Von globalen Handelsbeziehungen erhoffen sich viele Länder eine allgemeine Steigerung der Einkommen und des Lebensstandards. Eine Studie verdeutlicht nun allerdings anhand von Daten der letzten 50 Jahre, dass sich diese Hoffnung nur teilweise erfüllt hat. Tatsächlich trug die Globalisierung dazu bei, Ungleichheiten zwischen verschiedenen Ländern zu verringern. Innerhalb der Länder ist die Schere zwischen Arm und Reich allerdings weiter auseinandergegangen. Denn Einkommenszuwächse verzeichneten vor allem die obersten zehn Prozent.
Im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung knüpfen Länder weltweite Handelsbeziehungen und schließen Abkommen, um grenzüberschreitende Waren- und Kapitalströme zu ermöglichen und zu vereinfachen. Auf diese Weise entstehen weltweite Märkte und die daran beteiligten Volkswirtschaften wachsen enger zusammen. Das ermöglicht es Unternehmen beispielsweise, die günstigsten Produktionsstandorte auszuwählen und ihre Produkte weltweit zu verkaufen. In der Theorie soll das zu mehr Wohlstand für alle führen. Doch wer profitiert tatsächlich von der Globalisierung?
Ungleichheit zeichnet sich ab
Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage haben Valentin Lang von der Universität Mannheim und Marina Tavares vom Internationalen Währungsfonds in Washington, D.C., Daten zu Handels- und Finanzströmen sowie Regulierung aus den vergangenen 50 Jahren kombiniert. Diese setzten sie in Bezug zu den unterschiedlich schnellen und regional konzentrierten wirtschaftlichen Liberalisierungsmaßnahmen in den einzelnen Ländern und werteten aus, wie sich das Pro-Kopf-Einkommen jeweils verändert hat. Dabei betrachteten sie sowohl den Durchschnitt der gesamten Bevölkerung, als auch nach Einkommen gestaffelte Gruppen.
„Die wirtschaftliche Globalisierung führt im Durchschnitt zu erheblichen Einkommensgewinnen“, berichten Lang und Tavares. „Diese Gewinne sind jedoch ungleich zwischen den Menschen auf der Welt verteilt.“ So stellten sie fest, dass die Ungleichheit zwischen verschiedenen Ländern mit zunehmender Einbindung in ein globales Handelsnetz abgenommen hat. Innerhalb der Länder sind dagegen die Einkommensunterschiede gestiegen. „Überrascht hat uns vor allem, dass diese Differenzen vor allem durch die Zugewinne der Reichsten entstanden sind und dass die niedrigen Einkommensgruppen wenig bis gar nicht profitierten“, sagt Lang.
Erklärung für Globalisierungs-Skepsis
Betrachteten die Forschenden jeweils verschiedene Einkommensgruppen innerhalb der Länder einzeln, so zeigte sich, dass sich nur in der Gruppe der obersten zehn Prozent Gewinne feststellen ließen. Und selbst innerhalb der Gruppe der zehn Prozent reichsten Menschen war es nur das oberste Prozent, das tatsächlich einen signifikanten Einkommenszuwachs verzeichnete. Auf das Einkommen der übrigen Menschen wirkte sich die Globalisierung dagegen kaum aus. „Der Anstieg der nationalen Ungleichheiten ist also eher auf steigende Einkommen für die Reichen als auf sinkende Einkommen für die Armen zurückzuführen“, schreiben die Forschenden.
Zusätzlich stellten sie fest, dass die positiven Auswirkungen der Globalisierung im frühen und mittleren Stadium am stärksten sind. „Aber die Wachstumseffekte einer weiteren Globalisierung nehmen mit zunehmendem Globalisierungsgrad ab. Für die am stärksten globalisierten Länder gibt es keine Hinweise auf einen positiven Wachstumseffekt weiterer Globalisierung“, erklärt das Team. „Die Vorteile der Globalisierung nehmen im Laufe des Integrationsprozesses ab, während die Verteilungskosten steigen.“
Die Ergebnisse könnten aus Sicht der Forschenden auch erklären, warum gerade in stark globalisierten Ländern die Skepsis gegenüber der Globalisierung wächst. „Zukünftige Forschungen könnten mehr Licht auf die politischen Implikationen der globalen Verteilungseffekte der Globalisierung werfen“, so das Team.
Quelle: Valentin Lang (Universität Mannheim) et al., The Journal of Economic Inequality, doi: 10.1007/s10888-023-09593-7