Selbst der Schweizer Mythologe Erich von Däniken wehrt ab: „ Ein Schwachsinn, der nicht von mir stammt”, gibt er dem Zürcher Tages-Anzeiger zu Protokoll. „Das ist absoluter Unfug”, schimpft der Bonner Altamerikanist Nikolai Grube. Trotz des harschen Diktums aus der Wissenschaft und selbst aus esoterischen Kreisen bereiten sich Apokalyptiker in aller Welt auf den Weltuntergang am 21. Dezember 2012 vor. Diesmal wird er wirklich stattfinden, denn die Maya haben es gesagt – heißt es.
Was genau passieren soll, ist undurchsichtiger als der Kohlensack-Nebel: Ein bloßer Weltuntergang? Das Auftauchen eines Parallel-Universums? Der Übergang in eine höhere Bewusstseins-Sphäre? Das Datum 2012 ist mittlerweile sogar zu einem boomenden Industriezweig geworden. Die Bücherzahl zum Thema wird nur von den Publikationen zu Atlantis übertroffen. Die Suchmaschine Google listet zu „2012 Apocalypse” über 33 Millionen Ergebnisse auf. Wollte man alle Beiträge lesen, würde man das Weltende glatt verpassen.
Als Beweis für die Unausweichlichkeit des finalen Desasters missbrauchen die Untergangs-Propheten die Maya: Der Kalender dieser geheimnisvollen mittelamerikanischen Hochkultur prophezeie für den 21.12.2012 das Ende des Universums. Denn, so sagen die Apokalyptiker, zu diesem Termin gehe der Maya-Kalender zu Ende. Aber das eine ist so falsch wie das andere „und wird nicht dadurch wahrer, dass man es jeden Tag herunterbetet”, erbost sich Nikolai Grube. Der Bonner Inschriften-Experte und Archäologe gehört zu der Handvoll Forscher, die vor rund 20 Jahren die Entzifferung der Maya-Hieroglyphen initiierten.
SINTFLUT UND GÖTTERDÄMMERUNG
Doch es hilft nichts: Das Datum hat sich als Event völlig verselbstständigt. Die Heftigkeit des aktuellen Wahns verwundert trotzdem, denn Untergangsprophezeiungen gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen: Die Sintflut-Story wird schon im altsumerischen Gilgamesch-Epos des 3. Jahrtausends v.Chr. erzählt, die Apokalypse rundet die christliche Bibel ab, die Götterdämmerung besiegelt das Ende der germanischen Welt. Auch aus den Schriften des Nostradamus oder dem chinesischen Orakel I Ging kann man Düsteres deuten. Die hauptsächlich abendländischen Apokalyptiker tragen die Lust am Untergang bis in die Jetzt-Zeit.
Die exotischen Maya bieten sich den heutigen Knock-out-Beschwörern bestens als mythische Projektionsfolie an. Die Hochkultur liefert Zutaten genug, um einen zählebigen Mythos zu kreieren. Als die Spanier auf ihren Eroberungszügen zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Regenwälder der mittelamerikanischen Halbinsel Yucatan und den Peten-Dschungel (heute Guatemala) durchquerten, stießen sie auf eine gespenstische Kulisse: Hochhaushohe Pyramiden, großzügige Plätze, gewaltige Paläste, meisterlich gemauert und auf das Feinste verziert, überwuchert von tropischer Vegetation – aber keine Menschen, die kulturell zu all diesem Prunk passten.
Zudem fanden sie unerklärliche Schriftzeichen, in Stein gehauen, auf Schalen und Becher gemalt. Und es gab Bücher – aber niemanden, der sie lesen konnte. Die Spanier haben bei ihrer Invasion Unmengen davon als Teufelswerk verbrannt. „Was muss nicht alles in den Büchern gestanden haben!”, verzweifelt Grube bei dem Gedanken. Es dürfte – so spekuliert er – Landkarten, Tributlisten, Anweisungen für Rituale, Familiengeschichten sowie medizinische Bücher gegeben haben. Für den hohen Stellenwert der Schrift in der Maya-Gesellschaft spricht einer der Adelstitel: „ Er, der die Bücher verwaltet”.
Heute gibt es nur noch vier dieser Faltbücher, „Codices” genannt. Das schönste und wichtigste ist der Dresdner Codex in der sächsischen Landeshauptstadt. Er ist nach seiner Digitalisierung gerade von Grube erstmals wissenschaftlich untersucht worden (bild der wissenschaft 10/2009, „Handbuch für Wahrsager”). Schließt man vergleichend auf die verbrannten Bücher, müssen diese reihenweise astronomische Daten und Berechnungen enthalten haben. Aber auch aus den erhaltenen Inschriften in Stein wird klar: Die Maya waren gewiefte Himmelsbeobachter. Sonnen- und Mond-Finsternisse sagten sie auf einen halben Tag genau voraus. Die Perioden der Planeten-Umläufe kannten sie präziser als die Babylonier. Für den Venus-Umlauf sind in den Maya-Schriften 583,923 Tage angegeben – die korrekte Zahl: 583,921. „Die Maya-Astronomie geht weit über das hinaus, was wir aus der Himmelskunde des Zweistromlandes oder Ägyptens kennen”, resümiert Grube.
FALSCHE IDEALISIERUNG
Der exotische Mix aus Wildnis und verschwundener Hochkultur forderte die Fantasie geradezu heraus – aus dem Rätsel wurde ein Mythos. Der wuchs, wurde gepflegt und dem jeweiligen Zeitgeist und Kenntnisstand angepasst. So hielt sich hartnäckig die Idealisierung der Maya als friedliche Sternengucker, bis Ende der 1980er-Jahre nach vielen Irrungen die Entzifferung der Maya-Schrift ins Rollen kam. 90 Prozent können die Schriftexperten inzwischen lesen. Die Hieroglyphen-Inschriften auf Stelen und Türstürzen, Palastfassaden und Keramikvasen belegen, dass sich die Maya-Herrscher zwischen den gleichen Fixpunkten bewegten wie die Potentaten aller historischen Kulturen: Krieg und Frieden, Machterwerb und Selbstverherrlichung, Machterhalt und Vergöttlichung.
