Welche Faktoren bestimmen darüber, ob sich ein Mensch aus Armut befreien kann? Eine wichtige Rolle spielen dafür offenbar soziale Kontakte zu Personen mit höherem Einkommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie auf Basis einer Auswertung von rund 21 Milliarden Facebook-Freundschaften in den USA. Demnach erhöht soziale Durchmischung die sogenannte wirtschaftliche Mobilität, also die Chance, einen höheren sozioökonomischen Status zu erreichen als die Eltern. Die Daten zeigen aber auch, dass in vielen Regionen der USA Freundschaften zwischen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus wenig wahrscheinlich sind, beispielsweise durch getrennte Colleges und High-Schools.
In den USA, aber auch in vielen anderen Ländern gibt es große soziale Unterschiede zwischen Personen mit hohem und niedrigem sozioökonomischem Status. Für die meisten Menschen, die in ärmliche Verhältnisse geboren wurden, erfüllt sich der amerikanische Traum, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu schaffen, nicht. Doch welche Faktoren tragen dazu bei, die Aufstiegschancen zu erhöhen? Schon lange wird vermutet, dass die sozialen Beziehungen einer Person, das sogenannte „soziale Kapital“ einen großen Einfluss haben. Bislang war es allerdings schwierig, das soziale Kapital messbar zu machen.
21 Milliarden Facebook-Freundschaften analysiert
Dieses Problems hat sich ein Team um Raj Chetty von der Harvard University in Cambridge angenommen. Dazu griffen die Forscher auf den weltweit größten Datensatz zu sozialen Beziehungen zurück: Freundschaften auf Facebook. In Kooperation mit Meta, dem Anbieter von Facebook, analysierten Chetty und seine Kollegen die Daten von über 72 Millionen amerikanischen Facebook-Nutzern zwischen 25 und 44 Jahren. Aus den Profilen entnahmen sie, welches College und welche High-School die jeweiligen Nutzer besucht hatten, in welchen Postleitzahlgebiet sie wohnen und mit wem sie befreundet sind. Insgesamt rund 21 Milliarden Facebook-Freundschaften flossen in die Analyse ein.
Anhand verschiedener Informationen in den Nutzerprofilen konnten die Forscher zudem Rückschlüsse auf den sozioökonomischen Status der jeweiligen Personen sowie ihrer Eltern ziehen – beispielsweise anhand des Wohnorts in einem armen oder einem reichen Viertel. Ebenso ordneten sie alle Freunde einer Person nach deren sozioökonomischem Status ein und bildeten einen Index, der angibt, welcher Anteil der Freunde einen überdurchschnittlichen sozioökonomischen Status hat. Dieses Maß bezeichneten sie als „wirtschaftliche Verbundenheit“. Als nächstes setzten sie diese „wirtschaftliche Verbundenheit“ in Relation zu der Wahrscheinlichkeit, dass eine Person im Erwachsenenalter sozial und wirtschaftlich bessergestellt ist, als anhand des Elternhauses zu erwarten gewesen wäre.
Freundschaften zwischen verschiedenen sozialen Schichten
Das Ergebnis: „Der Anteil der Freunde mit hohem Sozialstatus ist einer der stärksten Prädiktoren für die wirtschaftlichen Aufstiegschancen“, so die Autoren. In einem begleitenden Kommentar, der ebenfalls in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, schreiben Noam Angrist von der University of Oxford und Bruce Sacerdote vom Dartmouth College, die nicht an der Studie beteiligt waren: „Diese Daten zeigen, wie wichtig das Sozialkapital für den Weg aus der Armut ist. Die Verbindungen zwischen Menschen mit niedrigem und hohem Sozialstatus können sich auf ihre Ambitionen, ihren Zugang zu Informationen und ihre Beschäftigungsmöglichkeiten auswirken.“
Um jedoch solche Freundschaften schließen können, müssen Menschen mit hohem und niedrigen Sozialstatus zunächst einmal in Kontakt kommen. Laut Chetty und seinen Kollegen ist das in vielen Teilen der USA nicht selbstverständlich. Oftmals besuchen die Kinder reicher Eltern andere Bildungseinrichtungen als Kinder aus ärmeren Familien. Und selbst wenn sie auf das gleiche College gehen, freunden sich dennoch eher Kinder aus der gleichen sozialen Schicht miteinander an. Wie stark dieser Effekt, der sogenannte „Friending Bias“ ausgeprägt ist, hängt den Autoren zufolge von der Struktur der Gruppe ab, in der die Menschen miteinander interagieren: „Der Friending Bias ist in größeren und vielfältigeren Gruppen größer“, schreiben sie. „In religiösen Organisationen ist er geringer als in Schulen und am Arbeitsplatz.“
Daten für gezielte Interventionen
Aus Sicht der Forscher ist es eine Aufgabe der Politik, die soziale Durchmischung zu fördern und so mehr Menschen die Chance zu eröffnen, aus der Armut zu entkommen. Als Hilfestellung für politische Entscheidungsträger, aber auch für andere Forschungsgruppen, haben sie für sämtliche Postleitzahlgebiete der USA sowie für alle Colleges und High-Schools entsprechende Daten zusammengetragen und stellen sie öffentlich zur Verfügung. Daran ist für jeden Standort erkennbar, ob das Problem eher in mangelndem Kontakt liegt oder daran, dass die jungen Menschen beispielsweise aufgrund zu großer Klassen nur Freundschaften innerhalb ihres eigenen sozialen Milieus knüpfen. Politische Interventionen könnten somit gezielt an den jeweils problematischen Verhältnissen ansetzen und so das soziale Kapital wirksam erhöhen.
Quelle: Raj Chetty (Harvard University, Cambridge, USA) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-022-04996-4 und doi: 10.1038/s41586-022-04997-3