Wörter und Grammatik unterscheiden sich deutlich – doch auch durch charakteristische Sprachlaute heben sich die verschieden Sprachfamilien der Menschheit voneinander ab. Welche Faktoren könnten dies geprägt haben? Bei der Entwicklungsgeschichte von Sprachlauten haben möglicherweise auch die typischen Gaumenformen von Menschengruppen eine Rolle gespielt, geht nun aus einer Studie hervor.
Wie sind die menschlichen Sprachen entstanden und was prägte ihre charakteristischen Unterschiede? Bisher hat sich die Forschung bei dieser Frage vor allem auf die Untersuchung kultureller Aspekte konzentriert. Es scheint allerdings auch denkbar, dass feine Unterschiede in der Anatomie der Sprachorgane eine Rolle gespielt haben. Es ist allgemein bekannt, dass anatomische Besonderheiten auf der persönlichen Ebene beeinflussen können, wie sich Menschen beim Sprechen anhören. Besonders deutlich wird dies etwa bei Personen mit einer angeborenen Verformung des Gaumendachs.
Feine Unterschiede im Visier
Im Rahmen ihrer Studie sind die Forscher um Dan Dediu vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen nun der Frage nachgegangen, ob subtile anatomische Unterschiede des Gaumens zwischen Bevölkerungsgruppen eine Rolle bei der Entwicklung von Sprachen gespielt haben könnten. Ein zusätzlicher Aspekt war dabei: Während Sprache an neue Generationen weitergegeben wird, können sich manchmal kleine Unterschiede verstärken. So ergab sich die konkrete Forschungsfrage: “Was passiert, wenn winzige Unterschiede in der Vokaltraktanatomie auf kulturelle Übertragung treffen?”
Für ihre Studie untersuchten die Forscher, wie die Form des menschlichen Gaumens die Aussprache von fünf Vokalen beeinflusst, die in verschiedenen Sprachfamilien zu hören sind. Dazu gehörten etwa der „EE“- oder der „OO“-Laut. Sie verwendeten dazu Computermodelle auf der Grundlage von 107 Magnetresonanztomographie-Aufnahmen von Personen, die vier großen ethnolinguistischen Gruppen angehören: Europäer, Nordinder, Südinder und Chinesen. Zunächst konnten sie zeigen, dass es statistisch unterscheidbare Variationsmuster zwischen den Merkmalen des Gaumens bei den vier ethnolinguistischen Gruppen gibt. Mit anderen Worten: Bestimmte anatomische Varianten treten etwa bei Chinesen häufiger auf als bei Europäern.
Auch die Biologie spielt eine Rolle
Am Computer brachten die Forscher die Ergebnisse dann sozusagen virtuell zum Sprechen, um herauszufinden, ob die jeweilige Form des Gaumens die Aussprache der Laute beeinflusst. Dies konnten sie bestätigen: Bei allen Gruppen kommt es zu subtilen Unterschieden in der Akustik und Artikulation der fünf Vokale. Als nächstes ließen die Forscher im Computermodell eine zweite Generation diese speziellen Laute lernen und dann die nächste und so weiter – bis über eine Spanne von fünfzig Generationen hinweg. “Es handelte sich somit um ein Modell des Sprachwandels und der Sprachentwicklung am Computer”, sagt Co-Autor Rick Janssen.
So zeichnete sich letztlich ab: Subtile Unterschiede in der Form des Gaumens können beeinflussen, wie die fünf Vokale artikuliert werden. Die anschließende kulturelle Übertragung der Sprachlaute über Generationen hinweg kann diese sprachlichen Besonderheiten dann noch verstärken. Somit kommt Dediu zu dem Fazit: „Schon kleine Abweichungen in der Form unseres Stimmapparates können sich auf die Art und Weise auswirken, wie wir sprechen, und dies kann sich – über Generationen hinweg – auf die Unterschiede zwischen Dialekten und Sprachen auswirken”, so der Wissenschaftler.
Quelle: Max Planck Institute for Psycholinguistics, Fachartikel: Nature Human Behaviour, doi: 10.1038/s41562-019-0663-x