Das aktuelle Bild der Maya-Forschung ergibt für die klassische Periode von 300 bis 900 n.Chr. eine arbeitsteilige Gesellschaft mit einem absolutistischen Gottkönig an der Spitze. Für die Ernährung sorgte eine hochgetrimmte, großflächige Landwirtschaft, die für Störungen höchst anfällig war. Der Fernhandel florierte und bediente nicht nur den Luxusbedarf, etwa mit der begehrten Jade oder exotischen Vogelfedern, sondern auch das alltägliche Leben – mit Mahlsteinen aus Zentralmexiko, denn der Kalkstein des Peten war für das Mais-Mahlen zu weich.
UND PLÖTZLICH IST ALLES ZU ENDE
Um 900 n.Chr. begann der rasante Niedergang: Herrscher und Hofstaat verschwanden, Inschriften hörten auf. Es wurden keine Stelen mehr aufgestellt und weder Paläste noch Tempel gebaut. Ein Jahrhundert später hatte der Urwald ganz Maya-Land übernommen. Die Hochkultur der Maya war untergegangen, bevor die Eroberer aus Europa kamen – ziemlich plötzlich und noch vor 30 Jahren völlig unerklärlich. Heute werden für den Niedergang verantwortlich gemacht:
· Anhaltende Dürren in Mittelamerika durch einen nachgewiesenen Klimawandel ab 600 n.Chr.,
· ausgelaugte Böden durch die intensive Landwirtschaft und
· Erosion als Folge massiven Abholzens der Wälder.
Nikolai Grube sieht dennoch eher einen politischen Kollaps der komplizierten Maya-Machtwelt: Die religiös bestimmte Übereinkunft zwischen arbeitendem Volk und gottgleichem König zerbröselte im Gefolge solcher gestörten Umweltfaktoren. Eine wachsende schmarotzende Adelsschicht, ständige Kriege und ein schleichender Machtverlust der Gottkönige waren dann die endgültigen Faktoren des Untergangs. Vieles wird zusammengespielt haben.
Was bis heute am Ende der Maya-Kultur frappiert, sind die Endgültigkeit und der Umfang: Nirgendwo sonst ist eine Hochkultur so vollständig ohne Einfluss von außen erloschen. Das Land war nach dem Ausfall der Eliten natürlich nicht menschenleer, und Codices wurden – vereinzelt – auch nach Ankunft der Spanier geschrieben. Aber es waren wohl einsame Spezialisten, etwa Wahrsagepriester, die Schrift und Mythologie noch kannten – und die Kalender.
Die Maya hatten ein kompliziertes Regelwerk von drei nebeneinander laufenden, verzahnten Kalendern mit unterschiedlichen Aufgaben. Während der Tzolkin- und der Haab-Kalender hauptsächlich rituellen Charakter hatten und keine Jahreszahlen aufwiesen, diente die „Lange Zählung” der Geschichtsschreibung der Maya-Könige – in ihr wurden alle Tage seit einem mythologischen Nullpunkt gezählt. Die Angaben dieser Langen Zählung – und nur um diese geht es im Folgenden – können die Wissenschaftler immer präziser in unseren Gregorianischen Kalender umrechnen. Die beiden Ritualkalender wurden noch in der Kolonialzeit genutzt, die Lange Zählung nur noch in Teilen. Keines dieser Regelwerke enthält Hinweise auf die Vorstellung vom Ende des Universums oder von verschiedenen aufeinander folgenden Welten.
In den Bibliotheken der Harvard University erschlossen Forscher in den letzten Jahren vergessene Manuskripte aus der Kolonialzeit, die in der Maya-Sprache Quiche abgefasst waren und aus dem guatemaltekischen Hochland stammten. In den Manuskripten werden die verschiedenen Maya-Kalender so präzise mit dem Gregorianischen Kalender korreliert, dass „es keinen Zweifel mehr an der Korrektheit der von uns verwendeten Umrechnung gibt”, sieht Nikolai Grube den wissenschaftlichen Streit um die Lange Zählung jetzt beigelegt. Auch astronomische und archäometrische Datierungen haben dazu beigetragen, den Nullpunkt des Maya-Kalenders endgültig zu fixieren: 11. August 3114 v.Chr.
WEHE, WEHE – DIE 13. ÄRA!
Damit beginnt das Geschwurbel der Untergangspropheten: Die Lange Zählung addiert die Tage (Kin) seit diesem Nullpunkt. Die nächste Zeiteinheit ist Winal, sie umfasst 20 Kin. Es folgt Tun mit 18 Winal und 360 Tagen. Die folgende Stufe Katun hat 20 Tun = 7200 Tage = 19,7 Jahre. Danach bricht die Ära Baktun an, die sich aus 20 Katun (144 000 Tagen = 394,3 Jahren) zusammensetzt. Das derzeitige Baktun ist die 13. Ära. Und sie endet am 21.12.2012.
Die Ingredienzien wollen nur zu gut passen: Rätselhafte Maya, vom Dschungel verschlungene Hochkultur, Ende einer (Kalender-)Ära und dann auch noch die 13 – da muss ja Unheilvolles geschehen. So wurden „von europäischen Wissenschaftlern Bekanntes von den Azteken, Unverstandenes von den Maya und die in der europäischen Zahlenmystik böse 13 zusammengerührt”, summiert Nikolai Grube die unrühmliche Wissenschaftsgeschichte zu diesem Thema.
Seit 100 Jahren versuchen Europäer so, den Untergang der Welt aus dem Maya-Kalender herbeizurechnen. Das sind esoterische Taschenspielertricks und ein Missbrauch der Maya. Denn nichts von alledem steht bei ihnen geschrieben.
