Tausende von Waldinseln im Südwesten Amazoniens zeugen von einer erstaunlich alten Kulturlandschaft, berichten Forscher. Auf den künstlich erhöhten Flächen kultivierten Menschen schon vor über 10.000 Jahren Kürbis und Maniok, zeigen Analysen von Pflanzenresten. Bei dem Gebiet handelt es sich demnach um eine der ältesten bekannten Ursprungsregionen der Landwirtschaft, sagen die Wissenschaftler.
Statt nährstoffreiche Pflanzen zu sammeln, begannen die Menschen einst, sie gezielt anzubauen: Die Entwicklung der Landwirtschaft war eine Revolution in der Menschheitsgeschichte, die zur Entstehung aller Zivilisationen führte. Bisher geht man von mindestens vier unabhängigen Zentren der Pflanzen-Domestikation im frühen Holozän aus: im Nahen Osten und in China und zwei im Bereich des heutigen Mexiko. Als eine mögliche fünfte Ursprungsregion gilt zudem bereits seit einiger Zeit der Südwesten des Amazonasgebiets.
Die Hinweise waren dabei bisher allerdings indirekt: In dieser Region kommen zwar die Wildformen von wichtigen Kulturpflanzen wie Maniok, Kürbis, Erdnüsse, Chili und Bohnen vor. Doch bisher fehlten eindeutige archäologische Spuren, die eine Domestikation dieser weltweit wichtigen Nutzpflanzen im Südwesten Amazoniens dokumentierten. Im Fall von Maniok und Kürbis ist dies den Forschern um Umberto Lombardo von der Universität Bern nun gelungen.
Markante Siedlungsspuren
Die archäologischen Belege stammen dabei aus der Moxos-Ebene im nördlichen Tiefland Boliviens. Es handelt sich um eine etwa 110.000 Quadratkilometer große Überschwemmungssavanne: In der Regenzeit wird sie überflutet – von Juli bis Oktober ist sie dagegen extrem trocken, weshalb die Region größtenteils von Grasflächen geprägt ist. In dieser Savannenlandschaft gibt es allerdings zahlreiche Inseln: Es handelt sich um durchschnittlich 0,65 Hektar große Bereiche, die leicht erhöht sind und deshalb nicht überflutet werden. Auf ihnen wachsen Bäume und Büsche, wodurch sie sich auch in der Trockenzeit deutlich von der Graslandschaft abheben.
Eine frühere Untersuchung hatte bereits ergeben, dass viele dieser Waldinseln von der Gegenwart des Menschen geprägt sind. Funde von Skeletten, Holzkohle und Nahrungsresten belegten, dass sie ab vor rund 10.000 Jahren die Heimstätten von Menschen bildeten. Im Rahmen der aktuellen Studie kommen die Forscher um Umberto Lombardo von der Universität Bern nun zu der Einschätzung, dass es in der Moxos-Ebene 4700 Waldinseln gibt, die durch menschliche Besiedlung entstanden sind. Bei 30 von ihnen haben die Wissenschaftler zudem archäobotanische Untersuchungen durchgeführt, um Hinweise auf die Nutzung bestimmter Pflanzen zu erhalten.
Landwirtschaft – vor über 10.000 Jahren
Sie analysierten dazu pflanzliche Mikrofossilien, die im Boden über Zehntausende von Jahren erhalten bleiben können – sogenannte Phytolithe. Dabei handelt es sich um Kieselsäureteilchen, deren Merkmale typisch für bestimmte Pflanzen sind. „Manchmal sagen diese Pflanzenüberreste nur etwas darüber aus, aus welcher Familie eine bestimmte Pflanze stammt, in einigen Fällen jedoch – insbesondere bei domestizierten Pflanzen – kann auf eine ganz bestimmte Art geschlossen werden“, erklärt Lombardo.
Wie die Forscher berichten, konnten sie durch diese Methode nachweisen, dass die Menschen im Bereich der Waldinseln schon erstaunlich früh zwei prominente Kulturpflanzen anbauten: „Wir konnten zeigen, dass das früheste Alter für Maniok im Amazonas 10.350 Jahre ist, für Kürbis 10.250 Jahre und für Mais 6850 Jahre“, sagt Lombardo. „Unsere Studie belegt damit, dass kleine Gemeinschaften, die eine gemischte Wirtschaft betrieben, etwa 8000 Jahre früher als bisher angenommen die Landschaft des Amazonasgebiets zu prägen begannen“, so Lombardo. Die Ergebnisse bestätigen somit auch, dass der südwestliche Amazonas eines der wenigen frühen Zentren weltweit für die Domestikation von Pflanzen war, sagen die Wissenschaftler.
Wie sie betonen, verdeutlicht die Studie zudem, wie früh der Mensch bereits begann, ganze Landschaften zu prägen: „Die sehr frühe Ausbreitung der Menschen in der Region hatte weitreichende Auswirkungen auf die Umwelt“, sagt Lombardo: Die rund 4700 künstlichen Waldinseln, veränderten den ökologischen Charakter dieser saisonal überfluteten Savannen deutlich. „Unsere Studie verändert somit auch das Verständnis über die Chronologie und Intensität des menschlichen Fußabdrucks im Amazonasgebiet“, so der Wissenschaftler.
Quelle: Universität Bern, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2162-7