Gleichzeitig unterschiedliche Aufgaben erledigen – darin sind Frauen besonders gut, heißt es. Doch lässt sich dieser angebliche Geschlechtsunterschied auch wissenschaftlich belegen? Auf dieses Thema hat uns Ralf B. aufmerksam gemacht – vielen Dank dafür. Tatsächlich ist schon länger strittig, ob es beim Multitasking tatsächlich Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Zuletzt hat ein Experiment dazu neue Erkenntnisse geliefert: Demnach scheinen Frauen vor den Wechseljahren tatsächlich etwas besser gegen Doppelbelastungen gewappnet zu sein – zumindest wenn diese eine sprachbasierte Aufgabe beinhalten.
Die Fähigkeit zum Multitasking erscheint im modernen Alltag wünschenswert, wenn nicht sogar fast schon als Voraussetzung: E-Mails beantworten, telefonieren und nebenbei noch produktiv und zielorientiert arbeiten wird längst von vielen im Job erwartet. Ob wir Menschen jedoch wirklich zu echtem Multitasking fähig sind und ob es dabei Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, ist unklar. Der landläufigen Ansicht nach sind Frauen besser darin, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen. Männer gelten daher eher als von Natur aus weniger für das Multitasking begabt. Wissenschaftliche Studien zum Thema Multitasking lieferten dazu bisher jedoch eher widersprüchliche Ergebnisse. Demnach schneiden Frauen bei einigen Multitasking-Aufgaben tatsächlich ein wenig besser ab als Männer, in anderen dagegen erwiesen sich beide Geschlechter als gleichermaßen unbegabt im Multitasking. So führen beispielsweise gleichzeitige akustische und visuelle Eindrücke dazu, dass einer der beiden Reize vom Gehirn unterdrückt wird. Unser Denkorgan kann sich in einem solchen Fall nur auf eine Wahrnehmung auf einmal konzentrieren.
Tim Killeen vom Universitätsspital Balgrist in Zürich und seine Kollegen haben eine weitere Art des Multitaskings näher untersucht. Sie wollten wissen, wie kognitive Aufgaben unseren Gang verändern – und ob es dabei geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Wenn wir zügig gehen, schwingen normalerweise unsere Arme mit. “Obwohl dieses Schwingen sehr automatisiert wirkt, zeigt sich immer mehr, dass höhere Zentren der Bewegungssteuerung an dieser Bewegung beteiligt sind”, erklären die Forscher. Weil einige dieser Zentren sowohl für lokomotorische als auch für kognitive Aufgaben zuständig sind, könnte eine doppelte Belastung zu Störeffekten bei einer oder beiden Aufgaben führen, so die Hypothese der Wissenschaftler. Für ihre Studie ließen sie Männer und Frauen verschiedener Altersgruppen zügig auf einem Laufband gehen. Die Bewegungen ihrer Arme wurden dabei über Marker und ein Videosystem detailliert aufgezeichnet. Nach einer Kontrollrunde ohne Ablenkung mussten die Versuchspersonen während des Laufens den sogenannten Stroop-Test absolvieren. Dabei soll unter Zeitdruck die Schriftfarbe eines eingeblendeten Farbwortes benannt werden. Widersprechen sich Wortbedeutung und Schriftfarbe, ist das Gehirn besonders gefordert – und macht leicht Fehler.
Störeffekt bei Männern und Frauen unterschiedlich
Die Auswertung ergab: Bei den Männern stellten die Forscher einen klaren Störeffekt der kognitiven Aufgaben fest. Mussten sie beim Gehen den Stroop-Test absolvieren, bewegten sie ihren rechten Arm weniger stark mit als ohne die kognitive Zusatzbelastung. Ihr Oberkörper bewegte sich dadurch beim Gehen asymmetrisch, wie die Forscher berichten. Auch bei Frauen jenseits der Menopause zeigte sich diese Beeinträchtigung der Bewegung. Je anspruchsvoller die geistigen Aufgaben waren, desto asymmetrischer wurden die Armbewegungen der Versuchspersonen – und desto mehr Fehler machten die Probanden. Überraschenderweise jedoch schienen Frauen in jungem und mittleren Alter völlig immun gegen diesen Effekt: Ihre Armbewegungen blieben weitgehend symmetrisch, egal wie stark sie durch den Stroop-Test mental beansprucht waren.
Diese Ergebnisse erlauben zwei Rückschlüsse, wie die Forscher erklären. Zum einen scheint unser Denkorgan tatsächlich Probleme damit zu haben, wenn zwei unterschiedliche Aufgaben die gleichen Hirnbereiche beanspruchen. Der sprachbasierte Stroop-Test wird vor allem vom Sprachzentrum und weiteren Arealen der linken Hirnhälfte verarbeitet. Die Bewegungen des rechten Arms kontrollieren ebenfalls links gelegene Hirnbereiche. “Vor allem die linken Frontalbereiche und Basalganglien sind dabei sowohl an der Kontrolle der Bewegungen als auch an der kognitiven Aufgabe beteiligt”, erklären die Killeen und seine Kollegen. Das führt zu Störeffekten und zu verminderter Leistung in beiden Aufgaben.
Die zweite Schlussfolgerung: In Bezug auf diesen Störeffekt gibt es einen klaren Geschlechterunterschied. Die Bewegungskontrolle von jüngeren Frauen scheint weniger anfällig für die Doppelbelastung zu sein, so die Forscher. Ihre Vermutung: Weil dieser Störeffekt bei Frauen vor den Wechseljahren nicht auftritt, könnten die Geschlechtshormone etwas damit zu tun haben. “Die unerwartete und nachdrückliche Resistenz gegen die Hemmung der Armbewegung könnte auf eine Östrogen-bedingte Plastizität und Redundanz im präfrontalen Cortex zurückgehen”, mutmaßen die Wissenschaftler. Schon länger ist bekannt, dass Östrogen und weitere weibliche Geschlechtshormone die sprachlichen Fähigkeiten fördern, dafür aber Defizite im räumlichen Denken verstärken. Für das Multitasking könnte dies bedeuten: Wenn sprachliche Fähigkeiten beteiligt sind, haben Frauen tatsächlich die Nase vorn. Denn ihr Gehirn wird durch solche Aufgaben schlicht weniger stark ausgelastet. Sind jedoch andere Fähigkeiten gefragt, wie beispielsweise die räumliche Orientierung, dann könnten Männer beim Multitasking besser abschneiden.
Quelle: Tim Killeen (University Hospital Balgrist, Zürich) et al., Royal Society Open Science, doi: 10.1098/rsos.160993
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