„Ein stechender Blick“, „kraftvolle Augen“, „ich spüre den Blick im Genick“… In Regewendungen vieler Kulturen spiegelt sich wider, dass Menschen seit jeher dem Blick neben seiner psycho-sozialen Bedeutung auch physikalische Kräfte zuordneten. Wissenschaftlich betrachtet ist das natürlich Aberglaube. Doch wie nun eine Studie dokumentiert, glauben viele Menschen offenbar zumindest unterbewusst, dass Blicke physikalische Energie entwickeln können, um etwa einen Gegenstand vor dem Umkippen zu bewahren.
Klar ist: Der Blick des Menschen ist durchaus mächtig – allerdings nur in psycho-sozialer Weise. Er gibt uns wichtige zwischenmenschliche Informationen und wir haben ein feines Gespür dafür, wohin Menschen schauen und mit welchem Ausdruck. Lange ging man allerdings zudem davon aus, dass der Blick des Menschen auch buchstäblich kraftvoll sein kann. Untersuchungen bei Kindern legen nahe, dass sich diese Vorstellung offenbar früh und selbstständig entwickelt. Die Annahme basiert dabei auf dem Eindruck, wonach aus den Augen des Menschen Strahlen austreten, die auf den jeweiligen Blickpunkt gerichtet sind.
Hartnäckige magische Vorstellungen
Bis heute glauben viele Menschen, Blicke in der Form von Wärme oder Druck spüren zu können. Bereits im 19. Jahrhundert gab es allerdings Studien, die klar belegten, dass es sich dabei um eine Illusion handelt und dass es Blickstrahlen schlicht nicht gibt. Dennoch glauben noch immer überraschend viele Menschen an die Kraft der Blicke – offenbar handelt es sich um eine sehr tief verankerte mystische Vorstellung. Im Rahmen ihrer Studie sind die Forscher um Arvid Guterstama von der Princeton University nun der Frage nachgegangen, inwieweit ein unterbewusster Glaube an die kräftige Strahlkraft der Augen das Beurteilungsvermögen von Menschen beeinflusst.
Die Wissenschaftler führten dazu Versuche mit 800 Freiwilligen durch, die nicht wussten, was die Forscher untersuchen wollten. Im Rahmen von Experimenten sollten sie beurteilen, welche Kräfte auf ein Objekt einwirken. Konkret handelte es sich um eine Papierröhre in unterschiedlichen Schieflagen. Die Probanden sollten einschätzen, ab welcher Auslenkung das Objekt umfallen wird. In einigen Fällen sahen die Studienteilnehmer im Rahmen des Versuchsaufbaus eine Person, die auf die umzufallen drohende Papierröhre starrte.
Wenn Blicke Papierröhren stützen
Es zeigte sich: Wenn jemand der Papierröhre einen „unterstützenden“ Blick widmete, hielten die Probanden im Durchschnitt deutlich mehr Schieflage für nötig, damit die Röhre umfällt. Mit anderen Worten: Sie interpretierten den Blick offenbar intuitiv als eine Energiequelle, die das Papier leicht stützt. Durch Kontrollversuche konnten die Forscher diese Interpretation weiter bestätigen: Erschien bei den Versuchen eine Person mit verbundenen Augen, stellten die Forscher den Effekt auf das Urteilsvermögen der Probanden nicht fest. Ebenso nicht, wenn die Person nicht auf das Papier, sondern stattdessen an die Wand im Raum starrte.
Wie die Forscher berichten, zeigten anschließende Befragungen, dass die Probanden den Blickeffekt nicht wissentlich in ihre Einschätzung der physikalischen Kräfte beim Versuch einbezogen haben. Außerdem betonten die Studienteilnehmer, dass sie auch generell nicht an die physikalische Kraft von Blicken glauben. Offenbar handelte es sich also um einen unterbewussten Mechanismus, sagen die Wissenschaftler.
Die Ergebnisse deuten deshalb nun darauf hin, dass Menschen den Blick intuitiv und unterbewusst wie kraftvolle Strahlen interpretieren, die aus den Augen kommen und auf das Objekt im Fokus gerichtet sind. „Dies könnte nun erklären warum sich die entsprechenden mystischen Vorstellungen über die Macht des Blicks bis heute halten konnten“, schreiben die Forscher.