· „Es gibt keine vorspanische Inschrift der Maya, die von verschiedenen Schöpfungen spricht”, rückt Grube die Dinge zurecht. Die Idee verschiedener Welten stammte von den Azteken, die sich bei Ankunft der Spanier im fünften Weltzyklus wähnten.
· Die Zahl 13 hatte bei den Maya eine besondere, aber keine unheilvolle Bedeutung. Sie teilten zum Beispiel den Himmel in 13 Sternbilder ein.
· Das Ende des 13. Baktun ist keinesfalls das Ende einer Welt-Ära. Auf das 13. Baktun folgt laut Maya-Kalender das 14. Baktun, das 15., das 16., das 17., 18., 19. und 20. Baktun – jedes 394,3 (in manchen Berechnungen 400) Jahre lang. Allein diese ausstehenden sieben Baktun reichen noch bis ins Zukunftsjahr 4772.
Nach der Zeitperiode Baktun kommt das Pictun mit 20 Baktun, das Calabtun mit 20 Pictun. Die darauf folgende Zeitperiode Kinchiltun dauert 20 Calabtun und mündet nach ebenfalls 20 Einheiten im ersten Alautun – da sind wir dann schon gut 63 Millionen Jahre (genau: 63 080 082,1 Jahre) vom Nullpunkt der Langen Zählung entfernt. „Und das geht noch Oktillionen von Jahren weiter”, weiß Nikolai Grube – Oktillion, das ist eine Zahl mit 48 Nullen. Die Maya kennen kein Ende der Welt, „die Kalenderpriester und Schriftgelehrten haben mit unvorstellbar großen Zahlen und Zeiträumen gerechnet”.
Und: „Keine der unzähligen inzwischen entzifferten Steininschriften im Maya-Gebiet prophezeit für 2012 eine Katastrophe, es gibt in der klassischen Maya-Welt überhaupt keine apokalyptischen Darstellungen”, beteuert Grube zum x-ten Mal seit Beginn der irrealen Weltuntergangsdebatte. Die einzige Erwähnung des Datums 2012 findet sich auf dem „Monument 6″, einer Stele aus dem 7. Jahrhundert n.Chr., die in den 1960er-Jahren bei Tortuguero an der mexikanischen Golfküste gefunden wurde: Da steigt Bolon Yokte, Patronatsgott der Krieger und Kaufleute, zur Einweihung eines Hauses vom Himmel herab – ein üblicher formelhafter Hinweis auf die Weihung eines Tempels.
ÜBERNAHMEN VON SPANIERN UND AZTEKEN
Erst nach Ankunft der Spanier – 700 bis 800 Jahre nach dem Ende der Hochkultur – schwappten Endzeit-Gedanken in die Maya-Kosmologie. Von den Azteken übernahmen die Maya die Idee von mehreren Weltschöpfungen. Wobei auch die Azteken nicht sagten, wie viele es geben würde. Die Übernahme spiegelt sich ansatzweise im Popol Vuh wider, der Niederschrift der Maya-Schöpfungsmythen aus der Zeit nach der spanischen Eroberung. Der Dresdner Codex geht zwar auf vorspanische Wurzeln zurück, mischt aber christliches Gedankengut hinein. Aus dem biblischen Repertoire der Spanier floss wohl die Vorstellung einer endzeitlichen Sintflut in die Maya-Welt. Auf einem Faltblatt wird bildstark geschildert, wie die Alte Göttin aus einem Krug Wasser vergießt und gemeinsam mit dem Schwarzen Gott der Unterwelt das Himmelskrokodil dazu bringt, Unmengen Wasser zu speien. Es ist in dem Bild auch ein Datum angegeben: der Tag 5 Eb des Tzolkin-Ritualkalenders. „Das ist in der Tat eine Weltuntergangsszene”, räumt Grube ein, „sie hat aber nichts mit dem Jahr 2012 zu tun.”
SCHAMANEN SCHÄTZEN DEN KONJUNKTIV
Der Codex ist ein geheimes Wahrsagebuch für Schamanen. Es enthält neben Ritualanweisungen und astronomischen Tabellen auch Berechnungen, wann der Tag 5 Eb mit dem Beginn der Regenzeit am 1. Juni zusammentrifft. Das passiert nur etwa alle 1400 Jahre. Das Buchblatt gibt Rechenhinweise, wann das wieder der Fall sein „ könnte”. Der Schreiber bleibt, wie sich das für ein Wahrsagebuch gehört, strikt im ausdeutbaren Konjunktiv. Für dieses Datum hat sich übrigens noch kein moderner Weltuntergangsspezialist interessiert.
Nikolai Grubes Fazit: „Der Unfug mit dem Weltuntergang 2012 hat mit den Maya nicht das Geringste zu tun – aber mit uns sehr viel: Da spiegelt sich offenbar eine irrationale Heilserwartung, in der unsere Ängste und Wünsche für die Zukunft festgeschrieben werden.” ■
von Michael Zick
KOMPAKT
· Die exotischen Maya dienen modernen Propheten als Projektionsfolie für ihre Fantasien.
· Keine Zeitzählung der Maya enthält Hinweise auf den Weltuntergang, ihr Kalender reicht weit in die Zukunft.
· Der Endzeitmythos ist eine wilde Mixtur aus Azteken-Ideen, Maya-Rätseln, Jüngstem Gericht und Angst vor der Zahl 13.
Gut ZU wissen: Die Maya
Die Maya schufen eine Hochkultur in Zentralamerika, die sich zwischen dem Golf von Mexiko, dem Golf von Honduras und der Pazifikküste erstreckte. Große Steinbauten mit komplexer Architektur sowie erstaunliche Kenntnisse in Mathematik und Astronomie zählen zu ihren herausragenden kulturellen Leistungen. Die ältesten Dörfer werden auf etwa 1800 v.Chr. datiert. Sie gehören in die „vorklassische Zeit”, die bis 250 n.Chr. dauerte. Schon vor 600 v.Chr. hatten die Maya große Städte errichtet, die von gottgleichen Königen regiert wurden. Das bedeutendste Maya-Zentrum war El Mirador im heutigen Guatemala.
