Wohin geht der Blick? Die Augenbewegungen spielen bei der menschlichen Kommunikation eine wichtige Rolle. Der Kontrast zwischen der Iris und der hellen Lederhaut des Auges erleichtert dabei das Erkennen der Blickrichtung. In diesem Zusammenhang zeigt nun eine Studie: Schimpansen und Bonobos besitzen zwar nicht unser Weiß um die Iris – dennoch entsteht bei ihnen ein ähnlicher Kontrast in den Augen, der die Blickrichtung gut erkennen lässt. Diese Erkenntnis untermauert somit Verhaltensstudien, die darauf hindeuten, dass auch Menschenaffen die Blickrichtung ihrer Artgenossen als Informationsquelle nutzen können.
Wer schaut wen oder was an und warum? Wir haben buchstäblich die Blicke im Blick, denn unsere Aufmerksamkeit gilt oft wiederum der Aufmerksamkeit unserer Mitmenschen. Dieser Aspekt bildet eine wichtige Komponente im Rahmen des menschlichen Sozialverhaltens. Man geht davon aus, dass sich diese Bedeutung im starken Kontrast unserer Augen widerspiegelt: Die helle Lederhaut – die sogenannte Sklera – hebt die Iris optisch deutlich hervor, was wiederum die Bewegung und Blickrichtung des Auges leicht erkennbar macht.
Folgen Affen Blicken?
Doch ist dieses Konzept ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen? In den letzten Jahren haben Verhaltensstudien Hinweise dafür geliefert, dass auch Menschenaffen wahrnehmen, wohin ihre Artgenossen schauen und dass sie die Blicke als Informationsgrundlage für bestimmte Entscheidungen nutzen. Dies scheint allerdings einer bisherigen Annahme zu widersprechen, der zufolge der Blick der Affen schlecht erkennbar ist. Denn ihre Augen besitzen im Vergleich zum Menschen eine deutlich dunklere Lederhaut. Aber ist dieses Argument denn stichhaltig?
Die Forscher um Juan O. Perea-García National University of Singapore argumentieren nun, dass nicht unbedingt nur eine helle Lederhaut einen Blick auffällig macht, sondern der relative Kontrast zwischen Sklera und Iris dabei ausschlaggebend ist. Im Rahmen ihrer Studie sind sie diesem Verhältnis nun bei den Augen von zahlreichen Menschen, Schimpansen (Pan troglodytes) und Bonobos (Pan paniscus) nachgegangen. Bei diesen beiden Menschenaffen-Arten handelt es sich um unsere nächsten Verwandten im Tierreich.
Der Kontrast ist ähnlich
Im Fall der Bonobos zeigte sich: Obwohl ihre Sklera deutlich dunkler ist als beim Menschen, entsteht im Durchschnitt ein ähnlicher Kontrast. Der Grund: Die Iris ist bei den Bonobos im Vergleich zur Lederhaut oft besonders dunkel. Interessanterweise ist dies bei den Schimpansen nicht der Fall – es verhält sich stattdessen umgekehrt: Sie besitzen eine ausgesprochen dunkle Lederhaut – dafür aber eine helle Iris. Daraus ergibt sich letztlich ebenfalls ein deutlicher Kontrast, der dem Niveau beim Menschen beziehungsweise bei den Bonobos ähnelt.
So kommen Perea-García und seine Kollegen zu dem Fazit: Der relative Kontrast zwischen der Sklera und der Iris ist bei allen drei Arten ähnlich. Somit scheint auch die Erkennbarkeit der Blickrichtung vergleichbar, sagen die Forscher. Die im Vergleich zum Menschen dunkle Lederhaut der Augen bei den Menschenaffen widerspricht somit nicht den Ergebnissen der Verhaltensstudien: Auch unsere nächsten Verwandten im Tierreich können den kontrastreichen Augen ihrer Artgenossen demnach leicht folgen und den Blick als Informationsquelle nutzen.
Vermutlich handelt es sich somit um ein Konzept, das tiefe Wurzeln in der Entwicklungsgeschichte der Menschenaffen hat. Es könnte auch früh eine Rolle in der menschlichen Evolution gespielt haben: Bevor unsere Vorfahren sagen konnten “Schau mal da drüben!” haben sie vermutlich Blicke genutzt, um Gefahren oder andere nützliche Informationen zu kommunizieren.
Den Forschern zufolge steht nun allerdings noch eine interessante Frage im Raum: Warum hat sich das Kontrast-Konzept der Augen des Menschen und des Bonobos auf ähnliche Weise entwickelt, beim Schimpansen jedoch umgekehrt? Weitere Studien könnten dies vielleicht klären: Wie die Forscher ankündigen, wollen sie nun auch weiterhin Menschen und Affen fragend in die Augen blicken.
Quelle: National University of Singapore, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.1911410116