Werkzeuggebrauch will gelernt sein – diese Regel gilt auch für Schimpansen. Sie äffen dabei ebenfalls nicht nur andere nach: Erfahrene Tiere vermitteln dem Nachwuchs die Techniken beim Werkzeuggebrauch. Wie eine Verhaltensstudie nun zeigt, gilt dabei offenbar: Je kniffliger die Aufgabe, desto mehr bemühen sich die Lehrer. Diese Beobachtungen beleuchten auch die Ursprünge der menschlichen Kultur, sagen die Forscher.
Sie sind unsere nächsten Verwandten im Tierreich und das wird auch an vielen Ähnlichkeiten im Verhalten von Mensch und Schimpanse deutlich. So ist etwa bekannt, dass die Menschenaffen Werkzeuge für verschiedene Zwecke selbst herstellen und clever einsetzen. So haben sie etwa komplexe Techniken entwickelt, um Nüsse zu knacken oder Termiten aus ihren Bauten zu angeln. Ein interessanter Aspekt ist dabei, dass die Tiere gruppenspezifische Strategien bei diesen Verfahren hervorgebracht haben, die an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden. So sind unterschiedliche „Affenkulturen“ bei Verhaltensweisen wie dem Nüsseknacken oder Insektenangeln entstanden.
Außerdem zeichnet sich beim Werkzeuggebrauch eine hochentwickelte Form des sozialen Lernens ab: “Es wird oft angenommen, dass nichtmenschliche Primaten Werkzeugfähigkeiten erlernen, indem sie anderen zusehen und dann üben, ohne direkte Hilfe von erfahrenen Werkzeuganwendern zu bekommen”, sagt Stephanie Musgrave von der University of Miami. Doch Beobachtungen der letzten Jahre widersprechen diesen Annahmen. Aus ihnen geht hervor, dass es eine Form von „Unterricht“ gibt. Demnach geben Schimpansen offenbar gezielt Werkzeuge an unerfahrene Jungtiere weiter, um ihnen die Technik zu vermitteln. Die „Lehrtätigkeit“ übernehmen dabei meist die Mütter, zeigen Beobachtungen.
Zwei „Affenkulturen“ im Vergleich
Im Fokus der aktuellen Studie stand nun der Werkzeuggebrauch beim Angeln von Termiten. Musgrave und ihre Kollegen haben dabei die unterschiedlichen Verhaltensweisen von wildlebenden Schimpansengruppen im Goualougo-Dreieck (Kongo) und in Gombe (Tansania) verglichen. Grundsätzlich besorgen sich die Tiere beider Populationen gezielt Pflanzenteile und nutzen sie als Angeln: Sie stecken sie in die Gänge von Termitenbauten. Nachdem sich die Insekten in den Fremdkörpern verbissen haben, ziehen die Schimpansen diese heraus und verspeisen die krabbelnden Leckerbissen. Wie die Wissenschaftler berichten, haben die Schimpansen in Goualougo allerdings ein komplexeres und effektiveres System entwickelt als ihre Artgenossen in Gombe.
Die Goualougo-Schimpansen verwenden für das Termiten-Angeln nacheinander mehrere verschiedene Arten von Werkzeugen, um die Insekten besonders effektiv zum Anbeißen zu bringen. Zudem stellen sie ihre Werkzeuge im Vergleich zu den Gombe-Schimpansen auch gezielt aus bestimmten Pflanzenarten her und passen sie besonders sorgfältig an, berichten die Wissenschaftler. Im Rahmen der Studie gingen sie nun gezielt der Frage nach, ob sich auch die „Lehrtätigkeit“ zwischen den beiden Schimpansengruppen unterscheidet.
Wie sie berichten, stellten sie deutliche Unterschiede bei der Vermittlung des Werkzeuggebrauchs fest. In Goualougo, wo die Technik komplexer ist, überließen die erfahrenen Tiere dreimal häufiger ihr Werkzeug Jungtieren, wenn diese sie dazu aufforderten. Sie gaben sie ihnen auch aus eigenem Antrieb, berichten die Forscher. Solche aktiven Werkzeugangebote beobachteten sie in Gombe hingegen nie und dort weigerten sich die erfahren Tiere auch deutlich häufiger, ihr Werkzeug an unerfahrene Jungtiere weiterzugeben.
Kniffliges wird aktiver vermittelt
Angesichts der Tatsache, dass der Nachwuchs beider Populationen vergleichbar häufig die Werkzeuge anfragt, deuten die Unterschiede auf verschiedene Einstellungen bei den erfahrenen Tieren hin, sagen die Forscher: Das Verhalten der Schimpansen in Goualougo ist offenbar in besonderer Weise auf eine Vermittlung der vergleichsweise kniffligen Technik ausgerichtet. “Die Ergebnisse legen nahe, dass soziales Lernen bei Schimpansen von der Herausforderung abhängen kann: Bei schwierigen Aufgaben spielen erfahrene Tiere offenbar eine zunehmend aktive Rolle”, resümiert Musgrave.
Den Forschern zufolge sind die Ergebnisse nicht nur aus der Sicht der Schimpansenforschung interessant: Informationen dazu, wie diese Tiere ihre Fähigkeiten auf die nächste Generation übertragen, können auch Einblicke in die evolutionären Ursprünge der Kultur beim Menschen geben. “Die Entwicklungsgeschichte unserer Spezies ist durch die Entstehung und Weiterentwicklung komplexer Technologien geprägt. Dies ist auf unsere ausgeprägte Fähigkeit zurückzuführen, Fähigkeiten durch Mechanismen wie Lehren zu übertragen. Die evolutionären Ursprünge dieser Fähigkeiten sind jedoch unklar”, sagt Musgrave sagte. “In diesem Zusammenhang zeigt unsere Arbeit nun, dass die menschliche Neigung, anderen beim Erwerb komplexer Verhaltensweisen zu helfen, zumindest teilweise auf Fähigkeiten aufbaut, die wir mit unseren nächsten Verwandten teilen”, so die Verhaltensforscherin.
Quelle: Washington University in St. Louis, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.1907476116