Hunde sind wohl das berühmteste Beispiel, aber auch viele andere Tiere nutzen Gerüche als Landmarken bei ihrer Orientierung. Der Mensch schnüffelt sich hingegen nicht offensichtlich durch die Gegend – doch hat unser Geruchssinn tatsächlich keine Bedeutung für unsere Orientierung? Dieser Frage sind nun Forscher der Justus-Liebig-Universität Gießen experimentell nachgegangen. Ihr Fazit lautet: Die menschliche Nase wird unterschätzt.
Wie Kai Hamburger und seine Kollegen betonen, wurde bisher erstaunlicherweise kaum erforscht, ob auch der Geruchssinn dem Menschen bei der Orientierung helfen kann. Um nun einen ersten Eindruck über das Potenzial der Nase zu gewinnen, nutzten die Forscher eine virtuelle Umgebung: Versuchspersonen sollten sich einen Weg durch ein fotorealistisches virtuelles Labyrinth suchen, das keine Möglichkeiten zur visuellen Orientierung bot. Die Kreuzungen waren allerdings mit zwölf unterschiedlichen Gerüchen versehen. Die Versuchspersonen mussten sich beispielsweise merken, dass sie beim Zitronenduft links abbiegen und beim Fischgeruch geradeaus gehen mussten, um das Ziel zu erreichen.
Auch Gerüche bilden offenbar mentale Landmarken
Die Ergebnisse zeigten eine überraschend gute Leistung der Probanden: Bei 70 Prozent der Richtungsentscheidungen wählten sie anhand der Geruchsinformationen den richtigen Weg, berichten die Forscher. Wie sie feststellten, gelang die Orientierung den Studienteilnehmern dabei sogar anhand von Gerüchen, die sie in vorhergehenden Tests nicht eindeutig einem bestimmten Stoff zuordnen konnten – wie etwa Vanille oder Nagellackentferner.
Wie die Forscher erklären, fügen sich die Ergebnisse gut in frühere Untersuchungsergebnisse zur Orientierung ein. So ist bekannt, dass Menschen und Tiere in der entwicklungsgeschichtlich alten Hirnstruktur des Hippocampus so etwas wie ein inneres Navigationssystem mit mentalen Landkarten besitzen. In diesen Karten sind auch visuelle Landmarken abgespeichert, wie auffällige Gebäude oder andere Objekte, an denen man sich orientieren kann. „Frühere Studien unserer Arbeitsgruppe haben allerdings bereits gezeigt, dass neben visuellen Objekten auch Geräusche wie zum Beispiel Baustellenlärm oder Hundegebell die Funktion von Landmarken übernehmen können“, sagt Hamburger. „Nun zeichnet sich ab, dass auch Gerüche Landmarken sein können. Wir können Gerüche erinnern und das hilft uns dabei, unsere Wege zu finden“, resümiert der Forscher.
Quelle: Justus-Liebig-Universität Gießen, Fachartikel: Cognitive Science, 43, e12798. doi: 10.1111/cogs.12798