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Sauer macht risikofreudig

Gesellschaft|Psychologie

Sauer macht risikofreudig
Sauer macht offenbar mehr als nur lustig. (Foto: Mocker_bat/ istock)

Einem bekannten Sprichwort zufolge macht sauer lustig. Doch offenbar hat dieser Geschmacksreiz noch eine ganz andere Wirkung: Er beeinflusst das Risikoverhalten, wie nun ein Experiment zeigt. Bekamen Probanden Zitronensäure zu trinken, agierten sie danach beim Glücksspiel deutlich risikofreudiger. Diese Erkenntnis könnte den Forschern zufolge zum Beispiel für die Behandlung von Angststörungen und Depressionen nützlich sein – Erkrankungen, durch die Patienten oft extrem risikoscheu werden.

Der Geschmack ist einer unserer ältesten und wichtigsten Sinne: Über ihn nehmen wir wahr, was wir essen und trinken, er verführt uns zu Naschereien – und warnt uns vor potenziell schädlichem Essen. So liefern uns die Sensoren auf unserer Zunge beispielsweise wichtige Hinweise darauf, ob ein Lebensmittel verdorben oder die Beere vom Strauch giftig ist. Der Geschmack hilft Menschen demnach dabei, in einer möglicherweise riskanten Situation Entscheidungen zu treffen: Sollen sie herunterschlucken oder das in den Mund Gesteckte lieber schnell wieder ausspucken? Aufgrund dieses Zusammenhangs spekulieren Wissenschaftler schon länger darüber, ob das Geschmackssystem unsere Entscheidungen auch in anderen Situationen beeinflussen könnte. Wirken sich die grundlegenden Geschmacksreize süß, salzig, bitter, umami und sauer zum Beispiel unterschiedlich auf unsere Risikofreudigkeit aus?

Wer wagt, gewinnt?

Dieser interessanten Frage sind nun Chi Thanh Vi von der University of Sussex in Brighton und seine Kollegen nachgegangen. Für ihre Untersuchung rekrutierten die Forscher 70 Probanden aus Großbritannien sowie 71 aus Vietnam. Die Teilnehmer waren im Schnitt zwischen 20 und 25 Jahre alt, rund zwei Drittel von ihnen waren Frauen. Vor dem eigentlichen Experiment bekamen die Probanden jeweils 20 Milliliter eines Getränks zu trinken, das einem der fünf Grundgeschmacksrichtungen entsprach. Zudem bekam eine Kontrollgruppe neutrales Mineralwasser verabreicht. Dann ging es los: Jeder Teilnehmer wurde an einen Computer gesetzt und durfte ein Glücksspiel spielen. Dabei ging es darum, einen Ballon mit jedem Mausklick immer mehr mit Luft zu füllen – je größer dieser wurde, desto mehr Geld winkte den Spielern als Belohnung. Doch wann sollten sie aussteigen, um ihren Gewinn zu sichern?

Dies war die entscheidende Frage. Denn nach jedem Klick konnte der Luftballon unvermittelt explodieren und der Spieler mit leeren Händen nach Hause gehen. Wie oft würden die Probanden einen weiteren Mausklick wagen? Es zeigte sich: Offenbar hing die Risikofreudigkeit der Spieler auch von dem zuvor konsumierten Getränk ab. Jene Probanden, die Zitronensäure getrunken hatten, entpuppten sich als die größten Zocker. Sie pumpten den Ballon signifikant häufiger auf als alle anderen Teilnehmer, wie das Forscherteam berichtet. Demnach klickten sie durchschnittlich 40 Mal, bevor sie ausstiegen – die Anderen je nach Geschmacksrichtung zwischen 20 und 30 Mal. Wichtig dabei: Der saure Reiz schien die Risikofreudigkeit unabhängig von der individuellen Persönlichkeit der Spieler zu fördern. So zeigte sich der Effekt sowohl bei eher intuitiven Denkern als auch bei ausgesprochenen Analytikern.

Saure Therapiemöglichkeit

Damit haben die Wissenschaftler zum ersten Mal einen empirischen Beleg dafür erbracht, dass saure Geschmacksreize riskantere Verhaltensweisen fördern. Ihren Ergebnissen zufolge scheint dieser Einfluss mindestens 20 Minuten lang anzuhalten, möglicherweise auch länger. Völlig unklar ist dagegen bisher, wie der Effekt zustande kommt: “Wir wissen, wie ein bestimmter Geschmack im Gehirn dargestellt wird und wir wissen auch, was im Denkorgan passiert, wenn jemand eine Entscheidung trifft. Was fehlt, ist der neuronale Weg, der beides miteinander verknüpft”, sagt Vi. Unabhängig von dem zugrundeliegenden Mechanismus könnten die Ergebnisse in Zukunft jedoch zu ganz praktischen Empfehlungen führen, wie das Team betont.

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Zum Beispiel für Berufsgruppen wie Piloten: In bestimmten Berufen sei Risikofreudigkeit eher kontraproduktiv, schreiben die Forscher. Hier könnte es mitunter sinnvoll sein, den Anteil saurer Lebensmittel in der Ernährung zu verringern. Umgekehrt könnten andere Personengruppen von einem gelegentlichen Biss in die Zitrone profitieren – etwa Menschen mit Angsterkrankungen oder Depressionen. “Ein Risiko einzugehen, kann ganz unterschiedliche Dinge bedeuten: Für manche Personen ist es der Sprung aus einem Flugzeug, für andere ist es schlicht, das Haus zu verlassen oder sich mit einem Fremden zu unterhalten”, sagt Vi. “Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Säure die meisten Menschen nicht zu völlig leichtsinnigem Verhalten verleitet. Sie macht aber offen gegenüber Risiken und könnte risikoscheue Personen dazu motivieren, neue Gelegenheiten wahrzunehmen”, schließt Vis Kollegin Marianna Obrist.

Quelle: Chi Thanh Vi (University of Sussex, Brighton) et al., Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-018-26164-3

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