Zu Beginn der „klassischen Zeit” (250 bis 900 n.Chr.) wurden Tikal und Uaxactún südöstlich von El Mirador zu wichtigen Metropolen. Die Maya errichteten eindrucksvolle Stufenpyramiden, Paläste, Ballspielplätze und Altäre. Auf großen Stelen ließen Herrscher ihre Biografie in Hieroglyphen verewigen, die heute zu 90 Prozent entziffert sind. In dieser Blütezeit der Kultur gab es etwa 50 miteinander konkurrierende Stadtstaaten. Die Könige der Kaan-Dynastie mit dem Zentrum Calakmul im heutigen Mexiko und die Könige von Tikal führten Kriege gegeneinander, um die Macht über die Orte im Tiefland des heutigen Mexiko, Guatemala und Belize zu erlangen.
Um 900 n.Chr. brach die Hochkultur zusammen – vermutlich infolge von Dürren, ausgelaugten Böden und/oder einem politischen Kollaps. In der „nachklassischen Zeit” bis 1500 n.Chr. entstanden Kleinstaaten, die sich Anfang des 16. Jahrhunderts gegen die eindringenden Spanier wehrten. Heute leben noch etwa sechs Millionen Maya in Zentralamerika.
DIE FALSCHEN PROPHETEN
Harold Camping hat das von ihm selbst angekündigte Ende der Welt zwar überlebt. Doch zur Strafe erhielt er im Herbst 2011 den satirischen Ig-Nobelpreis (von englisch „ignoble”: unwürdig, schmachvoll) für zweifelhafte wissenschaftliche Leistungen. Dabei hatte der amerikanische Radioprediger sich so viel Mühe gegeben. Nach früheren Fehlprognosen hatte er anhand einiger Bibelstellen und mithilfe der Grundrechenarten exakt den 21. Mai 2011 als Tag des Weltgerichts kalkuliert. Das Preis-Komitee verlieh dem 89-Jährigen und anderen gescheiterten Untergangspropheten dafür die auch als Anti-Nobelpreis bekannte Auszeichnung im Bereich Mathematik. Sie hätten „die Welt gelehrt, dass man mit mathematischen Annahmen und Berechnungen vorsichtig sein muss”. Den 21. Oktober, für den Camping den Weltuntergang ersatzweise terminiert hatte, wartete die Jury gar nicht mehr ab.
Bei allem verdienten Spott – Camping steht in einer langen Tradition. Jesus selbst verkündete in Markus 9, Vers 1, das Ende der Welt noch zu Lebzeiten mancher Jünger, wenn auch nicht auf den Tag genau: „Wahrlich, ich sage euch: Es stehen etliche hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis dass sie sehen das Reich Gottes mit seiner Kraft kommen.” Die wuchtigsten Untergangs-Szenarien der Bibel bietet Johannes in seiner Offenbarung. Er war wahrscheinlich nicht identisch mit dem Apostel Johannes, sondern ein Wanderprediger. Seine Visionen schrieb er etwa 100 Jahre nach Christi Geburt nieder. Es sind der Schrecken viele, die der Prophet erblickt: Feuer verbrennt ein Drittel der Erde, Menschen werden von Heuschreckenschwärmen gejagt und von Skorpionen monatelang gequält. Nach dem Jüngsten Gericht müssen die Sünder in einem Feuersee für alle Ewigkeit Qualen erleiden. Doch die Gerechten kommen ins Reich der Glückseligkeit. Gott wird alle Tränen abwischen, „und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen”.
Entgegen ihrem Ruf war die Offenbarung für viele eine verheißungsvolle Prophezeiung. Die gegenwärtige Welt sollte zwar untergehen, doch in der wurden die Christen ohnehin von den Römern verfolgt – der Weltuntergang geschah den Imperatoren ganz recht. Der Endzeit-Spezialist Norman Cohn sah in Johannes sogar einen Feind weltlicher Herrschaft. Mit seiner Apokalypse habe er „ die Christen ganz bewusst darin bestärkt, sich als Menschen zu begreifen, die mit der übrigen Gesellschaft in Konflikt standen”, schrieb der 2007 verstorbene Professor für Geschichte in „Die Erwartung der Endzeit”.
AUF DIE NEUE ZEIT FOLGT DAS JÄHE ENDE
Im Mittelalter boten Hungersnöte und die Pest reichlich Anlass, an das baldige Ende der Welt zu glauben. Es ist jedoch ein Mythos, dass die Christenheit den Untergang zahlengläubig speziell für das Jahr 1000 erwartet hätte. „Die neue Zeit, in der das Abendland lebt, ist immer ‚Spätzeit‘ vor dem Ende”, kommentierte der emeritierte Berliner Kirchenhistoriker Kurt-Victor Selge einmal trocken. Manchmal allerdings ist das Ende besonders nah und tritt sogar blutig ein. Nicht viele Gruppen haben ihren Glauben an ein baldiges neues Reich so teuer bezahlt wie die „Täufer”, früher „Wiedertäufer” genannt. Sie waren ein linker Flügel der Reformation, entstanden 1525 in Zürich. Sie sahen sich selbst als „Gemeinde Christi”, erkannten keine Obrigkeit an und auch keine kirchlichen Sakramente außer der Taufe.
Sie breiteten sich rasch aus, vor allem in Holland. Der besonders radikale Kürschner Melchior Hoffmann aus Schwäbisch Hall berechnete – als früher Vorgänger Campings – den Weltuntergang anhand der Bibel für Ostern 1533. Der Planet drehte sich weiter, und Hoffmann landete im Gefängnis. Doch viele Täufer wollten das Gottesreich nun selbst errichten. Ihr Anführer, der Bäcker Jan Matthysz aus Haarlem, sah das „neue Jerusalem” im westfälischen Münster. Dort hatten die Täufer viele Glaubensbrüder. Nur diese Stadt werde beim – lediglich aufgeschobenen – Weltuntergang verschont bleiben.
