Jod ist in ihrem Lebensraum Mangelware – dennoch können sich Bonobos offenbar ausreichend mit dem Nährstoff versorgen: Forscher haben die Menschenaffen dabei beobachtet, wie sie in den Sümpfen des Kongobeckens jodreiche Wasserpflanzen suchen und fressen. Diese Entdeckung hat möglicherweise eine anthropologische Bedeutung, sagen die Wissenschaftler: Frühe Menschen könnten sich in jodarmen Regionen ebenfalls über Wasserpflanzen mit dem für die Gehirnentwicklung wichtigen Nährstoff versorgt haben.
Jod ist als möglicher Mangelnährstoff allgemein bekannt: Auch in Europa kann es in Bereichen, die von den jodreichen Meeresregionen entfernt liegen, zu einer Unterversorgung kommen. Deshalb wird etwa Speisesalz mit Jod angereichert. Im menschlichen Organismus hat das Element vor allem Bedeutung als Bestandteil des Schilddrüsenhormons. Bei einem Mangel können viele Funktionen beeinträchtigt sein und es drohen schwere Stoffwechsel- und Entwicklungsstörungen. Dadurch ist Jod auch für die Entwicklung des Gehirns und der höheren kognitiven Fähigkeiten ein äußerst wichtiger Nährstoff.
Bei der Erweiterung der Gehirnmasse im Rahmen der menschlichen Evolution kam dem Jod vermutlich auch eine wichtige Bedeutung zu. Dies wirft die Frage auf, wie die Vertreter des menschlichen Stammbaums, die in jodarmen kontinentalen Gebieten lebten, einst ihren Bedarf gedeckt haben. Hinweise können Informationen darüber liefern, wie sich unsere nächsten Verwandten im Tierreich versorgen – die Bonobos genannten Zwergschimpansen. Mit diesem Thema haben sich die Forscher um Gottfried Hohmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig befasst.
Wie decken Bonobos ihren Jodbedarf?
Die zierlichen Menschenaffen leben im Kongobecken, das nach menschlichen Maßstäben als jodarm eingestuft wird. Beim Menschen treten dort oft Mangelsymptome auf, weshalb Jodsalz zum Einsatz kommt. Somit stellt sich die Frage, wie die Menschenaffen dort ihren Bedarf decken beziehungsweise wie frühe Menschenformen dies einst getan haben könnten. Im Rahmen ihrer Studie haben die Forscher das Verhalten zweier Bonobo-Gruppen im LuiKotale-Wald im Salonga Nationalpark in der Demokratischen Republik Kongo untersucht. Ihre Beobachtungen kombinierten sie anschließend mit Daten über den Jodgehalt der von den Bonobos konsumierten Pflanzen.
Wie die Forscher berichten, beobachteten sie die Affen wiederholt dabei, wie sie in Sumpfgebieten offenbar gezielt nach zwei Arten von Wasserpflanzen suchten, die sie anschließend verzehrten. Die Untersuchung dieser Gewächse ergab, dass sie einen überraschend hohen Jodgehalt aufweisen, der im sonst jodarmen Kongobecken eigentlich nicht zu erwarten ist. Die Jodmenge war sogar vergleichbar mit der von Meerespflanzen, berichten die Wissenschaftler.
“Unsere Studie beantwortet zum ersten Mal die Frage, wie Menschenaffen Jod aus natürlichen Nahrungsquellen beziehen können“, sagt Hohmann. Das Thema hat ihm zufolge weitreichende Bedeutung, da viele Populationen in Gebieten leben, die als jodarm bekannt sind. „Auch andere Menschenaffen – wie Schimpansen und Gorillas – wurden bereits beim Verzehr von Wasserpflanzen beobachtet, und auch sie könnten aus diesen Quellen das wichtige Jod gewinnen”, so der Wissenschaftler.
Gab es einst auch menschliche Wasserpflanzen-Fischer?
Wie er und seine Kollegen erklären, liegt die besondere Bedeutung der Studie aber in den Hinweisen auf die menschliche Evolution. “Die Ergebnisse unserer Studie liefern ein Modell dafür, wie sich prähistorische menschliche Populationen, die in das Kongobecken eingewandert sind, mit dem lebensnotwendigen Mineral Jod versorgt haben könnten”, sagt Hohmann.
“Evolutionäre Szenarien gehen davon aus, dass sich entscheidende Entwicklungsschritte der menschlichen Evolution in Küstengebieten abspielten. “Die Ergebnisse unserer Studie liefern Indizien dafür, wie die an maritime Nahrungsressourcen gewöhnten homininen Populationen bei der Besiedlung kontinentaler Tropenwälder ihren Jodbedarf durch den Verzehr von Wasserpflanzen aus Sümpfen im Wald zumindest teilweise gedeckt haben könnten”, resümiert Hohmann.
Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, BMC Zoology, doi: 10.1186/s40850-019-0043-z