Warum verbreiten Menschen Fakenews? Erkennen sie nicht, welche Nachrichten unzutreffend sind? Oder ist ihnen der Wahrheitsgehalt egal, solange die Botschaft zur eigenen Einstellung passt? Eine Studie liefert nun eine dritte Erklärung: Demnach sind die meisten Menschen zwar grundsätzlich motiviert, keine falschen Inhalte zu teilen, denken aber zu wenig darüber nach, ob eine Schlagzeile wirklich stimmt. Werden sie dagegen daran erinnert, auf die Akkuratheit der Informationen zu achten, teilen sie mehr Nachrichten höherer Qualität.
In sozialen Medien erreichen Falschnachrichten regelmäßig Tausende Nutzer und tragen dazu bei, das politische Meinungsbild zu prägen. Um gegen die Verbreitung unwahrer Informationen vorzugehen, haben Social-Media-Plattformen bereits verschiedene Strategien erprobt: So blendet beispielsweise Facebook Warnhinweise ein, wenn eine Nachricht als unglaubwürdig identifiziert wurde, und Twitter hat während des US-Wahlkampfes damit experimentiert, das unkommentierte Teilen von Links einzuschränken. Wie erfolgreich solche Strategien sind, ist allerdings bislang unklar.
Wahr oder politisch passend?
Ein Team um Gordon Pennycook von der University of Regina in Kanada hat nun in mehreren aufeinander aufbauenden Experimenten untersucht, warum Menschen Fakenews teilen und was sich dagegen tun lässt. In einem ersten Experiment mit 1.002 Amerikanern baten die Forscher die Hälfte der Probanden, die Richtigkeit von 36 Schlagzeilen zu bewerten. Dabei stimmten die Schlagzeilen teils mit der politischen Überzeugung der Probanden überein, teils widersprachen sie ihr. Die andere Hälfte der Teilnehmer sollte stattdessen angeben, ob sie den jeweiligen Artikel in sozialen Medien teilen würden.
„Wurden die Teilnehmer explizit nach der Richtigkeit gefragt, bewerteten sie wahre Schlagzeilen signifikant häufiger als zutreffend als falsche Schlagzeilen“, berichten die Forscher. Dabei wurden politisch übereinstimmende Überschriften etwas häufiger als richtig eingeschätzt als solche, die der eigenen Einstellung widersprachen. Ging es allerdings ums Teilen der Inhalte, zeigte sich eine andere Verteilung: „Ob eine Überschrift politisch übereinstimmte oder nicht, hatte einen deutlich größeren Effekt auf die Intention, sie zu teilen, als der Wahrheitsgehalt“, so die Forscher. Insgesamt zogen die Befragten in 37,4 Prozent der Fälle in Erwägung, Nachrichten zu teilen, die zwar falsch waren, aber mit ihren Ansichten übereinstimmten, obwohl sie solche Schlagzeilen nur in 18,2 Prozent der Fälle für richtig hielten.
Menschen wollen richtige Inhalte teilen
Auf direkte Nachfrage sagten dennoch die meisten Studienteilnehmer, es sei ihnen sehr wichtig, dass Nachrichten, die sie teilen, korrekt sind. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die große Mehrheit der Menschen über das gesamte ideologische Spektrum hinweg nur korrekte Inhalte teilen möchte“, sagt Co-Autor David Rand vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. „Es ist nicht so, dass die meisten Leute einfach sagen: ‘Ich weiß, dass das falsch ist und es ist mir egal.’“
Doch warum teilen dennoch so viele Menschen Falschnachrichten? Einen Erklärungsansatz fanden die Forscher in einem weiteren Experiment. Dabei sollten 1.507 Probanden entscheiden, welche politischen Schlagzeilen sie in sozialen Medien teilen würden. Vor dieser Entscheidungsaufgabe baten die Forscher jedoch einen Teil der Probanden, die Korrektheit einer zufälligen, nicht-politischen Schlagzeile zu bewerten – und lenkten so ihre Aufmerksamkeit auf das Konzept der Richtigkeit. Und tatsächlich: Teilnehmer, die zuvor über die Glaubwürdigkeit von Nachrichten nachgedacht hatten, entschieden sich auch bei den politischen Schlagzeilen seltener dafür, Falschaussagen zu teilen. In zwei weiteren Experimenten mit repräsentativen Stichproben der US-Bevölkerung replizierten die Forscher dieses Ergebnis.
