Fast jeder Mensch trägt sie in sich, oft ohne dass sie sich bemerkbar machen – Herpesviren können lange inaktiv in uns schlummern. Werden sie allerdings „wach“, droht bei manchen Versionen dieser Erreger Gefahr. Doch wie kann man feststellen, wann potenziell krankmachende Herpesviren im Körper mobil machen? Deutsche Forscher haben nun einen Weg gefunden, zwischen aktivem und inaktivem Zustand zu unterscheiden.
Der bekannteste Vertreter der Herpesvieren ist sicherlich der sogenannte Herpes-simplex-Virus 1 (HSV-1), der sich bei vielen Menschen festgesetzt hat. Wenn er aktiv wird, sorgt er für Bläschen an der Lippe. Weit weniger deutlich machen sich allerdings einige seiner Verwandten bemerkbar. Nur die wenigsten Menschen werden im Laufe ihres Lebens etwas davon spüren, dass sie das Herpesvirus 6 (HHV-6A) in sich tragen. Zwischen 95 und 100 Prozent der gesunden Erwachsenen tragen Antikörper gegen dieses Virus in ihrem Körper – sie haben demnach in der Vergangenheit eine Infektion durchgemacht. In der Regel verläuft sie unbemerkt – wer allerdings einmal infiziert wurde, bleibt es für den Rest seines Lebens: Das Virus besiedelt bestimmte Körperzellen und integriert sich dort in das Erbgut.
Versteckte Auslöser zahlreicher Krankheiten?
Ähnlich wie beim Lippen-Bläschen-Herpes kann HHV-6A allerdings unter bestimmten Umständen wieder aktiv werden – beispielsweise nach einer zusätzlichen Infektion, nach einer Organtransplantation, wenn das Immunsystem geschwächt ist, oder nach der Gabe spezieller Medikamente. Lange galt die Reaktivierung von HHV-6 als harmlos und bei den meisten Menschen verläuft sie wohl auch so. Doch mittlerweile gibt es Hinweise darauf, dass eine Aktivierung von HHV-6 bei manchen Personen Krankheiten auslösen kann. Jüngste Studien sprechen sogar dafür, dass dieses Herpesvirus an der Entstehung zahlreicher Krankheiten des Nervensystems wie etwa Schizophrenie, der bipolaren Störung, Depressionen oder der Alzheimer-Krankheit beteiligt ist.
Um frühzeitig Maßnahmen ergreifen zu können und die Effekte des Virus und seine Wechselwirkungen besser zu untersuchen, wäre es somit hilfreich, über eine Nachweismöglichkeit des Erwachens von HHV-6 zu verfügen. Die Forscher um Bhupesh Prusty von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) haben nun ein solches System entwickelt. Es ist dadurch erstmals möglich, die Re-Aktivierung der humanen Herpesviren in einem frühen Stadium nachzuweisen.
„Betaherpesviren wie das humane Herpesvirus 6A, 6B und 7 integrieren sich in die Enden menschlicher Chromosomen und verharren dort über viele Jahre. Dies macht es schwer, das Frühstadium der viralen Aktivierung basierend auf einer Analyse des viralen Erbguts zu erkennen“, erklärt Prusty die Herausforderung. Wie er und seine Kollegen berichten, macht sich das Frühstadium der Aktivierung des Virus aber über einen speziellen Effekt bemerkbar: Das Virus setzt im Rahmen des Erwachens sogenannte Mikro-RNA-Moleküle frei, die sich als Biomarker eignen.
Mikro-RNA-Moleküle als Marker
„Wir haben mehrere virale Mikro-RNA-Moleküle identifiziert, die sowohl während einer aktiven Infektion als auch einer viralen Aktivierung gebildet werden“, sagt Prusty. Mikro-RNAs nehmen indirekt Einfluss auf die Stoffwechselvorgänge in Zellen. Während die RNA Informationen aus dem Erbgut vom Zellkern in die Zelle trägt, wo diese in Proteine „übersetzt“ werden, greifen Mikro-RNAs steuernd in diesen Prozess ein. „Der Nachweis dieser viralen Mikro-RNAs kann unter klinischen Bedingungen als idealer Biomarker dienen“, ist sich Prusty sicher.
Die Forscher konnten dies bereits bei einem konkreten Fall zeigen, der zudem erneut dokumentiert, dass die Reaktivierung von HHV-6 bei manchen Menschen zu drastischen Effekten führen kann. Es handelte sich um eine Frau, die nach einer medikamentösen Behandlung ein Hypersensitivitätssyndrom entwickelt hat – ein Phänomen, das mit lebensbedrohlichen Veränderungen des Blutbilds sowie der inneren Organe einhergeht. Es gab bereits Vermutungen, dass die Ursache solcher Effekte mit der Aktivierung von schlafenden Viren zusammenhängt, die durch Medikamente geweckt werden. Diesen Verdacht konnten Prusty und seine Kollegen nun im Fall des Hypersensitivitätssyndroms der Patientin bestätigen. „Sämtliche Biopsieproben zeigten ein positives Signal für diese spezielle Mikro-RNA“, sagt Prusty.
Es zeichnet sich somit ab, dass sich die RNA als viraler Biomarker für den Nachweis einer aktiven Virusinfektion im Organismus eignet. Zudem zeigen Prusty und seine Kollegen auf, dass verschiedene verschreibungspflichtige Medikamente HHV-6 reaktivieren könnten, was zu lebensbedrohlichen Zuständen führen kann. Die frühzeitige Erkennung der viralen Reaktivierung kann daher der Medizin wichtige Informationen liefern, sind die Wissenschaftler überzeugt.
Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, npj Genomic Medicine (2018); doi:10.1038/s41525-018-0064-5