DER TÄUFER UND DIE 16 FRAUEN
Immer mehr Täufer kamen nach Münster und übernahmen die Macht. Andersgläubige Einwohner mussten sich taufen lassen oder gehen. Die Eiferer zerstörten Altäre, zerschlugen Heiligen-Statuen und verwüsteten den Dom. Das Geld wurde abgeschafft, die „freiwillige Gütergemeinschaft” Pflicht. Männer durften mehrere Frauen haben – es herrschte schließlich ein großer Überschuss an Frauen, nachdem hauptsächlich die Männer geflohen waren und die Frauen zum Schutz ihrer Häuser zurückgelassen hatten. Jan von Leiden, der sich 1534 zum König ausrufen ließ, hatte eine Hauptfrau und 15 Nebenfrauen.
Die Truppen des draußen regierenden Bischofs konnten die Stadt nicht einnehmen, da sie hervorragend befestigt war. Doch er ließ sie 16 Monate lang belagern. Drinnen herrschte schrecklicher Hunger. Am 24. Juni 1535 wurde die Stadt verraten, und Landsknechte richteten ein zweitägiges Gemetzel an. Fast alle Männer fielen ihm zum Opfer. Was Luther als „das grob Teufelsspiel zu Münster” beschimpfte, war zu Ende – quasi eine lokale, selbst herbeigeführte Apokalypse.
Gemessen an diesem grimmigen Drama sind zahlreiche andere Untergangsprophezeiungen aus heutiger Sicht unterhaltsame Folklore. Insbesondere abgeschiedene Gegenden in Bayern haben viele Seher hervorgebracht. Der populärste ist der Mühlhiasl, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelebt haben soll. Er kommt in Heimatromanen vor, ist der Held mehrerer Volksschauspiele, hat einen Film von Werner Herzog inspiriert und einen Song der Pop-Gruppe „Haindling” bereichert. Es gibt sogar nach ihm benannte Wirtshäuser. Berühmt wurde eine Prophezeiung von ihm, in der er den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vorhergesagt haben soll: „An dem Tag, an dem zum ersten Mal der Eiserne Wolf auf dem Eisernen Weg durch den Vorwald bellen wird, an dem Tag wird der große Krieg angehen!” Und wahrhaftig – kurz vor Kriegsbeginn donnerte im August 1914 der erste Zug auf der Strecke Deggendorf-Kalteneck durch den Vorwald. Für den Zweiten Weltkrieg wird eine ähnlich verblüffende Ankündigung gehandelt.
GESCHICKT KANALISIERTE ÄNGSTE
Dumm ist nur: Beide Prophezeiungen stehen nicht in der Sammlung von Mühlhiasl-Weissagungen, die der Pfarrer Johann Evangelist Landstorfer 1923 im Straubinger Tagblatt veröffentlichte. Offenbar wurden sie erst hinzuerfunden, als die Kriegsgeschichte längst bekannt war. Zu diesem Schluss kommt Reinhard Haller, der an der Universität Passau Volkskunde lehrte und dem Wald-Weisen ein Buch gewidmet hat. Er hält den Mühlhiasl für eine Sagenfigur, für deren Leben es keine Belege gebe. Laut Haller bringen die Orakel einfach die Ängste des Volks in eine prophetische Form.
Zweifellos gelebt hat dagegen Dorothy Martin. Ein Forscherteam um den amerikanischen Sozialpsychologen Leon Festinger beobachtete 1954 in Lake City, Minnesota, wie Martins kleine Sekte, die „Seeker”, kurz vor Weihnachten den Weltuntergang erwartete. Eine große Flut würde weite Teile der Erde verwüsten, wollte die Hausfrau und Sektenführerin von einem höheren Wesen erfahren haben. Fliegende Untertassen würden sie und ihre Getreuen retten. Die Seeker warteten in der Kälte – doch nichts geschah. Nach kurzer Verwirrung erhielt „Mrs. Keech”, wie sie später im Forschungsbericht genannt wurde, eine Nachricht mit Glückwünschen von oben: Der feste Glaube der Sekte habe die Welt gerettet. Voller Stolz missionierten die Seeker eifriger denn je.
Festinger sah darin eine typische menschliche Reaktion auf ein Phänomen, das er „kognitive Dissonanz” nannte. Es entsteht, wenn feste Überzeugungen in Konflikt mit der Realität geraten. Durch ihren missionarischen Eifer überzeugten die Seeker sich und ihre Glaubensbrüder, dass ihre Vorstellungen doch stimmten. Das ist allerdings nur ein möglicher Ausgang unerfüllter Ankündigungen. Manche Sekten lösen sich auch auf. Die meisten allerdings interpretieren den Fehlschlag so elegant um, dass sie keineswegs vom Glauben abzufallen brauchen. Ihnen wird beispielsweise auf einmal klar, dass die Prophezeiung nie ernst gemeint war, sondern nur ein Test ihres Glaubens ist – den sie natürlich mit Bravour bestanden haben. Oder sie glauben schlagartig zu erkennen, dass die Prophezeiung für ihren Glauben gar nicht so wichtig ist, weil andere Inhalte viel zentraler sind.
Am besten können offenbar straff organisierte Glaubensgemeinschaften Zweifel ihrer Anhänger zerstreuen. Das klassische Beispiel sind die Zeugen Jehovas, die nach ihrer Gründung im 19. Jahrhundert alle paar Jahre den nahen Untergang ausriefen. Manche Anhänger ließen sich keine Zähne plombieren, weil sich das nicht mehr lohne. Wenn die Welt nach dem angekündigten Jahr immer noch stand, erläuterten die Oberen, dass die Endzeit in Wirklichkeit sehr wohl begonnen habe, nur eben im spirituellen Sinn. Wurde das Gemurre einmal zu laut, säuberten die Glaubenswächter die Reihen von Zweiflern.
