Es ist relativ einfach, Menschen glauben zu machen, sie hätten ein bestimmtes Ereignis erlebt oder beobachtet, das in Wirklichkeit nie geschehen ist – das haben Forscher schon mehrfach gezeigt. Eine neue Studie hat nun erfolgreich das Gegenteil geschafft: Nachdem die Forscher bei den Probanden zunächst durch suggestive Interviews für falsche autobiographische Erinnerungen gesorgt hatten, vermittelten sie ihnen einfache Techniken, die falschen Erinnerungen als solche zu entlarven. Besonders relevant ist dieses Ergebnis in Zusammenhang mit Zeugenaussagen bei Strafprozessen. Hier stellen falsche Erinnerungen bislang ein gravierendes Problem dar.
Sei es der Hergang eines Unfalls oder eigene Kindheitserlebnisse: Oft sind wir davon überzeugt, uns genau an bestimmte Situationen zu erinnern. Je mehr wir darüber nachdenken, desto lebhafter und detailreicher werden die Bilder vor unserem geistigen Auge – und doch können sie falsch sein. Gerade in Strafprozessen können solche Scheinerinnerungen zu Problemen führen, wenn Zeugen fest davon überzeugt sind, etwas erlebt oder beobachtet zu haben, das aber nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmt. In zahlreichen Studien haben Forscher bereits gezeigt, wie beispielsweise suggestive Fragen solche Scheinerinnerungen hervorrufen können. Eine Lösung des Problems stand dagegen bislang weniger im Fokus.
Falsche Kindheitserinnerungen
Damit hat sich nun ein Team um Aileen Oeberst von der FernUniversität Hagen beschäftigt. „Während es in mehreren Studien gelungen ist, falsche Erinnerungen in Interview-Settings zu induzieren, stellen wir Untersuchungen vor, die versuchen, diesen Effekt umzukehren“, so die Autoren. Zu diesem Zweck lösten auch sie bei ihren Probanden zunächst falsche Erinnerungen aus. Um ein möglichst realistisches Szenario zu schaffen, hatte Oebersts Team vorab die Eltern der Probanden gebeten, mehrere negative Kindheitserinnerungen der Probanden zu nennen – beispielsweise die Erfahrung, sich zu verlaufen, in einen Unfall verwickelt zu sein oder Täter oder Opfer einer Sachbeschädigung zu sein. Zusätzlich sollten die Eltern zwei Begebenheiten benennen, die plausibel wären, aber nicht geschehen sind.
In drei suggestiven Interviews wurden die Probanden zu je zwei tatsächlichen und zwei vorgeblichen Ereignissen in ihrer Kindheit befragt. Um Verzerrungen auszuschließen, wusste der Interviewer dabei selbst nicht, welche der Ereignisse wahr und welche falsch waren. Im Anschluss an jedes Interview testeten die Forscher, wie sehr die Probanden glaubten, sich an die jeweiligen Ereignisse zu erinnern. „Die Qualität der Erinnerungen war generell höher, wenn sie sich auf wahre Begebenheiten bezogen“, berichten die Forscher. „Im Verlauf der Interviews stieg die Qualität der falschen Erinnerungen aber signifikant an.“
Woher kommt die Erinnerung?
Mit starker Suggestion in den Interviews gelang es den Forschern, 56 Prozent der Probanden tatsächlich dazu zu bringen, ein erfundenes Ereignis für eine eigene Erinnerung zu halten. Bei Probanden, die nur auf leicht suggestive Weise interviewt wurden, waren es 27 Prozent. Im Folgenden vermittelten die Forscher allen Probanden zwei Strategien, um falschen Erinnerungen auf die Schliche zu kommen. Zum einen ermunterten sie die Testpersonen dazu, sich Gedanken zu machen, auf welche Quellen ihre Erinnerungen zurückgehen: Handelt es sich wirklich um eigene Erlebnisse, oder könnten es vielleicht Familienfotos, Erzählungen der Eltern oder andere externe Berichte sein? Bereits dieser Schritt reduzierte den Anteil der Probanden, die glaubten, sich wirklich an die vorgeblichen Erlebnisse erinnern zu können.
Zum anderen machten sie die Probanden mit dem Konzept der Scheinerinnerungen vertraut – verrieten ihnen aber dabei nicht, dass sie ihnen im Versuch selbst solche Scheinerinnerungen untergeschoben hatten. Nach beiden Interventionen sank die Erinnerungsqualität der falschen Erinnerungen bei allen Probanden und nur noch 23 Prozent der Probanden, die starker Suggestion ausgesetzt waren, hielten die angeblichen Erlebnisse für eigene Erinnerungen. Bei den Probanden mit schwach suggestiven Interviews waren es 15 Prozent.
Wenig Einfluss auf echte Erinnerungen
Der Vergleich mit der Qualität echter Erinnerungen zeigte, dass der Effekt nicht darauf zurückzuführen war, dass die Probanden generell ihren eigenen Erinnerungen gegenüber skeptischer wurden. Zwar verringerten die beiden Interventionen auch die Qualität der echten Erinnerungen geringfügig, allerdings deutlich schwächer als bei den falschen Erinnerungen. „Werden die Probanden aufgefordert, die Möglichkeit falscher Erinnerungen in Betracht zu ziehen, trägt das offenbar dazu bei, eine vorherige bestätigende Denkweise zu unterbrechen, in der sie bemüht waren, Erinnerungen abzurufen, die ‚da sein müssen‘“, schreiben die Forscher.
Der Vorteil der beiden getesteten Methoden ist, dass der Anwender nicht wissen muss, ob eine Erinnerung tatsächlich wahr oder falsch ist. Gerade bei Strafprozessen ist das wichtig, da die objektive Wahrheit in der Regel nicht bekannt ist. Inwieweit die Techniken ähnlich gut funktionieren, wenn die falschen Erinnerungen tiefer im Gedächtnis oder Selbstbild des Probanden verankert sind, als es im Rahmen des Experiments möglich war, ist noch unklar. „Unsere Studie zeigt aber, dass es prinzipiell möglich ist, falsche Erinnerungen rückgängig zu machen, was einen vielversprechenden Ausblick sowohl für die zukünftige Forschung als auch für die Praxis bietet“, so die Forscher.
Quelle: Aileen Oeberst (FernUniversität Hagen, Deutschland) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2026447118