Heute gilt sie als die engste akzeptierte Verwandtschaftsbeziehung für Eltern: eine Cousin-Cousine-Verbindung. Wie häufig solche Partnerschaften bei prähistorischen Menschen weltweit vorkamen, beleuchtet nun eine umfangreiche Analyse alter DNA. Demnach wählten unsere Vorfahren trotz oft geringerer Populationsgrößen überraschend selten ihre Cousins oder Cousinen als Partner. Darüber hinaus liefert die Studie weitere interessante Einblicke in die Populationsgenetik der Vergangenheit.
Sie sind die Kinder von Onkeln oder Tanten und haben somit gemeinsame Großeltern: Personen mit dieser Verwandtschaftsbeziehung werden als Cousin oder Cousine ersten Grades bezeichnet. Wie oft es zu Partnerschaften zwischen Menschen mit diesem Verhältnis kommt, ist heute auf der Welt regional sehr unterschiedlich. Bei uns sind sie zwar erlaubt, aber selten. In anderen Kulturen überschreiten sie hingegen oft deutlich die Zehn-Prozent-Marke – viele Kinder entstammen dort Verbindungen mit engem Verwandtschaftsgrad. Vor diesem Hintergrund haben sich nun Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der University of Chicago der Untersuchung der Verwandtschaftsbeziehungen von Eltern bei prähistorischen Menschen gewidmet.
Elterlichen Verwandtschaftsgraden auf der Spur
Dazu analysierten sie bereits vorhandene DNA-Informationen von insgesamt 1785 prähistorischen Menschen, die in den letzten 45.000 Jahren in verschiedenen Regionen der Welt gelebt haben. Die Daten stammten dabei aus Funden von Überresten, aus denen noch Erbgut der Personen gewonnen werden konnte. Um Rückschlüsse auf die elterlichen Verwandtschaftsgrade zu ermöglichen, nutzten die Wissenschaftler typische Ähnlichkeiten im Erbgut: Je näher die Eltern eines Menschen miteinander verwandt waren, desto mehr gleichen sich bestimmte DNA-Abschnitte in seinem Genom und Gemeinsamkeiten treten auch häufiger auf.
Der Nachweis über dieses Verfahren lässt sich bei moderner DNA vergleichsweise leicht durchführen. Die genetische Qualität von Proben aus alten Knochen ist jedoch häufig zu gering, um die Standardmethoden anzuwenden. Deshalb entwickelten die Forscher ein Analyseverfahren, das speziell an die Untersuchung alter Genome angepasst ist. Es ermöglicht nun eine verbesserte Erkennung von identischen DNA-Abschnitten in den oft lückenhaften Sequenzen. „Mithilfe dieser neuen Technik konnten wir mehr als zehnmal so viele alte Genome untersuchen wie bisher”, sagt Erstautor Harald Ringbauer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Die Anwendung des Verfahrens auf die genetischen Daten der 1785 prähistorischen Menschen ergab: Nur in 54 Fällen fand das Team typische Anzeichen dafür, dass die Eltern der jeweiligen Person Cousin und Cousine waren. „Wir kommen zu dem Schluss, dass in unserer Stichprobe deutlich weniger als zehn Prozent aller elterlichen Zusammenschlüsse auf der Ebene von Cousins und Cousinen ersten Grades stattfanden“, resümieren die Wissenschaftler. Diese 54 Fälle traten dabei auch weder geografisch noch zeitlich gehäuft in den untersuchten prähistorischen Populationen auf. Selbst bei den Jägern und Sammlern, die vor mehr als 10.000 Jahren lebten, waren Partnerschaften zwischen Cousin und Cousine die Ausnahme. Offenbar waren Paarungen mit relativ engem Verwandtschaftsgrad somit wohl eher untypisch für die Menschen der Vergangenheit.
Hintergrund-Verwandtschaft im Blick
Wie die Forscher weiter berichten, eröffneten die Ergebnisse auch breitere Einblicke in die prähistorische Populationsgenetik: Sie lieferten Informationen zur Entwicklung der sogenannten Hintergrund-Verwandtschaft. Sie ergibt sich aus Verbindungen von Menschen mit entfernterer, aber dennoch unwissentlich vergleichsweise enger Verwandtschaft. Diese Beziehungsgeflechte sind dabei für relativ kleine Populationen typisch. In den Studienergebnissen spiegelte sich nun ein Effekt des Übergangs zur Landwirtschaft in der kulturellen Entwicklung des Menschen wider: Es kam demnach zu einem Rückgang der elterlichen Hintergrund-Verwandtschaft. Die Forscher konnten bei unterschiedlichen Regionen der Welt damit frühere Erkenntnisse ergänzen und bestätigen, dass durch den Übergang von Jäger-und-Sammler-Gesellschaften zu landwirtschaftlichen Kulturen die jeweiligen Populationsgrößen zugenommen haben.
Die Wissenschaftler sehen in ihrem Verfahren nun erhebliches Potenzial für die zukünftige Forschung. Denn der Wissenschaftszweig „Alte DNA“ entwickelt sich rasant weiter: Jahr für Jahr werden weitere Genome aus Funden sequenziert und stehen für Analysen zur Verfügung. Ihre Methode könnte somit dazu beitragen, genauere Einblicke in die Partnerwahl unserer Vorfahren und die Entwicklung prähistorischer Populationen zu gewinnen, hoffen Harald und seine Kollegen.
Quelle: Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, Fachartikel: Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-021-25289-w