Ratten haben offenbar ein Näschen für Hunger: Die Nager nutzen geruchliche Hinweise, um festzustellen, wie dringend Artgenossen ihre Hilfe brauchen, geht aus einer Studie hervor. Hungrig riechenden Tieren schieben sie demnach eifriger Futter zu als solchen, die einen satten Geruch verströmen. Die Forscher liefern auch Hinweise darauf, anhand welcher flüchtigen Substanzen in der Luft die Ratten diesen Unterschied feststellen. Durch die Geruchsinformation können die intelligenten Nager möglicherweise objektiver entscheiden, wer wirklich Hilfe braucht, sagen die Wissenschaftler.
Clever, mitfühlend und hilfsbereit: Das Verhalten von Ratten und Menschen zeigt erstaunliche Parallelen, haben Studien der letzten Jahre dokumentiert. Die intelligenten Nager sind bereit, Artgenossen zu helfen, selbst wenn sie dadurch nicht sofort einen Vorteil bekommen. Sie befreien etwa eingesperrte Artgenossen oder schieben ihnen Futter zu, selbst wenn sie nichts davon abbekommen. Eine kürzlich erschienene Studie hat zudem gezeigt, dass Ratten davor zurückschrecken, Artgenossen Schmerzen zu bereiten – selbst wenn sie dadurch auf eine Belohnung verzichten müssen. Demnach scheinen Ratten ähnlich wie Menschen Einfühlungsvermögen zu besitzen – Empathie.
Kluge Hilfsbereitschaft
Frühere Studien haben zudem bereits gezeigt, dass die Hilfsbereitschaft der Ratten komplexe Züge aufweist: Sie entscheiden anhand bestimmter Merkmale und Verhaltensweisen des Gegenübers, wie solidarisch sie sich zeigen. Dabei gilt: Wenn eine Ratte durch Gesten oder Laute Hilfsbedürftigkeit signalisiert, wird sie eher von ihren Artgenossen erhört. Wie Karin Schneeberger von der Universität Potsdam und ihre Kollegen erklären, könnten diese Botschaften aber dazu führen, dass sich hilfsbereite Tiere ausnutzen lassen. Denn Anrufe und Gesten spiegeln möglicherweise nicht die tatsächliche Hilfsbedürftigkeit eines Individuums wider. Die Wissenschaftler fragten sich deshalb, ob Ratten für ihre Hilfsbereitschaft auch einen objektiveren Hinweis nutzen – den Geruch.
Um diese Hypothese zu überprüfen, führten sie Experimente mit Wanderratten (Rattus norvegicus) durch. Es kam ein Testsystem zum Einsatz, bei dem die Versuchstiere bereits zuvor ihre prinzipielle Hilfsbereitschaft unter Beweis gestellt hatten. Dabei befinden sich jeweils zwei einander nicht bekannte Tiere in nebeneinanderliegenden Plexiglasbehältern, die eine vergitterte Seite aufweisen. Außerhalb der Gitterstäbe liegt ein Futter-Tablett, das über ein längliches Zugelement zu den Käfigen bewegt werden kann. Allerdings kann nur eine der beiden Ratten das Zugelement mit der Pfote erreichen und unter Kraftaufwand bedienen. Dieses Tier gelangt anschließend aber nicht in die Reichweite des Futters, sondern nur die Nachbarratte. Die Vorversuche haben gezeigt, dass die Versuchstiere den Zusammenhang begreifen und bereit sind, der Nachbarratte uneigennützig Futter zu verschaffen.
Ein Näschen für Hilfsbedürftigkeit
Um ihrer aktuellen Versuchsfrage nachzugehen, haben die Wissenschaftler der potenziellen Helferratte Luft in den Käfig geblsen, die nicht von ihrer Nachbarin, sondern entweder von einer gesättigten oder aber von einer hungrigen Ratte stammte, die sich in einem entfernten Raum befand. Die Auswertungen des Verhaltens der Helferratten zeigten: Die Tiere leisteten durchschnittlich etwa dreimal schneller Hilfe, wenn sie Geruchssignale von einer hungrigen Ratte aufschnappten als von einer satten. Den Forschern zufolge bestätigen diese Ergebnisse somit ihre Hypothese: Die Tiere stufen den Grad der Bedürftigkeit des Artgenossen anhand der geruchlichen Hinweise ein und verhalten sich dann entsprechend.
In weiteren Untersuchungen gingen die Forscher dann der Frage nach, ob sich ein Geruchsunterschied zwischen satten und hungrigen Ratten auch analytisch nachweisen lässt. Dazu unterzogen sie die Umgebungsluft der entsprechenden Tiere einer Untersuchung mittels Gaschromatographie. Dabei identifizierten sie sieben flüchtige organische Verbindungen, durch die sich der Geruch von hungrigen und satten Ratten unterscheiden. Woher sie stammen, bleibt allerdings unklar: Wie die Forscher erklären, könnten sie direkt von den zuvor aufgenommenen Nahrungsquellen stammen, aber auch von Stoffwechselprozessen bei der Verdauung, oder möglicherweise von einem Pheromon, das Hunger anzeigt.
Doch was auch immer die Quelle ist – der Geruch stellt eine objektive Information dar, auf die sich Ratten bei ihrer Bereitschaft zur Hilfe verlassen können, resümieren die Wissenschaftler.
Quelle: PLOS Biology, doi: 10.1371/journal.pbio.3000628