Verordnete SELBSTMORDÜbungen
Manche Sektenführer allerdings lassen es auf ein Scheitern der Prophezeiungen gar nicht erst ankommen. Sie führen den Untergang selbst herbei, jedenfalls für ihre eigene Gemeinschaft. Jim Jones war ein methodistischer Pfarrer, der in den 1950er-Jahren durch besonders fortschrittliche Ansichten auffiel. Er war für Bürgerrechte und gegen Rassentrennung, was in seiner amerikanischen Gemeinde oft nicht gut ankam. So gründete er 1956 in Indianapolis seine eigene Kirche, den „People’s Temple”. Zu seiner Lehre gehörten Anleihen bei Karl Marx, Josef Stalin, Adolf Hitler, Mahatma Gandhi sowie ein für 1967 anstehender Weltuntergang.
Nachdem der Untergang nicht kam und Jones immer mehr kritische Zeitungsartikel über sich lesen musste, ließ er sich 1977 mit seinen Anhängern im südamerikanischen Guyana nieder. Seine Dschungelsiedlung Jonestown erklärte er zum „Gelobten Land”. Dort errichtete er eine Schreckensherrschaft mit Prügelorgien und Selbstmordübungen. Ein amerikanischer Kongressabgeordneter und mehrere Reporter reisten in den Urwald, um Schreckensmeldungen nachzugehen. Sie wurden von Sektenmitgliedern ermordet. Unmittelbar danach machte Jones endgültig ernst. Er befahl seinen Anhängern, ein Getränk mit Zyankali zu sich zu nehmen. Wer sich weigerte, wurde mit einer vorgehaltenen Waffe gezwungen zu trinken oder erschossen. Über 900 Menschen starben, unter ihnen 270 Kinder, denen die Mütter das Gift gegeben hatten. In Europa entschieden sich die „Sonnentempler” für einen ähnlich gruseligen Weg. Der französische Uhrmacher Joseph Di Mambro und der belgische Homöopath Luc Jouret kreierten ihren Orden Anfang der 1980er-Jahre aus verschiedenen Vorläufern. Ihre Botschaft war ein Gebräu aus altägyptischer Symbolik und mystischen Ideen der Rosenkreuzer.
GASMASKEN ZUM ÜBERLEBEN
Dazu kamen apokalyptische Untertöne ökologischer Prägung. Die Wälder lägen im Sterben, die Umweltkatastrophe werde ungeheure Ausmaße annehmen. Ursprünglich wollten die Sektenmitglieder die Zerstörung in abgelegenen Bauernhöfen aussitzen. Zeitweise hatte jedes Mitglied für den Weg dorthin eine „Überlebenstasche” mit Gasmaske, Tabletten zur Wasserreinigung und anderen Utensilien unterm Bett. Die Vorhersagen wurden düsterer, als die Sektenführung in den 1990er-Jahren unter Druck geriet. Mitglieder waren hinter die optischen Tricks gekommen, mit denen Di Mambro im Kultraum magische Erscheinungen erzeugte. Immer mehr Anhänger suchten das Weite, darunter sein eigener Sohn. Am 30. September 1994 wurde es richtig kriminell: Di Mambro ließ seinen ehemaligen Hausverwalter und das frühere Kindermädchen seiner Tochter in Kanada ermorden – samt dem Säugling der beiden.
Der Grund war angeblich ein Sakrileg des Ehepaars. Es hatte gewagt, seinem Kind den Vornamen von Di Mambros eigenem „ kosmischem Kind” zu geben: Emmanuelle. Di Mambro bereitete nun die Abreise aus dem widrigen Erdendasein vor. Der – irgendwie mit Sirius verknüpfte – „Blaue Stern” werde kommen und die letzten Getreuen dorthin ins All zurückholen, woher die Menschen einst gekommen seien. Allerdings müssten sie sich vorher „von aller Bindung an die Erde lösen”. Dann würden sie „ihre niemals verlorene Unsterblichkeit, die jedoch bislang verborgen war”, wiederfinden.
Anfang Oktober 1994 zählte die Polizei nach einem Großbrand in einem Bauernhof im Schweizer Kanton Freiburg 23 erschossene Sektenmitglieder – kreisförmig angeordnet wie die Strahlen der Sonne. Weitere Opfer fanden sich wenig später in drei Chalets im Kanton Wallis, unter ihnen Di Mambro und Jouret selbst. Sie waren an einem Medikamenten-Cocktail gestorben. Nachzügler brachten sich 1995 in Frankreich und 1997 in Kanada um, womit sich die Zahl der Opfer des Kults auf 74 erhöhte. Einige hatten nach dem ersten Massensterben gegenüber der Polizei bedauert, dass sie bei diesem „Transit” nicht hatten dabei sein dürfen. ■
Der Wissenschaftsjournalist JOCHEN PAULUS findet es frappierend, wie sehr Menschen einem absurden Glauben verfallen können.
von Jochen Paulus
KOMPAKT
· Weltuntergänge verheißen denen, die daran glauben, oft herrliche Zeiten.
· Fällt der Untergang aus, so lenken viele Prediger geschickt von ihrer bisher vorherrschenden Argumentation ab.
· Immer wieder enden fanatische Untergangsszenarien im Massenselbstmord.
