Beherrschen wir eine Sprache nicht, reden wir bekanntlich mit Händen und Füßen – außerdem setzten wir manchmal Lautmalereien ein: Beispielsweise lässt sich durch ein Blubber-Geräusch der Begriff „Wasser“ vermitteln. Auch solche ikonischen Vokalisierungen könnten neben der Gestik eine wichtige Rolle bei der Entstehung der menschlichen Sprache gespielt haben, berichten Forscher. Darauf deuten Verständnistests von Lautmalereien in verschiedenen Sprachkulturen der Welt hin. In den Lautäußerungen können Menschen Lebewesen, Gegenstände, Handlungen oder Eigenschaften überraschend gut erkennen, berichten die Forscher.
Wie entstanden die ersten Formen von Sprache in der menschlichen Entwicklungsgeschichte? In der Linguistik geht man bisher davon aus, dass unsere Vorfahren sich zunächst vor allem mithilfe von ikonischen Gesten verständigten. Eigentlich wäre dieses System für eine komplexe Kommunikation ausreichend, wie die Leistungsfähigkeit der heutigen Gebärdensprachen verdeutlicht. Doch offensichtlich entwickelte sich beim Menschen primär eine Verständigungsweise über hörbare Sprache. Wie und warum es dazu gekommen ist, bleibt unklar. Den lautmalerischen Aspekten von Sprache wurde dabei bisher eher wenig Bedeutung zugesprochen, denn das Potenzial der möglichen Informationsübermittlung galt als eher gering. Inwieweit das tatsächlich zutrifft, hat nun ein deutsch-britisches Team aus Sprachwissenschaftlern durch eine experimentelle Studie ausgelotet.
Was kann Lautmalerei leisten?
Für ihre Tests nutzten die Forscher Aufnahmen von lautmalerischen Vokalisierungen, die überwiegend englische Sprecher für 30 Wörter erfunden haben. Sie sollten dabei mit Mund und Stimme Höreindrücke erzeugen, von denen sie glaubten, dass andere sie mit dem jeweiligen Wort verknüpfen können. Darunter waren Verben wie “schneiden” oder „schlafen“, Substantive wie “Kind” oder „Obst“ sowie Begriffe wie “gut” oder “schlecht”. Bei „schlafen“ lag beispielsweise ein Schnarchgeräusch als lautmalerisches Symbol nahe – bei anderen Begriffen war hingegen mehr Kreativität gefragt: Für “Obst” machten einige Probanden ein „knirschend- schlürfendes“ Geräusch. Beim abstrakten Wort “gut” war hingegen ein Geräusch typisch, das sich in der Tonhöhe von tief nach hoch veränderte – bei “schlecht” das Gegenteil.
Als deutende Probanden waren insgesamt 843 Freiwillige aus 25 unterschiedlichen Sprachgruppen der ganzen Welt im Einsatz. Darunter waren neben Europäern und Asiaten auch Menschen aus Kulturen ohne Schriftsprache wie die Palikúr, die im Amazonaswald leben, und Sprecher des Daakie auf der Insel Ambrym im südpazifischen Vanuatu. Bei den Tests hörten die Probanden eine lautmalerische Vokalisation und sollten sie dann einer Bedeutung aus einer Auswahl von Möglichkeiten zuordnen. Beim Raten nach dem Zufallsprinzip hätten sie dabei mit einer Chance von 17 Prozent richtig gelegen, erklären die Forscher.
Doch aus den Auswertungen ging hervor: Im Durchschnitt lagen die Teilnehmer in allen Sprachen in 65 Prozent der Fälle richtig. Unabhängig vom kulturellen Hintergrund erfassten die Studienteilnehmer die beabsichtigten Bedeutungen der Lautmalereien mit einer Treffsicherheit, die weit über dem reinen Zufall liegt, resümieren die Forscher.
Wie man sich gut vorstellen kann, gab es allerdings eine erhebliche Bandbreite – einige Vokalisationen ließen sich leichter interpretieren als andere. So errieten die Teilnehmer fast immer den Laut für “schlafen” richtig. Daneben konnten sich auch die Bedeutungen „essen“, „Kind“, „Tiger“ und „Wasser“ besonders gut erkennen, am schlechtesten konnten sie hingegen die Lautmalereien für die Bedeutungen „das“, „sammeln“, „stumpf“, „scharf“ und „Messer“ zuordnen.
Möglicher Faktor bei der Sprachentwicklung
Insgesamt lagen die Erkennungsraten der lautmalerischen Vokalisierungen aber stets höher als der Zufallswert, berichten die Sprachwissenschaftler. “Unsere Ergebnisse stellen somit die oft zitierte Vorstellung infrage, dass Vokalisationen nur ein begrenztes Potenzial für ikonische Repräsentation haben, und zeigen, dass Menschen in Abwesenheit von Wörtern lautmalerische Ausdrucksformen verwenden können, um eine Vielzahl von Bedeutungen zu kommunizieren”, sagt Co-Autor Bodo Winter von der University of Birmingham.
Erstautorin Aleksandra Ćwiek vom Leibniz-Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin führt weiter aus: “Bisher nahm man an, dass sichtbare Gesten die wesentlichen Bausteine für die Entstehung menschlicher Sprache lieferten. Unsere Studie verdeutlicht nun hingegen, dass Sprache auch aus Lautmalereien entstanden sein kann“, sagt die Linguistin. Möglicherweise waren aber auch parallele Prozesse am Werk: Vermutlich haben ikonische Gesten ebenfalls eine entscheidende Rolle in der Evolution der menschlichen Kommunikation gespielt, wie es auch bei der modernen Entstehung von Gebärdensprachen der Fall ist. Unsere heutige gesprochene Sprache ist multimodal, sie kann daher aus hörbaren Lautmalereien und sichtbaren Gesten entstanden sein, so das Fazit der Forscher.
Beispiele für lautmalerische Vokalisationen, die im Rahmen der Studie für die Tests eingesetzt wurden:
– „schneiden“
– “Wasser“
– “gut“
Quelle: University of Birmingham, Fachartikel: Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-021-89445-4