Wir Menschen gelten als äußerst neugierig, doch übertreffen wir mit dieser Neugier auch unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen? In einem Experiment hat sich nun gezeigt, dass wir deutlich erkundungsfreudiger sind als Schimpanse, Gorilla und Co. Haben Kinder die Wahl zwischen einem transparenten Becher, der sichtbar eine Belohnung enthält, und einem undurchsichtigen Becher, entscheiden sie sich deutlich häufiger für die „Mystery Box“ als die Menschenaffen. Für die Wissenschaftler ist dies ein Hinweis darauf, dass wir risikofreudiger mit Ungewissheit umgehen als Affen.
Evolutionär betrachtet ist Neugier enorm wichtig, damit Lebewesen lernen, ihre Umwelt genau kennenlernen und bestmöglich darin überleben können. Manche Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass es einst die ausgeprägte menschliche Neugier war, die uns die frühe Expansion aus Afrika und die Entwicklung verschiedenster Kulturen ermöglichte. Doch diese Erkundungsfreude ist bei manchen unseren nächsten Verwandten etwas gedämpft. So ist etwa bei Orang-Utans bekannt, dass sie in der Regel wenig neugierig auf neue Gegenstände reagieren. Heißt das, dass Menschenaffen generell weniger neugierig sind als wir?
Glücksspiel um Weintrauben und Sticker
Alejandro Sánchez-Amaro vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Federico Rossano von der University of California San Diego haben die Neugierde von Menschen und Affen nun erstmals einem direkten Vergleich unterzogen. Dabei traten drei- bis fünfjährige Kinder gegen erwachsene Menschenaffen an. Als Maß für die Neugier galt die Wahl zwischen zwei umgedrehten Bechern: Einem transparenten mit einer sichtbaren Belohnung und einem undurchsichtigen, auf dessen Inhalt es keinen Hinweis gab.
Für die Schimpansen, Gorillas, Bonobos und Orang-Utans bestand die Belohnung aus Weintrauben, für die Kinder aus Stickern. Während der transparente Becher jeweils eine einzelne Weintraube oder einen Sticker enthielt, versteckten sich in der „Mystery Box“ mehrere. Zunächst war jedoch weder den Kindern noch den Affen bekannt, was sich unter dem undurchsichtigen Becher befindet. Erst nach einer Runde blind getroffener Entscheidungen durften beide Gruppen sehen, was sich darin versteckt, und in einer zweiten Runde auf Basis dieses Wissens erneut entscheiden.
Kinder sind deutlich neugieriger als Menschenaffen
Das Ergebnis: Während des blinden Durchgangs entschieden sich die Kinder deutlich häufiger für das Unbekannte und gegen die sichere Belohnung als die Menschenaffen, wie die Wissenschaftler berichten. Demnach wählten zwischen 77 und 85 Prozent von ihnen mindestens einmal die „Mystery Box“, ohne vorher zu wissen, was sich darunter versteckt. Bei den Menschenaffen trafen nur 24 Prozent diese Entscheidung. „Nachdem wir aber den Inhalt der undurchsichtigen Becher aufgedeckt hatten und sich darin eine größere Belohnung verbarg als im ‚sicheren‘ transparenten Becher, überwanden auch Menschenaffen ihre anfängliche Risikoaversion”, so Sánchez-Amaro und Rossano.
Nach dieser Lernerfahrung entschieden sich mehr als 88 Prozent der Menschenaffen und Kinder mindestens einmal für den undurchsichtigen Becher mit der größeren Belohnung. Interessanterweise war der undurchsichtige Becher nun die bevorzugte Wahl der Menschenaffen, während die Kinder weiterhin wild herumprobierten. Den Forschenden zufolge könnte dieses Verhalten daher kommen, dass die Affen die „Mystery Box“ nun eindeutig mit einer größeren Belohnung verknüpft hatten, während die Kinder weiterhin dachten, dass diese nicht zwingend jedes Mal unter dem undurchsichtigen Becher liegen muss.
Insgesamt sehen Sánchez-Amaro und Rossano die Ergebnisse des Experiments als Beweis dafür, dass Menschen neugieriger sind als Affen. Dafür spricht vor allem, dass die Kinder anders als die Menschenaffen selbst bei völliger Ungewissheit die unsichere Option erkundeten. Sie waren also stärker motiviert, das Unbekannte zu erforschen, und insgesamt weniger risikoscheu. „Wir argumentieren daher, dass die Unterschiede zwischen Kindern und Menschenaffen vor allem in der motivationalen Veranlagung zur Erkundung des Unbekannten liegen“, schreiben die Forschenden.
Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig; Fachartikel: PLOS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0285946