Von Deutsch zu Englisch, dann geht es in Französisch weiter… Als könnten sie einen Schalter im Kopf umlegen, wechseln mehrsprachige Menschen von einer Sprache in eine andere. Man könnte meinen, dass die geistige Herausforderung dabei darin besteht, die neue Sprache anzuschalten. Doch überraschenderweise geht nun aus einer Studie hervor, dass eher das Abschalten der aktiven Sprache gesteigerte Nervenarbeit erfordert. Das Ergebnis liefert damit neue Einsichten in die Natur von Mehrsprachigkeit, sagen die Forscher.
„Verstand an Sprachzentrum: Bitte Deutsch abschalten und Englisch aktivieren!“ Vereinfacht ausgedrückt passiert genau das, wenn ein mehrsprachiger Mensch von einer Sprache in eine andere wechselt. Frühere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass dieser Prozess mit einer erhöhten Aktivität in Hirnbereichen verbunden ist, die mit kognitiver Kontrolle assoziiert sind. Mit anderen Worten: Das Gehirn muss sich beim Sprachwechsel anstrengen. Bisher war allerdings unklar, welcher Aspekt die Nervenarbeit erfordert – ist es das Lösen von der aktiven Sprache oder das Anschalten der neuen? Dieser Frage sind nun die Forscher um Esti Blanco-Elorrieta von der New York University nachgegangen.
„Besondere“ Mehrsprachler bieten Forschungsmöglichkeiten
Die Herausforderung war dabei: Das An- und Abschalten ist so eng miteinander verknüpft, dass sich die beiden Prozesse normalerweise nicht getrennt voneinander untersuchen lassen. Doch die Forscher fanden eine clevere Lösungsmöglichkeit für das Problem. Sie untersuchten die Zusammenhänge bei Menschen, die neben Englisch eine spezielle weitere Ausdrucksform beherrschen: Gebärdensprache. Das besondere ist dabei, dass diese Mehrsprachler beide Ausdrucksformen parallel verwenden können – sie reden und „sprechen“ dabei gleichzeitig mit ihren Händen. „Die Tatsache, dass sie beides gleichzeitig können, bietet eine einzigartige Gelegenheit, die Prozesse des Anschaltens und des Abkoppelns zu entwirren”, sagt Blanco-Elorrieta.
Konkret bedeutet dies, dass die Forscher die Studienteilnehmer bitten konnten, von der Aktivierung beider Sprachen zur Produktion nur einer Ausdrucksform zu wechseln und umgekehrt. Auf diese Weise war es möglich, den Prozess der Abwendung von einer Sprache zu isolieren, beziehungsweise das Zuschalten einer Ausdrucksform getrennt zu untersuchen. Um zu erfassen, was sich dabei im Gehirn abspielt, analysierten die Wissenschaftler die Nervenaktivität ihrer Probanden durch Magnetoenzephalographie (MEG). Es handelt sich dabei um eine Technik, die neuronale Aktivität durch die Aufzeichnung von Magnetfeldern erfassen kann, die von den elektrischen Strömen im Gehirn erzeugt werden.
Das sprachliche Lösen ist knifflig
Wie die Forscher berichten, zeichnete sich ab: Wenn die Probanden beim gleichzeitigen Reden und Gebärden eine der beiden sprachlichen Ausdrucksformen abstellten, kam es zu einer erhöhten Aktivität im Gehirn. Wenn sie hingegen nur eine Sprachform nutzten und dann eine der beiden Ausdrucksformen hinzuschalteten, war vergleichsweise wenig geistige Anstrengung zu verzeichnen.
“Unterm Strich deuten diese Ergebnisse nun darauf hin, dass die Herausforderung beim Sprachwechsel nicht darin liegt, die neue zu aktivieren, wie man vermuten könnte. Es scheint hingegen mehr kognitive Anstrengung nötig zu sein, um sich von der vorherigen Ausdrucksform zu lösen“, resümiert Blanco-Elorrieta. Offenbar gelingt dies vielen Mehrsprachlern allerdings ausgesprochen gut, wie die Wissenschaftlerin abschließend betont: “Ein bemerkenswertes Merkmal mehrsprachiger Personen ist ihre Fähigkeit, schnell und präzise zwischen ihren verschiedenen Sprachen hin und her zu wechseln”, sagt Blanco-Elorrieta.
Quelle: New York University, PNAS, doi: 10.1073/pnas.1809779115