Was ist die Niedrigzinspolitik der EZB?
Die Niedrigzinspolitik der EZB ist ein geldpolitisches Tool, um auf legalem Wege Einfluss auf die Wirtschaft in der Eurozone zu nehmen. Bei diesem Verfahren wird der Leitzins, zu dem sich Banken Geld bei der EZB leihen können, immer weiter gesenkt. Mittlerweile hat er nahezu Null erreicht. Das wird mit niedrigeren Kreditzinsen an Endkunden weitergegeben. Auf diese Weise wird Geld am Markt besonders günstig und Kreditnehmern fällt es leicht, sich zusätzliche Liquidität zu verschaffen.
Dieses Vorgehen funktioniert nur dann, wenn die Geschäftsbanken die vergünstigten Zinsen an die Kunden weitergeben und ihre Zinsen senken. Das ist prinzipiell eingetreten. Allerdings hat diese neue Geldpolitik dazu geführt, dass viele Geldinstitute sogenannte Strafzinsen eingeführt haben. Inzwischen bekommen Kunden für Geld auf der Bank keine Zinsen mehr, sondern müssen Gebühren für das Einlagern bezahlen. Für die Geschäftsbanken ist es nicht mehr interessant, möglichst viel Geld zu haben und bei der EZB einzulagern, da sie ebenfalls Gebühren bezahlen müssen. Deswegen wollen sie die Menschen und Unternehmen eher dazu bringen, Kredite aufzunehmen, als Geld anzusparen.
Darum verfolgt die EZB eine Niedrigzinspolitik
Mit der Niedrigzinspolitik verfolgt die EZB ganz unterschiedliche Ziele. Unter anderem soll die Nachfrage nach Krediten bei den Banken steigen. Menschen und Unternehmen können somit über Vergleichsanbieter günstige Kredite während der Niedrigzinsphase finden und investieren, was zum einen die Wirtschaft ankurbelt, zum anderen Privatkäufe teurer Objekte wie eines Hauses möglich macht.
Die EZB möchte, dass das einfache Sparen von Geld uninteressant wird, sodass die Menschen Ihr Geld eher ausgeben. Langfristig soll hierdurch eine Steigerung beziehungsweise Stabilisierung des Geldwerts erzielt werden.
Ein weiteres Anliegen der EZB ist es, die Euro-Zone zu stabilisieren. Infolge der Finanzkrise von 2008 und der Schuldenkrise von 2009 drohte der Euro zu einem gescheiterten Projekt zu werden. Der damalige EZB-Chef Mario Draghi wollte dies unbedingt verhindern und hat deswegen die Niedrigzinspolitik als Mittel ergriffen. Er wollte den stark verschuldeten südeuropäischen Ländern die Möglichkeit geben, sich frisches Geld am Markt zu besorgen und hierdurch eine wirtschaftliche Stabilität zu erreichen.
Es wird immer schwieriger, auf herkömmlichem Wege für das Alter vorzusorgen
Eine unmittelbare Folge der Niedrigzinspolitik ist, dass es immer schwieriger wird, für das Alter vorzusorgen. Weder die Konten bei den Banken noch Geldanlagen wie Sparbücher werfen noch Zinsen ab. Im Gegenteil drohen Gelder, die gespart werden, durch die kalte Progression an Wert zu verlieren. Wer heutzutage noch eine Lebensversicherung hat, bekommt mit großer Wahrscheinlichkeit nur einen Bruchteil dessen, womit bei Vertragsabschluss zu rechnen war. Denn die Banken können das vorhandene Geld nicht nutzen, um Gewinne zu erwirtschaften, weswegen kaum Geld an die Kunden in Form von Zinsen weitergegeben werden kann.
Betriebswirtschaftler empfehlen den Menschen deshalb, im Rahmen der Altersvorsorge in Aktien zu investieren. Diese versprechen Renditepotenziale von realistischen 3-6%, wovon Sparbuchbesitzer nur noch träumen können. Der Einstieg in den Aktienmarkt stellt für viele Deutsche allerdings nach wie vor eine große Hemmschwelle dar, die es zu überwinden gilt.
Immobilienpreise werden nahezu unbezahlbar
Eine weitere Folge der Niedrigzinspolitik besteht in steigenden Immobilienpreisen. Da Geldanlagen heutzutage quasi kein Geld mehr abwerfen, müssen sich Investoren andere Möglichkeiten suchen, um ihr Geld zu investieren. Viele entscheiden sich deshalb für den Kauf von Immobilien. Gerade in Ballungszentren werden Häuser als Wertanlage gekauft und nicht, um darin zu wohnen oder diese zu vermieten. Entsprechend steigen die Immobilienpreise aufgrund der erhöhten Nachfrage kontinuierlich an, was den Wert und den Preis der einzelnen Immobilien weiter nach oben treibt. Ein Teufelskreis beginnt, der in einer Immobilienkrise enden könnte.
Vielen Normalverdienern ist es daher mittlerweile nicht mehr möglich, sich aus eigenen Mitteln den Traum vom eigenen Haus zu erfüllen. Selbst mit einem beachtlichen Startkapital ist es schwierig, eine Immobilie in einem Ballungszentrum zu erwerben. Es zeigen sich vermehrt Ausweichbewegungen in die Speckgürtel, doch auch hier sind die Preise bereits so gestiegen, dass viele Häuser kaum noch bezahlbar sind. Ebenso steigen die Preise für Mietwohnungen beziehungsweise die Mieten kontinuierlich an: Es finden aktuell Verdrängungsprozesse aus den Ballungszentren statt, weil sich viele Normalverdiener die aktuellen Mieten nicht mehr leisten können.
Dank der Niedrigzinspolitik müssen Normalverdiener auf der anderen Seite jedoch gar nicht unbedingt auf Eigenkapital zurückgreifen. Die historisch niedrigen Kreditzinsen ermöglichen einen Hauskauf zu attraktiven Konditionen.
Die Bildung von Oligopolen und daraus resultierender Lohnkampf
Die Niedrigzinspolitik der EZB hat zudem Auswirkungen auf den Einzelhandel. Viele gewachsene Strukturen haben sich bereits aufgelöst. Das zeigt sich unter anderem an einer sinkenden Angebotsvielfalt. Einige Geschäfte und Unternehmen haben den wachsenden Preiskampf nicht überstanden und mussten Insolvenz anmelden. Entsprechend herrscht in vielen Ländern ein Oligopol vor, bei dem vielen Nachfragende einer überschaubaren Zahl an Anbietern und Unternehmen gegenüberstehen. Entsprechend können die verbliebenen Unternehmen die Preise weitestgehend diktieren. Hierdurch steigt der Lohnkampf zwischen den Arbeitnehmern. Die verbliebenen Betriebe können sich frei aussuchen, wen sie beschäftigen und wen nicht. Der daraus resultierende Konkurrenzdruck bedeutet für viele Arbeitnehmer psychische Belastungen und eine sinkende Lebensqualität.
Wachsende Verschuldung bei immer mehr Menschen
Aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB ist eine Zunahme der Verschuldung von Menschen in der Eurozone festzustellen. Immer weniger Zinsen und Einnahmen stehen einer wachsenden Zahl an Kosten gegenüber. Die günstigen Kredite können häufig nicht zielführend investiert werden, sondern werden für akute finanzielle Engpässe oder Anschaffungen benötigt. Während die Ersparnisse des Bundes durch die Niedrigzinspolitik immer weiter ansteigen, haben Sparer immer weniger Geld zur Verfügung.
16.10.2020