Anzeige
1 Monat GRATIS testen. Danach zum Jubiläumspreis weiterlesen.
Startseite »

Neandertaler-Gen macht schmerzempfindlich

Geschichte|Archäologie Gesundheit|Medizin

Neandertaler-Gen macht schmerzempfindlich
Waren Neandertaler besonders schmerzempfindlich? (Bild: Science Photo Library / Daynes, Elisabeth)

Sie waren hart im Nehmen, könnte man meinen – doch die Neandertaler besaßen im Vergleich zum modernen Menschen eine niedrige Schmerzschwelle, geht aus einer Studie hervor: Ein Gen, das mit der Übertragung von Schmerzempfindungen im Nervensystem verknüpft ist, wies bei unseren archaischen Cousins „verstärkende“ Mutationen auf. Die Forscher konnten auch zeigen, dass heutige Menschen, die diese Genvariante von den Neandertalern geerbt haben, tatsächlich vergleichsweise schmerzempfindlich sind. Inwieweit die Neandertaler ebenso sensibel reagierten, bleibt allerdings fraglich. Denn das Schmerzempfinden wird auch im Gehirn verarbeitet, geben sie zu bedenken.

Es war ein Paukenschlag in der Geschichte der Anthropologie: Die Analyse fossiler DNA aus Überresten von Neandertalern zeigte, dass unser archaischer Cousin gar nicht wirklich ausgestorben ist – er lebt in uns weiter. Ein paar Prozent Neandertaler-Erbgut in vielen heutigen Menschen dokumentieren eine einstige Vermischung der beiden Menschenarten. Einige Studien sind bereits der Frage nachgegangen, welche Bedeutung das genetische Erbe des Neandertalers in heutigen Menschen hat. Demnach sind Neandertaler-Genvarianten beispielsweise mit heller Haut- und Haarfarbe verknüpft, beeinflussen den Stoffwechsel und können eine Rolle im Immunsystem spielen. Vom Neandertaler geerbte DNA-Abschnitte könnten sogar schwere Covid-19-Verläufe begünstigen, hat kürzlich eine Studie ergeben.

Ein spezielles „Schmerz-Protein“ im Visier

Wie die Forscher um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig berichten, haben sie nun eine weitere genetische Besonderheit des Neandertalers entdeckt, die offenbar noch heute das Erbgut einiger Menschen prägt: Sie stießen in den sequenzierten Genomen des Neandertalers auf drei Mutationen in einem Gen, das für das NaV1.7-Protein kodiert. Die Merkmale der Genvariation weisen dabei darauf hin, dass alle Neandertaler sie besaßen.

Wie die Forscher erklären, bildet das Protein einen sogenannten Ionenkanal aus, der in den Nerven kontrolliert, ob und in welchem Umfang schmerzhafte Signale an das Rückenmark und das Gehirn weitergeleitet werden. Die Bedeutung von NaV1.7 ist dabei erheblich: Es ist bekannt, dass bestimmte Mutationen des Gens und somit des gebildeten Proteins zu einer krankhaften Unempfindlichkeit führen – andere hingegen zu chronischen Schmerzen.

Anzeige

Um zu untersuchen, wie die Mutationen des Neandertaler-Gens die Nerven verändern, erzeugten die Forscher die spezielle Version von NaV1.7 in Zellkulturen. Die Untersuchungen des Proteins ergaben: „Die Neandertaler-Variante des Ionenkanals weist drei Aminosäure-Unterschiede zu der üblichen ‚modernen‘ Variante auf“, sagt der Erstautor der Studie, Hugo Zeberg vom Karolinska Institut in Stockholm. Neurophysiologische Untersuchungen auf molekularer Ebene zeigten dann, dass der Neandertaler-Ionenkanal vergleichsweise leicht aktiviert wird. Daraus geht hervor, dass die peripheren Nerven bei Neandertalern empfindlicher auf Schmerzreize reagierten als bei modernen Menschen, erklären die Wissenschaftler.

Waren Neandertaler besonders schmerzempfindlich?

Als Nächstes gingen sie der Frage nach, ob es bei heutigen Menschen, die das Neandertaler-Gen geerbt haben, Besonderheiten beim Schmerzempfinden gibt. Sie nutzten dazu die Daten einer umfangreichen Bevölkerungsstudie in Großbritannien, die neben genetischen Daten auch Informationen über Schmerzsymptome umfasst. Es zeigte sich, dass etwa 0,4 Prozent der rund 500.000 Briten eine Kopie der Neandertaler-Genvariante im Genom tragen. Der Vergleich mit den Informationen zu den Schmerzsymptomen ergab dann: Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Träger über Schmerzen berichteten, war um etwa sieben Prozent höher als bei Menschen ohne die genetische Besonderheit.

„Wie stark Menschen Schmerz empfinden, ist vor allem von ihrem Alter abhängig. Menschen, die die Neandertaler-Variante des Ionenkanals haben, empfinden mehr Schmerzen – in etwa so, als wären sie acht Jahre älter“, sagt Zeberg. „Während einzelne Aminosäuresubstitutionen die Funktion des Ionenkanals nicht beeinträchtigen, führt die vollständige Neandertaler-Variante mit drei Aminosäuresubstitutionen bei heute lebenden Menschen zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit”, resümiert der Wissenschaftler das Ergebnis der genetischen Recherche.

Doch bedeutet das nun, dass die Neandertaler im Vergleich zum modernen Menschen „Sensibelchen“ waren? In diesem Zusammenhang ist wichtig zu betonen, dass Schmerzempfinden nicht unbedingt etwas Problematisches ist. Denn es erfüllt eine lebenswichtige Schutzfunktion gegenüber potenziell schädlichen Einflüssen auf unseren Körper. „Diese Studie zeigt nur, dass die Schwelle zur Auslösung von Schmerzimpulsen bei Neandertalern niedriger war als bei den meisten heute lebenden Menschen“, sagt Pääbo. „Ob sie tatsächlich mehr Schmerzen empfunden haben, lässt sich damit nicht eindeutig sagen, weil Schmerz auch im Rückenmark und im Gehirn moduliert wird“, gibt der Anthropologe zu bedenken.

Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2020.06.045

Anzeige
Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Youtube Music
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Stro|bo|skop  auch:  Stro|bos|kop  〈n. 11; Opt.; Tech.〉 1 sich drehender Zylinder, auf dessen innere Fläche Figuren in verschiedenen Bewegungsphasen gezeichnet sind, die beim Betrachten durch einen feststehenden Schlitz den Eindruck einer Bewegung vermitteln, Vorläufer des Films; … mehr

Er|go|ta|min  〈n. 11; unz.; Biochem.〉 Hauptalkaloid des Mutterkorns, bewirkt Blutdruckanstieg [<frz. ergot … mehr

Si|de|rit  〈m. 1; Min.〉 Mineral, chem. Eisenkarbonat; Sy Eisenspat … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige