Sie glauben schwarz ist schwarz und weiß ist weiß? Vergessen Sie es! Australische Wahrnehmungsforscher haben sich optische Täuschungen ausgedacht, bei denen sich hell und dunkel in ihr Gegenteil verkehren.
Barton L. Anderson von der University of New South Wales und Jonathan Winawer, der inzwischen am MIT in Boston forscht, wollten mit ihren Illusionsexperimenten herausfinden, wie unser Gehirn „sieht”. Sie vermuteten, dass das menschliche Gehirn alle Lichteffekte, die es über das Auge geliefert bekommt, in drei Wahrnehmungsschichten zerlegt:
• in das Licht, das auf einen Gegenstand fällt
• in das Licht, das der Gegenstand reflektiert und
• in das Licht, das von Wolken, Dunst oder auch mattem Glas gestreut, verschluckt oder reflektiert wird.
Um Ihre Theorie zu testen, überlegten sie sich spezielle optische Täuschungen. „Solche Illusionen eignen sich hervorragend, um herauszufinden, wie das Gehirn visuelle Daten verarbeitet”, sagt Michael Bach, Physiker und Wahrnehmungsforscher an der Universitätsaugenklinik in Freiburg. „ Denn optische Täuschungen zeigen nicht, dass wir schlechte Augen oder ein dummes Gehirn haben. Ganz im Gegenteil: Sie beweisen, wie perfekt und schnell unser Gehirn Gesehenes interpretiert.” Solche Interpretationen sind in der „freien Wildbahn” lebensnotwendig. Sie zeigten dem Urmenschen, dass das, was vor ihm im Morgennebel lag, ein Säbelzahntiger und kein Baumstamm war. Noch heute helfen sie dem modernen Menschen, sich in unübersichtlichen Situationen zurechtzufinden. „Im normalen Leben bemerken wir unsere außergewöhnlichen Fähigkeiten gar nicht, da wir mit ihrer Hilfe immer das Richtige und Wichtige sehen”, erklärt Bach.
Es gibt bereits zahlreiche Illusionsexperimente mit Hell-Dunkel-Wahrnehmungen (siehe Community-Kasten). Aber bisher fanden die meisten mit unstrukturierten Formen vor einem gleichförmigen Hintergrund statt, zum Beispiel mit weißen Kreisen vor grauem Hintergrund. Damit lässt sich nicht klären, ob das Gehirn das Bild in Schichten zerlegt oder nicht.
Anderson und Winawer überlegten sich ein völlig neues Konzept und stellten mithilfe von Grafikprogrammen im Computer Kreise oder Schachfiguren in eine durchscheinende Wolkenlandschaft. Die Figuren erhielten immer die gleiche Abschattung durch Wolken, nur die Helligkeit des Hintergrunds änderte sich. Der verblüffende Effekt: Auf dem einen Bild wirken die gleichen Schachfiguren fast weiß, auf dem anderen fast schwarz.
Die Forscher stellten sich dann die Frage: Wenn das Gehirn so etwas wie einen Transparenz-Eindruck in ein Bild hineinrechnet und dadurch eine optische Illusion entsteht, dann müsste die Illusion zusammenbrechen, wenn man das verändert, was den „ nebligen” Eindruck erzeugt, aber ansonsten alles gleich lässt. Also drehten Anderson und Winawer auf ihren computergenerierten Bildern einfach den Hintergrund um 90 Grad – und prompt brach die Illusion zusammen.
„Vor allem die Kanten zwischen einem hellen und einem dunklen Objekt sind wichtig, wenn unser Gehirn versucht herauszufinden, wie hell oder dunkel ein Objekt ist”, sagt Anderson. Für die beiden Forscher ist durch ihre Experimente klar belegt, dass unser Gehirn in einer „Schichtenwelt” lebt. ■
Thomas Willke
COMMUNITY INTERNET:
Optische Illusionen auf der Homepage von Barton L. Anderson:
www.psy.unsw.edu.au/Users/BAnderson/
LESEN:
Barton L. Anderson, Jonathan Winawer
Image segmentation und lightness perception
nature, Bd. 434, S. 79–83, 2005