Die Erfindung der Landwirtschaft war ein prägender Schritt in der Evolutionsgeschichte des Menschen. Doch diese neue Lebensweise brachte unseren Vorfahren nicht nur Vorteile: Für den Einzelnen bedeutet die Abkehr vom Jäger-und-Sammler-Dasein mehr Arbeit und weniger Freizeit, wie das Beispiel der Agta von den Philippinen zeigt. Vor allem der Alltag von Frauen wird dadurch deutlich stressiger, berichten Forscher.
Vor rund 10.000 Jahren ereignete sich ein großer Wandel: Unsere Vorfahren wurden sesshaft und begannen, Landwirtschaft zu betreiben. So wurden aus ehemaligen Jägern und Sammlern nach und nach Bauern. Doch was brachte den Menschen diese sogenannte neolithische Revolution überhaupt? “Lange Zeit galt die Erfindung der Landwirtschaft als Fortschritt, der es den Menschen ermöglichte, einer mühseligen Lebensweise zu entfliehen”, erklärt Mark Dyble von der University of Cambridge. “Inzwischen zeichnet sich jedoch etwas anderes ab.” So könnte das Leben als sesshafter Bauer im Gegenteil sogar mit mehr Arbeit und weniger Freizeit verbunden gewesen sein.
Was an dieser Hypothese dran ist, haben Dyble und seine Kollegen nun bei den Agta untersucht – einer indigenen Bevölkerungsgruppe von den Philippinen. Das Interessante: Die Agta leben traditionell als Jäger und Sammler. Einige Gemeinschaften wenden sich heute jedoch zunehmend auch der Landwirtschaft zu. Um herauszufinden, welche Auswirkungen diese beiden Lebensweisen auf den Alltag haben, begleiteten die Wissenschaftler zwei Jahre lang 359 Mitglieder aus insgesamt zehn unterschiedlichen Agta-Gemeinschaften. Wie sah ein typischer Tag bei diesen Menschen aus? Wie viel Zeit wendeten sie für Arbeit, Haushalt und Kinder auf – und wie viel Freizeit blieb ihnen?
Vor allem Frauen arbeiten mehr
“Unsere Ergebnisse stützen die Annahme, dass das Jäger-und-Sammler-Dasein viel Zeit für Freizeitaktivitäten lässt. Dies scheint sich zu ändern, wenn Gemeinschaften im kleinen Stil Landwirtschaft betreiben”, berichten die Forscher. Konkret offenbarten die Auswertungen: Je mehr sich eine Gemeinschaft dem bäuerlichen Lebensstil verschrieben hatte, desto härter arbeiteten ihre Mitglieder und desto weniger Freizeit blieb ihnen. Im Schnitt wendeten Agta, die hauptsächlich von der Landwirtschaft lebten, demnach 30 Stunden pro Woche für die damit verbundene Arbeit auf. Ihre benachbarten Jäger und Sammler waren dagegen nur rund 20 Stunden unterwegs, um Nahrung zu organisieren – ihnen blieben dadurch zehn Stunden mehr Freizeit.
Bemerkenswerter Weise kam diese drastische Differenz vor allem durch eine veränderte Lebensweise der Frauen zustande, wie das Wissenschaftlerteam herausfand. Anstatt sich ausschließlich auf nötige Arbeit im Haushalt und die Kindererziehung konzentrieren zu können, mussten die weiblichen Mitglieder Landwirtschaft betreibender Gemeinschaften zusätzlich auf den Feldern arbeiten. Sie hatten dadurch nur halb so viel Freizeit wie Frauen aus Gruppen, in denen ausschließlich gejagt und gesammelt wurde. Warum das weibliche Geschlecht am meisten unter der neuen Lebensweise leidet, ist den Forschern zufolge noch unklar. “Ein Grund könnte sein, dass landwirtschaftliche Arbeit leichter unter den Geschlechtern aufzuteilen ist als beispielsweise Jagen oder Fischen”, spekuliert Dyble.
“Effektive Lebensweise”
Was sagen diese Ergebnisse nun über das Leben unserer Vorfahren aus? Zwar lassen Beobachtungen moderner Jäger und Sammler nicht zwangsläufig Aussagen über deren Vorgänger vor tausenden von Jahren zu. “Sollten die ersten Farmer jedoch tatsächlich härter gearbeitet haben als die Jäger und Sammler, drängt sich eine Frage auf: Warum übernahm der Mensch die landwirtschaftliche Lebensweise überhaupt?”, konstatiert Dybles Kollegin Abigail Page.
Frühere Untersuchungen haben in diesem Zusammenhang nahegelegt, dass das sesshafte Bauernleben unter anderem die Produktivität und das Bevölkerungswachstum förderte sowie der Etablierung hierarchischer politischer Strukturen entgegenkam. “Die Menge an Freizeit, die die Agta genießen, zeigt aber auch, wie effektiv die Jäger-und-Sammler-Lebensweise ist. Die große gemeinsame Freizeit könnte auch erklären helfen, wie es solche Gemeinschaften schaffen, so viel Wissen von Generation zu Generation weiterzugeben”, schließt Page.
Quelle: Mark Dyble (University of Cambridge) et al., Nature Human Behaviour, doi: 10.1038/s41562-019-0614-6