Feldexperiment auf Twitter
Um zu testen, ob sich diese Ergebnisse ganz praktisch in sozialen Medien anwenden lassen, führten die Forscher ein Feldexperiment auf Twitter durch. „Wir erstellten eine Reihe von Bot-Konten und schickten Nachrichten an 5.379 Twitter-Nutzer, die regelmäßig Links zu Webseiten mit Falschinformationen teilten“, erklärt Rands Kollege Mohsen Mosleh. „Genau wie in den Umfrageexperimenten fragte die Nachricht, ob eine zufällige unpolitische Schlagzeile korrekt sei, um die Nutzer dazu zu bringen, über das Konzept der Genauigkeit nachzudenken.“ Tatsächlich teilten Nutzer, die diese Nachricht erhalten hatten, in den folgenden 24 Stunden eher Nachrichten von Webseiten, die professionelle Factchecker als höherwertig eingestuft hatten.
Aus Sicht der Forscher deuten diese Befunde darauf hin, dass einer der wichtigsten Gründe für das Teilen von Falschnachrichten Unaufmerksamkeit ist. Mit einem abschließenden Experiment mit 710 Teilnehmern untermauerten sie diese Hypothese: Wurden die Probanden zunächst gebeten, die Richtigkeit einer Schlagzeile zu bewerten und erst dann zu entscheiden, ob sie sie teilen würden, halbierte sich der Prozentsatz falscher Nachrichten, die die Probanden teilen würden, von etwa 30 auf 15 Prozent. Daraus folgern die Forscher, dass 50 Prozent der zuvor geteilten falschen Schlagzeilen aufgrund von Unachtsamkeit in Bezug auf die Genauigkeit geteilt worden waren. Etwa ein Drittel der geteilten falschen Schlagzeilen wurde von den Teilnehmern für wahr gehalten – was bedeutet, dass etwa 33 Prozent der Fehlinformationen aufgrund von Verwirrung über die Richtigkeit verbreitet wurden. Nur 16 Prozent der falschen Nachrichten wurden geteilt, obwohl die Befragten erkannten, dass sie falsch waren.
Mögliche Interventionen in der Praxis
„Zusammengenommen deuten diese Studien darauf hin, dass Menschen bei der Entscheidung, was sie auf sozialen Medien teilen, oft davon abgelenkt sind, die Genauigkeit des Inhalts zu berücksichtigen“, schreiben die Forscher. Ein Grund dafür sei, dass soziale Medien viele Inhalte in kurzer Zeit präsentieren und die Nutzer schnelle Reaktionen auf geteilte Inhalte bekommen. Das Konzept der Plattformen sei mehr auf Nutzerbindung als auf Genauigkeit ausgelegt. „Doch das muss nicht so sein“, meinen Pennycook und Kollegen. „Unsere Ergebnisse lassen sich leicht in Interventionen umsetzen, die Social-Media-Plattformen nutzen könnten, um den Fokus der Nutzer auf Genauigkeit zu erhöhen.“ Beispielsweise könnten sie ab und zu Nutzer in ihrem Feed dazu anregen, die Korrektheit von Überschriften zu beurteilen.
„Inwiefern solche standardisierten Aufforderungen durch Plattformen aber den gleichen Effekt haben wie eine private Nachricht, wird durch die Studie nicht getestet und wäre eine offene Frage für zukünftige Forschung“, meint Medienprofessorin Lena Frischlich von der Ludwig-Maximilians-Universität München, die nicht an der Studie beteiligt war. Grundsätzlich könne die Studie aber durchaus dazu beitragen, die Verbreitung von Fakenews besser zu verstehen und zu bekämpfen.
Quelle: Gordon Pennycook (University of Regina, Kanada) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03344-2