Eigentlich steht alles still und dennoch sehen wir Bewegungen: Diese Täuschung wird auch bei der Taufliege durch optische Effekte hervorgerufen, haben Forscher festgestellt. An diesem Modell-Tier der Wissenschaft ließ sich auch untersuchen, welche neuronalen Mechanismen dem Wahrnehmungsphänomen zugrunde liegen könnten. Demnach scheinen bei der Fliege unausgewogene Reaktionen von Nerven des Sehsystems den Eindruck der Bewegung auszulösen. Vermutlich ist dies beim Menschen ähnlich, sagen die Wissenschaftler.
Das Bild der Welt entsteht letztlich in unserem Gehirn: Die visuellen Rohdaten werden erfasst, ausgewertet und interpretiert – so erfassen wir Muster, Farben und auch Bewegungen in unserem Sichtfeld. Dabei lässt sich das Gehirn bekanntlich narren – wir nehmen etwas wahr, das nicht der Realität entspricht. Ein Paradebeispiel dafür ist die Bewegungsillusion, wie sie die Beispielabbildung vermittelt: Durch die sich wiederholenden Muster und Kontraste wird die Illusion von Drehbewegungen der abgebildeten Ringe hervorgerufen. Was dieser Täuschung neurologisch zugrunde liegt, ist bisher nicht völlig verstanden.
Getäuschte Taufligen drehen sich
Man vermutete allerdings bereits, dass hellere Bereiche in den Mustern schneller verarbeitet werden, sodass bei einer Abfolge von Schattierungen die Illusion einer Bewegung entsteht. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass feine Augenbewegungen – sogenannte Mikrosakkaden – bei dem Wahrnehmungsphänomen eine Rolle spielen. Klar ist, dass nicht nur der Mensch in bestimmten Schattierungsmustern Bewegung erkennt, wo es gar keine gibt: Aus Experimenten geht hervor, dass dieses Wahrnehmungsphänomen typisch für Wirbeltiere ist. Doch wie ist das bei Insekten? Dieser Frage sind die Forscher um Damon Clark von der Yale University in New Haven durch Untersuchungen an der Taufliege (Drosophila melanogaster) nachgegangen. Die Wissenschaftler nutzten dabei den bekannten Effekt, dass die Insekten ihre Körperausrichtung einer wahrgenommenen Bewegung anpassen: Sie drehen sich der entsprechenden Richtung folgend.
Für die Experimente wurden die Versuchstiere zunächst durch einen feinen Draht fixiert. Die Forscher platzierten sie dann auf einen winzigen beweglichen Ball, den die Insekten mit ihren Füßen drehen konnten. In dieser Konstellation wurden den Fliegen dann Schattierungsmuster präsentiert, wie sie beim Menschen die Illusion einer gerichteten Bewegung nach rechts oder nach links hervorrufen. Es zeigte sich: Die Insekten drehten den Ball mit ihren Füßen in einer Weise, die ihrem Bedürfnis entsprach, sich der Richtung der jeweiligen Illusion anzupassen. Mit anderen Worten: Sie erlagen ebenfalls der optischen Täuschung. “Es war aufregend, festzustellen, dass auch Fliegen Bewegung in statischen Bildern wahrnehmen”, sagt Clark.
Hinweise auf neuronale Mechanismen
Neben dieser Erkenntnis eröffneten die Ergebnisse die Möglichkeit weiterer Untersuchungen. Denn über das visuelle Wahrnehmungssystem von Drosophila ist bereits einiges bekannt und das Modell-Tierchen bietet vergleichsweise viele genetische und neuronale Experimentiermöglichkeiten. Wie die Forscher berichten, wusste man bereits, dass an der Wahrnehmung von Bewegungen zwei Kategorien von Nervenzellen der Fliegen beteiligt sind: T4- und T5-Neuronen. Bei der Untersuchung der neuronalen Aktivität dieser Nerven stellten die Forscher ein charakteristisches Reaktionsmuster fest, das durch die Illusions-erzeugenden Abbildungen hervorgerufen wird.
Weitere Experimente zeigten dann: Durch das Ausschalten beider Neuronentypen konnten die Fliegen die Illusion nicht mehr wahrnehmen. Wurde hingegen selektiv nur eine Version auf genetischem Wege inaktiviert, entstanden Fliegen, die Bewegungsillusionen nur in einer Richtung wahrnehmen konnten. Den Forschern zufolge legt dieses Ergebnis nahe, dass eine Unausgewogenheit bei der Reaktion der beiden neuronalen Bewegungsdetektoren der optischen Täuschung zugrunde liegt. Bei der Wahrnehmung von Illusionen handelt es sich somit vermutlich um ein Nebenprodukt der Strategien des Gehirns zur Verarbeitung von Bewegungen, resümieren die Forscher.
Da es bekannte Ähnlichkeiten zwischen den visuellen Verarbeitungssystemen von Mensch und Fliege gibt, vermuten die Forscher, dass auch unsere Wahrnehmung der Bewegungsillusion auf ähnlichen neuronalen Mechanismen beruht wie bei dem Insekt. Wie sie berichten, haben sie auch Tests mit menschlichen Probanden durchgeführt, deren Ergebnisse diese Vermutung weiter unterstützen. “Der letzte gemeinsame Vorfahre von Fliege und Mensch lebte vor einer halben Milliarde Jahre, aber die Evolution scheint bei beiden Lebewesen zu ähnlichen Strategien bei der Wahrnehmung von Bewegung geführt zu haben”, sagt Clark. “Das Verständnis dieser gemeinsamen Strategien könnte uns helfen, das menschliche Sehsystem besser zu verstehen”, sagt der Wissenschaftler mit Blick auf zukünftige Studien.
Quelle: Yale University, Fachartikel: PNAS, doi:10.1073/pnas.2002937117