rous in Experimenten an der Rockefeller University in New York nachgewiesen, dass es Viren gab, die in Hühnergewebe Tumore auslösen konnten. Als Rous zu diesem Ergebnis kam, hatte noch niemand je ein Virus zu Gesicht bekommen – die Elektronenmikroskopie wurde erst einige Jahrzehnte später entwickelt. Viren definierte man bis dahin als Gebilde, die selbst feinste Filter nicht aufhalten konnten.
Die Suche nach Krebs auslösenden Faktoren konzentrierte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf äußere Faktoren. Dazu zählte zum Beispiel Teer, Anilin oder Röntgenstrahlen, bald auch Tabakrauch. Zwar äußerte der deutsche Gelehrte Theodor Boveri um 1914 erstmals den Verdacht, dass Krebs eine Krankheit ist, die von Chromosomen ausgeht und folglich eine genetische Komponente aufweist. Doch die meisten Mediziner und Biologen schauten bei ihrer Suche nach den Krebsursachen nicht in das Innere einer Zelle, sondern auf äußerliche Einflüsse. Selbst Nobelpreisträger Rous meinte in seiner Dankesrede 1966 in Stockholm, dass seine Entdeckung von Viren in Tumorgewebe auf keinen Fall bedeuten würde, dass Gene das Krebswachstum in den Zellen auslösen.
Onkogenen und andere genetische Faktoren auf der Spur
So kann man sich irren. Denn die von Rous vehement abgelehnten Gene sind heutzutage alte Bekannte: Sie heißen Onkogene. Und ausgerechnet eine sorgfältige Analyse des RSV lieferte die entscheidenden Hinweise, mit denen Biomediziner der genetischen Grundlage von Krebs auf die Spur kamen. Die Onkogene entdeckten Forscher in den 1970er-Jahren. Zu einer Zeit, als mithilfe der Gentechnik – trotz heftiger Proteste von vielen gesellschaftlichen Seiten – ein höchst genauer Blick auf das genetische Material von Zellen gelingen konnte. Rous war zu jener Zeit bereits verstorben. Die Folgen dieser Entdeckung erlebte er nicht mehr: Die amerikanische Regierung unter Präsident Nixon stellte Riesensummen für die Krebsforschung zur Verfügung, meinte man doch, ein Art zweites Apollo-Projekt in die Wege leiten und statt auf dem Mond auf einer Krebszelle landen zu können.
Der Feind im Inneren
In den 1970er-Jahren war es zudem einigen Biologen gelungen, ein altes Dogma ihrer Wissenschaft abzuschütteln: Dass nur Informationen aus dem Erbmaterial DNA abgelesen werden. Dieses Brett vorm Kopf verhinderte, den Mechanismus des Rous-Sarkom-Virus zu erkennen. Sein Erbmaterial besteht nämlich nicht aus DNA, sondern aus RNA. Tatsächlich verfügen Zellen über Wege, aus einem Stück RNA ein Stück DNA zu machen, also den Informationsfluss umzukehren. Als dies klar wurde, verstanden Forscher, wie Viren vorgehen. Sie bugsieren ihr genetisches Material in eine Zelle, von wo dann der Krebs seinen Ausgang nimmt.
Eine merkwürdige Idee, dass der Feind bereits im Inneren sitzt. Doch das führte bald zu der Einsicht, dass eine Hauptaufgabe im Leben von Zellen darin besteht, diesen Feind zu bewachen und unter Kontrolle zu halten. Es gibt sogenannte “Guardians of the Genome”, Hüter des Erbguts, die für Ruhe in den Zellen sorgen. Diese wiederum warten nur darauf, sich zu teilen. Das dürfen sie aber erst, wenn sie gebraucht werden – wenn der Körper wächst oder eine Wunde heilen soll. Ansonsten werden die Gene einer Zelle in Schach gehalten. Eigentlich ein Wunder, dass es so vielen Menschen vergönnt ist, ihr Leben ohne Krebs zu verbringen. Denn der steckt in jeder Zelle und wartet.