Bankiers sind männlich, Pflegekräfte weiblich? Solche stereotypen Geschlechterrollen können durch Online-Inhalte bekräftigt und verstärkt werden. Eine Studie zeigt, dass Bilder im Internet Klischees wesentlich stärker bedienen als Texte – zumindest im englischsprachigen Bereich. Gerade angesichts der Tatsache, dass mehr und mehr Menschen online bevorzugt visuelle Inhalte konsumieren, ist diese Verzerrung aus Sicht der Forschenden besorgniserregend. Ein Experiment zeigt, dass geschlechtsspezifische Vorurteile noch mehrere Tage nach einer Online-Bildersuche stärker ausgeprägt waren als nach einer textbasierten Suche.
Das Internet dient einer immer größer werdenden Zahl an Menschen als wichtigste Quelle für Informationen und Unterhaltung. Zunehmend verlagert sich der Schwerpunkt dabei von Texten auf Bilder. „Von Jahr zu Jahr verbringen die Menschen weniger Zeit mit Lesen und mehr Zeit mit dem Betrachten von Bildern“, schreibt ein Team um Douglas Guilbeault von der University of California in Berkeley. „Jeden Tag laden Millionen von Menschen Bilder von Plattformen wie Google und Wikipedia herunter und weitere Millionen interagieren über soziale Medien wie Instagram und TikTok, die hauptsächlich aus dem Austausch visueller Inhalte bestehen.“
Geschlechterklischees in Bildern und Texten
Doch welchen Einfluss hat diese Verschiebung hin zu mehr Bildern auf unsere Wahrnehmung von Geschlechterrollen? Um diese Frage zu klären, haben Guilbeault und sein Team die geschlechtsspezifischen Assoziationen in Texten und Bildern zu fast 3500 sozialen Kategorien untersucht, darunter Berufsbezeichnungen wie Arzt, Innenarchitekt und Model sowie soziale Rollen wie Nachbar oder Kollege. Als Datenbasis nutzten die Forschenden mehr als eine Million Bilder von Google, Wikipedia und der Internet Movie Database (IMDb) sowie Milliarden von Wörtern von diesen Plattformen.
Da die jeweiligen textlichen Bezeichnungen auf Englisch geschlechtsneutral sind, wertete das Team den Kontext des Textes aus, um festzustellen, ob jeweils ein bestimmtes Geschlecht gemeint war. Um das wahrgenommene Geschlecht der Personen auf den Bildern zu bestimmen, ließen sie die Zuordnung durch mehr als 6000 online angeworbene Menschen durchführen. „Für jede einzelne Kategorie berechneten wir dann, zu welchem Prozentsatz Frauen und Männer in den Bildern und Texten vertreten sind“, erklärt das Team.
Bilder stärker verzerrt als Texte
Das Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass die geschlechtsspezifische Voreingenommenheit in Bildern durchweg stärker ausgeprägt ist als in Texten, und zwar sowohl für weibliche als auch männliche Kategorien“, berichten die Forschenden. Eine Suche nach „Detektiv“ ergab beispielsweise fast ausschließlich Bilder von männlichen Detektiven. In Texten dagegen war das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen. Eine Suche nach „Model“ dagegen führte überwiegend zu Bildern von weiblichen Models, während die Texte zwar ebenfalls weiblich dominiert waren, aber in höherem Maße auch von männlichen Models handelten.
Zudem stellten Guilbeault und sein Team fest, dass Frauen insgesamt in den Suchergebnissen unterrepräsentiert waren und zwar auch hier in Bildern stärker als in Texten. Die Google-Bildersuche ergab für 62 Prozent der Kategorien eine männliche Überrepräsentation, die Texte von Google News dagegen nur für 56 Prozent der Kategorien.
Dieses Ergebnis verglichen die Forschenden mit US-Zensusdaten, wie stark Frauen und Männer tatsächlich in den jeweiligen Berufsgruppen vertreten sind und wie die Verteilung in der öffentlichen Wahrnehmung ist. Dabei zeigte sich: Während Texte tendenziell eine höhere Geschlechtergerechtigkeit darstellen als angesichts der Zensusdaten realistisch ist, ist die Unterrepräsentation von Frauen auf den Bildern ausgeprägter als in der Realität.
Einfluss auf unsere Vorurteile
Doch wirken sich solche Verzerrungen tatsächlich auf unsere Wahrnehmung von Geschlechterrollen aus? Das testeten die Forschenden in einem Experiment. Sie baten 450 Personen, entweder bei Google News oder Google Bilder bestimmte Berufe zu suchen oder – als Kontrollgruppe – nach zufälligen Objekten zu suchen. Unmittelbar nach dem Experiment und erneut drei Tage später befragten sie die Testpersonen, mit welchem Geschlecht sie bestimmte Berufsgruppen in Verbindung brachten. Zusätzlich testeten sie die Stärke dieser Assoziationen mit einem sogenannten impliziten Assoziationstest.
„Unser Experiment zeigt, dass das Googeln nach Bildern statt nach textlichen Beschreibungen von Berufen die geschlechtsspezifische Voreingenommenheit der Teilnehmer verstärkt“, berichten die Forschenden. Sogar drei Tage nach dem Experiment hatten die Personen, die Bilder zu den Berufen gegoogelt hatten, stärkere geschlechtsspezifische Vorurteile, als diejenigen, die Texte zu den Berufen oder Objekte gegoogelt hatten.
Relevant für KI-generierte Bilder
„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Online-Bilder und damit die Online-Welt nicht nur stark geschlechtsspezifisch geprägt sind, sondern dass diese geschlechtsspezifische Prägung auch weitere geschlechtsspezifische Verzerrungen im Alltag beeinflussen könnte“, schreiben Bas Hofstra und Anne Maaike Mulders von der Radboud University in Nijmegen in einem begleitenden Kommentar zur Studie, der ebenfalls in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde.
Gerade angesichts der Tatsache, dass auch künstliche Intelligenzen immer mehr Bilder erstellen, sei es wichtig, die Mechanismen zu verstehen, die zu der Verzerrung führen, und gegenzusteuern. „Denn wenn die KI-generierten Bilder auf Online-Bildern basieren, die bereits geschlechtsspezifisch sind, könnte das Bildmaterial im Internet andernfalls immer stärker geschlechtsverzerrt werden“, so Hofstra und Mulders.
Quelle: Douglas Guilbeault (University of California, Berkeley) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-024-07068-x