LESEN
Bernd Harder 2012 oder wie ich lernte, den Weltuntergang zu lieben Leitfaden für Endzeit-Liebhaber Herder, Freiburg 2011, € 14,95
Alexander K. Nagel (Hrsg.) Apokalypse Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik Campus, Frankfurt/Main 2008, € 24,90
Bernd Schipper, Georg Plasger (Hrsg.) Apokalyptik und kein Ende? Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, € 20,95
Helmut Lahrkamp Das Drama der „Wiedertäufer” Aschendorff, Münster 2004, € 8,80
Jon R. Stone Expecting Armageddon Essential Readings in Failed Prophecy Routledge, New York 1999, ca. € 30,–
Nikolai Grube MAYA – GOTTKÖNIGE IM REGENWALD Ullmann/Tandem, Potsdam 2007, € 39,99 (Neuauflage)
Nikolai Grube DER DRESDNER MAYA-KALENDER Der vollständige Codex Herder, Freiburg, geplant für 2012, € 19,90
INTERNET
Der Religionswissenschaftler John Gordon Melton über Leon Festingers Theorie der Kognitiven Dissonanz: Spiritualization and reaffirmation – What really happens when prophecy fails journals.ku.edu/index.php/amerstud/ article/view/2545/2504
Wie Harold Camping den Weltuntergang errechnete: worldwide.familyradio.org/en/graphical/ literature/judgment/judgment.html
Astronomische 2012-Aufklärung www.scienceblogs.de/astrodicticum- simplex/weltuntergang-2012-fragen-und-antworten.php
AUSSTELLUNG
Das Buchmuseum der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden präsentiert den Codex Dresdensis ab 24. Februar 2012 in einer Sonderausstellung. Weitere Informationen: www.slub-dresden.de
„Apokalypse als Machtinstrument”
Hansjörg Hemminger
ist Beauftragter für Weltanschauungsfragen bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er wurde 1948 in Rottweil geboren und hat in Tübingen und Freiburg Biologie und Psychologie studiert. In Freiburg hat er sich über die Verhaltensbiologie des Menschen habilitiert. Hemminger war von 1984 bis 1996 wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen und von 1996 bis 1998 als Sachverständiger Mitglied der Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen” des Deutschen Bundestags.
bild der wissenschaft: Wie werden Sie mit dem Thema Weltuntergang konfrontiert, Herr Dr. Hemminger?
Hansjörg Hemminger: Mir begegnen immer wieder Menschen, die ernsthaft mit dem baldigen Ende der Welt rechnen. Sie kommen vorwiegend aus dem esoterischen und randchristlichen Milieu. Ich kenne aber sehr viel mehr Leute, die nicht sicher damit rechnen, aber irgendwie verängstigt sind. Sie haben etwa von den Vorhersagen über das Weltende 2012 gehört. Daran glauben sie nicht so recht, suchen aber nach einer Autorität, die ihnen das sagt.
Und wer sind die wirklich Untergangsgläubigen?
Sie gehören zu festen Gruppen, die ein apokalyptisches Szenario vertreten. Der Klassiker ist die Gemeinschaft „Fiat Lux” im Südschwarzwald. Sie wurde 1980 von einer Frau gegründet, die sich „Uriella” nennt und die die Gruppe bis heute führt. Manche kommen zu mir, wenn sie anfangen zu zweifeln und Ausstiegshilfe suchen.
Wenn „Fiat Lux” ein Klassiker ist, was ist dann im Moment die Avantgarde?
Zulauf hat die freie Szene des Propheten-Markts. Da gibt es sowohl christliche Propheten – der bekannteste ist vielleicht der Amerikaner Harold Camping – als auch esoterische Verkünder. Sie behaupten zum Beispiel, sie hätten durch mediale Kontakte mit überaus weisen Aliens erfahren, dass 2012 mit dem Auslaufen des Maya-Kalenders die Welt untergeht.
Welcher Kult ist in Deutschland der prominenteste?
Da sticht keiner heraus. Die Signatur der Zeit ist die Vielfalt. Die Anhänger wollen keine große Leitfigur mehr, sondern eine Autorität zum Anfassen – den Meister, den man in seiner Wohnung besucht oder die Meisterin, zu deren Füßen man sitzt. Das macht die Szene unübersichtlich. Wir haben zahlreiche Fallgeschichten, aber keine quantitativen Daten.
Wie muss man sich diese Propheten vorstellen?
Man kann vier Typen unterscheiden: Der klassische, biblische Typus predigt, dass Gott der Welt ein Ende setzt. Dieser Typus ist erstaunlich aktiv, gerade in der freikirchlichen Szene. Er liest die Bibel so, als könnte man einen verborgenen Fahrplan der Welt daraus entnehmen, übrigens gegen den ausdrücklichen Wortlaut – aber das macht ja nichts. Der Weltuntergang wird dann zum Teil in großer Unschuld, fast schon Naivität, verkündet. Wenn Sie wollen, können Sie auch dem Telefonbuch den Weltenlauf entnehmen.
Wer gehört noch zu den bibeltreuen Propheten?
Diejenigen, die sich als Besitzer der einzigen Rettungsarche ausgeben – etwa die Zeugen Jehovas. Sie benutzen die apokalyptischen Szenarien als Machtinstrument. Die Urbilder dieser biblischen Varianten sind die Sintflut und die vier apokalyptischen Reiter bei Johannes.
Aber nicht alle Untergangspropheten berufen sich auf die Bibel.
Genau, es gibt die Urbilder auch in säkularisierter Form – das ist der zweite Typus. Nicht Gott, sondern die Welt selbst schlägt zurück. Da gibt es das schreckliche Killervirus oder den Wanderplaneten, der mit der Erde zusammenstoßen wird, wie im neuen Lars-von-Trier-Film „Melancholia”. Diese Variante der Apokalypse wird eigentlich nicht von Propheten verkündet, denn man kann keine Rettungsarche anbieten. Da enthüllt eher ein Verschwörungstheoretiker, was sonst angeblich niemand weiß.
Der dritte Typus …
… ist die esoterische Variante des zweiten. Die entscheidende Figur ist ein Wissender und Sehender, der seine Weisheit aus höheren Erkenntnisquellen zieht. In dieser Weltuntergangsvorstellung gibt es einen Neuanfang. Den Wanderplaneten auf esoterisch kann man also überleben, wenn auch nur im französischen Dorf Bugarach – das ist angeblich der einzige Ort, der die Apokalypse 2012 übersteht.
