Da ist jemand traurig, beängstigt oder aber fröhlich… Die Gefühle anderer erkennen und angemessen darauf reagieren zu können, ist eine wichtige Fähigkeit des Menschen. Doch worauf basiert die Entwicklung der empathischen Begabung? Inwieweit ist sie vom Geschlecht und dem Umfeld geprägt und vor allem – welche Rolle spielen die Gene? Eine Studie kommt nun zu der Einschätzung, dass etwa zehn Prozent der empathischen Fähigkeiten eines Menschen Veranlagungssache sind.
Kooperation, Konfliktvermeidung, Planung: Ein fundamentales Erfolgsrezept unserer Spezies ist es, mit unseren Mitmenschen klug interagieren zu können. Die dazu notwendige Empathie setzt sich aus zwei Aspekten zusammen: Aus der Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle anderer zu erkennen und der Reaktionsfähigkeit auf diese Signale durch angemessene eigene Emotionen und Verhaltensweisen. Der erste Teil wird als “kognitive Empathie” und der zweite als “affektive Empathie” bezeichnet. Zur Einschätzung des Grads der empathischen Fähigkeiten hat sich in den vergangenen Jahren ein Testsystem etabliert, das auf bestimmten Fragen basiert. Das Resultat ist ein Wert, der beide Aspekte der Empathie umfasst: der Empathie-Quotient (EQ).
Wie vermutlich jeder Mensch anhand persönlicher Erfahrungen erwarten würde, haben frühere Untersuchungen bestätigt: Es gibt beim EQ eine erhebliche Bandbreite – von ausgesprochen einfühlsam bis emotional versteinert. Es zeichnete sich dabei auch bereits ab, dass Frauen im Durchschnitt etwas empathischer sind als Männer. EQ-Tests bestätigten zudem das vergleichsweise geringe Einfühlungsvermögen von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen. Darin spiegeln sich ihre Probleme mit dem Erkennen von Emotionen bei anderen wider – ihre Fähigkeiten zur affektiven Empathie können hingegen intakt sein.
Etwa zu zehn Prozent genetisch geprägt
Um der möglichen Rolle der Veranlagung bei der Entwicklung des EQ auf die Spur zu kommen, hat ein Forscherteam von der University of Cambridge, der Universität Paris Diderot und des Institut Pasteur nun eine umfangreiche genetische Studie durchgeführt. Sie basiert auf Informationen von rund 46.000 Menschen, die online einen EQ-Test absolviert und Speichelproben für genetische Untersuchungen abgegeben haben. Durch Vergleiche zwischen bestimmten Merkmalen des Erbguts und der EQ-Werte konnten die Forscher durch statistische Auswertungen Korrelationen finden und Rückschlüsse über die Rolle der Genetik ziehen.
Es zeichnete sich ab: Teilweise sind die Fähigkeiten zum Einfühlungsvermögen beim Menschen tatsächlich auf Veranlagung zurückzuführen. Konkret scheint ein Zehntel der Variation mit genetischen Faktoren verknüpft zu sein, geht aus den Datenauswertungen hervor. Sie bestätigten zudem erneut, dass Frauen im Durchschnitt empathischer sind als Männer. Dieser geschlechtsspezifische Unterschied ist aber nicht genetisch geprägt – es gibt keine Unterschiede in den Genen, die zur Empathie bei Männern und Frauen beitragen, berichten die Forscher.
Damit bleiben zwei mögliche Erklärungen für den geschlechtsspezifischen Unterschied bei den EQ-Durchschnittswerten: Die Entwicklung von Empathie wird durch nicht-genetische Prägung beeinflusst, wie etwa durch Hormoneinflüsse, die auch schon pränatal wirken können. Oder aber nicht-biologische Faktoren, wie die unterschiedliche Sozialisation von Frauen und Männern durch Kultur und Erziehung machen sich bemerkbar.
Noch viele Fragen offen
Auch die bekannte Verknüpfung von geringem Einfühlungsvermögen und Autismus-Spektrum-Störungen spiegelt sich im Erbgut wider, berichten die Forscher: Genetische Varianten, die mit geringerer Empathie verknüpft sind, sind auch mit einem höheren Risiko für Autismus assoziiert, geht aus den Daten hervor. “Die Studie zeigt eine Rolle der Genetik bei der Empathie auf, wir haben aber noch nicht die spezifischen Gene identifiziert”, betont Thomas Bourgeron von der Universität Paris Diderot. “Wir wollen uns nun der weiteren Erforschung der biologischen Hintergründe widmen, die mit individuellen Unterschieden in der Empathie verknüpft sind”, sagt der Wissenschaftler.
Wie er und seine Kollegen betonen, ist allerdings auch die Betrachtung des Ergebnisses aus umgekehrter Sicht sehr wichtig: “Es handelt sich zwar um einen Schritt zum Verständnis der Rolle, die die Genetik in der Empathie spielt. Hervorzuheben ist allerdings, dass nur ein Zehntel der individuellen Empathie-Unterschiede in der Bevölkerung genetisch bedingt sind – sie stehen einem Anteil von 90 Prozent nicht-genetischer Faktoren gegenüber”, gibt Co-Autor Varun Warrier abschließend zu bedenken.
Quellen: University of Cambridge, Institut Pasteur. Originalveröffentlichung: Translational Psychiatry, doi: 10.1038/s41398-017-0082-6