Um den philosophischen Theorien Kants experimentell nachzugehen, haben Denis Pelli und Aenne Brielmannan von der New York University Tests mit 62 Freiwilligen durchgeführt. Sie sollten angeben, wie viel Genuss beziehungsweise Schönheitsempfinden sie wahrnahmen, während sie Bilder sahen, eine Leckerei schmeckten oder einen besonders flauschigen Teddybär fühlten. Die Forscher zeigten jedem Proband eine Reihe verschiedener Bilder, einige, die in der Regel als schön definiert werden, einige nur nette und auch neutrale, wie beispielsweise von einem simplen Stuhl. Die Teilnehmer bewerteten dann ihre Empfindungen von Schönheit beziehungsweise Genuss bei den sinnlichen Erfahrungen auf einer Vier-Punkte-Skala.
Die Wahrnehmung von Schönheit ist ablenkbar
Anschließend wurde das Experiment wiederholt, diesmal wurden die Probanden aber durch eine Zusatzaufgabe geistig abgelenkt: Sie bekamen Buchstabenreihen vorgelesen und sollten jedes Mal einen Knopf drücken, wenn sich ein zuvor gehörter Buchstabe nach zwei weiteren wiederholte.
Die Forscher fanden heraus, dass die Ablenkung die Beurteilung gegenüber Genusserlebnissen kaum veränderte. Im Gegensatz dazu nahm die berichtete Erfahrung von Schönheit durch die geistige Ablenkung ab: Bilder, die Probanden zuvor als schön klassifiziert hatten, erreichten durch die geistige Doppelbelastung weniger Schönheitspunkte. Den Forschern zufolge bestätigt dies die Ansicht Kants: Geistige Ablenkungen beeinträchtigt tatsächlich die Erfahrung von Schönheit. Mit anderen Worten: Man muss denken, um beispielsweise die Schönheit eines Bildes zu erleben.
Hier wird’s wieder philosophisch
Allerdings schienen einige Probanden der zweiten Aussage Kants klar zu widersprechen: Rund 30 Prozent von ihnen sagten, dass sie Schönheit bei der sinnlichen Erfahrung erlebt haben – als sie die Süßigkeit genossen beziehungsweise den flauschigen Teddybär berührten. Konkret befragt, gaben diese “sinnlichen Schönheitsempfinder” ausdrücklich an, dass für sie vieles schön sein kann. Die Forscher bringen diesen Aspekt so auf den Punkt: “Wir stellen fest, dass Wahrnehmung von Schönheit sehr genussvoll ist, aber auch, dass starker Genuss immer schön ist”, so Denis Pelli.
Der Aspekt, dass das Schönheitsempfinden bei der visuellen Wahrnehmung von Objekten Denkleistung erfordert, hat den Forschern zufolge durchaus auch praktische Bedeutung. “Dies ist wichtig für Menschen, die Schönheit schaffen oder präsentieren wollen, wie Künstler oder Museumskuratoren”, sagt Brielmann. Konkret: “Menschen sollten beispielsweise in Museen nicht abgelenkt werden, wenn es das Ziel ist, dass sie Schönheit in der Kunst erkennen”, so der Wissenschaftler.
Pelli und Brielmannan planen, ihre Forschung nun fortzusetzen, um weitere Fragen rund um die Rolle der Schönheit in unserem Leben zu beantworten. Zum Beispiel: “Gibt es Menschen, die keine Schönheit erleben können? Welche Rolle spielt die Schönheit in der Entscheidungsfindung? Ist ein Schönheitssinn für die Kreativität notwendig? Und ist Hässlichkeit tatsächlich das Gegenteil von Schönheit oder handelt es sich um eine eigene Dimension?” Es wird deutlich: Das Thema hat viele interessante Facetten.