Wozu entwerfen Menschen solche fantastischen Vorstellungen – gibt es nicht genügend reale Gefahren?
Der vierte Typus knüpft tatsächlich an politische und historische Entwicklungen an, etwa die Vernichtung der Welt durch Atom- waffen. Auch hier sind Verschwörungstheoretiker am Werk, die die Rolle der Wissenden einnehmen in einer Welt von Verblendeten und Manipulierten. Damit können sie sich dann subjektiv eine Identität schaffen.
Warum finden all diese seltsamen Propheten Anhänger?
Alle apokalyptischen Szenarien sind Projektionsflächen für Lebensängste. Die können akut von einer Krise ausgelöst werden oder chronisch sein. Sie entstehen nicht etwa, weil die Gesellschaft kein lohnendes Leben bereitstellt, sondern weil die Ziele unrealistisch hoch sind.
Haben Sie ein Beispiel für diese Lebensängste?
Eine Frau kam zu mir ins Beratungsgespräch. Sie hatte sich ein Identitätsmodell aus den Medien zurechtgelegt: Immer schön und vital sein und mühelos die glückliche Familie und die Karriere unter einen Hut bekommen. Gegen 40 verblasste die Schönheit, und die Karriereleiter endete bei der Chefsekretärin. Sie bekam das Gefühl, dass ihr etwas fehlte. Obwohl ihr Leben gesichert war und sie sich am Konsumrennen der Gesellschaft beteiligen konnte, waren ihre Glücksehnsüchte größer. Ihr wurde bewusst: Da kommt nichts mehr. Die Öde eines Restlebens kann sehr viel Angst machen.
Da soll es helfen, an den nahen Weltuntergang zu glauben?
Objektiv gesehen ändert das natürlich nichts. Aber indem ich meine Existenzängste mit einem drohenden Weltuntergang erkläre, bewältige ich sie ein Stück weit. Der Mensch ist eben seltsam gestrickt: Wenn er die Dinge im Kopf zusammenbringen kann, befriedigt ihn das. Früher wurden dazu reale Katastrophen endzeitlich ausgelegt, zum Beispiel die Pest im Mittelalter. Heute sind lebensbedrohlichen Zeiten nicht mehr der Auslöser.
Gehen Menschen auch wegen echter Probleme in solche Gruppen?
Der depressive Typ kommt aus der Angst, keine Gemeinschaft oder Liebe zu finden. Er sucht die verschworene Gemeinde, die sich zusammenkuschelt, weil sie nur so in die Arche passt. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Anhänger der Zeugen Jehovas deutlich stärker zu Depressionen neigen als der Durchschnitt der Bevölkerung.
Warum verraten uns die großen christlichen Kirchen nicht, wann die Welt untergeht?
In der christlichen Tradition ist sozusagen eine Bremse in das apokalyptische Denken eingebaut: Gott ist der Akteur. Gott ist auch Geheimnis, und das Geheimnis ist nicht entschlüsselbar. Also: Jederzeit und nie kann die Welt zu Ende gehen.
Einzelne Mutige wollten aber hinter Gottes Geheimnis kommen.
Ja, etwa der württembergische Kirchenvater Albrecht Bengel. Er lebte von 1687 bis 1752 und legte den Weltuntergang klugerweise auf den 18. Juni 1836, also absehbar lange nach seinem Tod. Auf die Weise hat er sich nur postum blamiert. So sollte man es als Berechner des Weltuntergangs immer halten. ■
Das Gespräch führte Jochen Paulus
ZEitperioden der MAya – DIE Lange Zählung
Einheit Tage Jahre
Kin 1
Winal = 20 Kin 20
Tun = 18 Winal 360
Katun = 20 Tun 7200 19,7
Baktun = 20 Katun 144 000 394,3
Pictun = 20 Baktun 2 880 000 7885,0
Calabtun = 20 Pictun 57 600 000 157 700,2
Kinchiltun = 20 Calabtun 1 152 000 000 3 154 004,1
Alautun = 20 Kinchiltun 23 040 000 000 63 080 082,1
Der „Lange Zählung” genannte Kalender hatte seinen Nullpunkt am 11. August 3114 v.Chr. – von da an addierte er Tage beziehungsweise größere Einheiten, die auf einem 20er-System beruhten. Grafisch reizvoll sind die Hieroglyphen dieser Kalendereinheiten (links) – von oben nach unten: Kin, Winal, Tun, Katun und Baktun.
Ohne Titel
Die Gerüchteküche im Internet brodelt. Selbst ernannte Propheten schlagen Alarm: Am 21. Dezember 2012, zur Wintersonnenwende, soll es aus sein mit der Menschheit. Oder folgt ein kosmischer Neubeginn? Es kommt darauf an, welchen Visionär man fragt. Dabei scheint es kaum eine Rolle zu spielen, ob der Maya-Kalender, die Azteken oder die Bibel das passende Datum liefern – Hauptsache, die Botschaft stimmt. Bei aller Häme, die klare Köpfe für den Unfug übrig haben: Die Endzeit-Propaganda ist keineswegs harmlos und amüsant – verzweifelte Menschen riskieren deswegen ihre Existenz. Und: Die kulturelle Leistung der Maya wird fehlinterpretiert und missbraucht. Empörte Forscher halten dagegen.
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KEIN ENDE IN SICHT
Der Maya-Kalender muss absurden Untergangs-Szenarien dienen – dabei reicht er noch weit in die Zukunft.
Seite 83
DIE FALSCHEN PROPHETEN
Was passiert, wenn der vorhergesagte Weltuntergang ausbleibt? Fanatiker helfen mit Gewalt nach.
Seite 88
„Apokalypse als machtinstrument”
Der Sektenexperte Hansjörg Hemminger spricht im Interview über die Ängste und Fantasien von Endzeit-Gläubigen.