Forscher haben einer künstlichen Intelligenz ein „Ohr“ für die Anzeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung verpasst: Das speziell trainierte Computerprogramm kann an der Stimme und Sprechweise von Menschen erkennen, ob sie von der psychischen Störung betroffen sind. Aus dem Konzept könnte sich ein telemedizinisches Schnelldiagnoseverfahren entwickeln, das etwa über ein Smartphone funktioniert, sagen die Forscher.
Gewalt, Unglücke, Grauenvolles: Die meisten Menschen machen im Laufe des Lebens zumindest einmal ein traumatisches Erlebnis durch – sie erfahren selbst Schreckliches oder müssen es miterleben. Bei einigen hinterlässt dies offene Wunden: Sie entwickeln eine sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Besonders Menschen in Krisengebieten und Soldaten entwickeln häufig diese psychische Störung. Die Betroffenen leiden unter Visionen ihrer traumatischen Erfahrung, die sie tagsüber oder in ihren Träumen heimsuchen. Auch ihre Sicht auf die Welt und die Zukunft kann von dem Problem überschattet sein: Sie sehen vieles negativ, erwarten ständig Schlimmes und sind dadurch unterschwellig gestresst und auf der Hut. Dies kann wiederum zu vielen weiteren Effekten führen, die auf der Lebensqualität der Betroffenen lasten.
Die Diagnose von PTBS basiert bisher in der Regel auf Interviews oder Selbsteinschätzungen der Betroffenen. Diese Verfahren sind allerdings vergleichsweise aufwendig und neigen zu Verzerrungen. Deshalb sind alternative Diagnoseverfahren gefragt, erklären die Forscher um Charles R. Marmar von der New York University School of Medicine. Im Rahmen ihrer Studie haben sie deshalb ausgelotet, inwieweit automatisierte Verfahren die Anzeichen eines PTBS anhand der Stimme erfassen können. Grundlage des Ansatzes bilden Erfahrungen von Experten, denen zufolge man manchmal hören kann, dass jemand von dem Problem betroffen ist. Wie die Forscher erklären, besteht die Theorie darin, dass traumatische Ereignisse Gehirnfunktionen verändern, die Emotionen und Muskeltonus verarbeiten, was die Sprechweise einer Person in charakteristischer Weise beeinflussen kann.
Maschinelles Lernen macht es möglich
Im Rahmen ihrer Studie verwendeten die Wissenschaftler modernste Sprachanalysetechnologie, die feine Merkmale etwa des Rhythmus, der Tonlage und der Artikulation der Sprache herausarbeiten kann. Diese Informationen werden dann in ein künstliches Intelligenz-System (KI) eingespeist, das anhand von Beispielen lernen kann, Merkmale zur Klassifizierung von Probanden zu erkennen. Solche KI-Programme entwickeln durch Training dann selbstständig immer genauere mathematische Modelle, die eine Erkennung von Mustern zur Diagnose ermöglichen.
Für die Entwicklung des Systems nutzten die Wissenschaftler diagnostische Standardinterviews mit 53 Irak- und Afghanistan-Veteranen mit einem PTBS sowie von 78 Veteranen, bei denen sich das Syndrom nicht entwickelt hat. Die Aufnahmen wurden in die Sprachsoftware eingespeist, damit es nach Mustern in der Sprache suchen konnte, die sich für eine Zuordnung eignen.
KI kann die sprachlichen Hinweise „heraushören“
Wie die Forscher berichten, war dies erfolgreich: Das KI-Programm konnte tatsächlich bestimmte übergeordnete Grundmuster in der Sprechweise mit PTBS verknüpfen. Wie die Forscher berichten, kann das System bisher mit 89 Prozent Genauigkeit ein PTBS aus Aufnahmen von Menschen „heraushören“. Vereinfacht ausgedrückt wird das Syndrom etwa an einer in charakteristischer Weise weniger klaren Sprache und einem leblosen, metallischen Ton deutlich, sagen die Wissenschaftler.
Im Anschluss an diese vielversprechenden Ergebnisse wollen sie das KI-Voice-Tool nun durch zusätzliche Daten trainieren und seine Zuverlässigkeit bei der Diagnose weiter ausloten. So könnte sich dann ein neues System zur Diagnose von PTBS entwickeln. “Sprache eignet sich sehr für den Einsatz in einem automatisierten Diagnosesystem, möglicherweise als Teil einer PTBS-Smartphone-App. So könnte das Problem einmal kostengünstig und unaufdringlich erfasst werden, um den Betroffenen zu helfen”, sagt Co-Autor Adam Brown abschließend.
Quelle: NYU Langone Health / NYU School of Medicine, Depression and Anxiety, doi: 10.1002/da.22890