Der moderne Mensch kann kraftvoller zubeißen als so mancher Menschenaffe. Das hat ein australisches Forscherteam anhand von Computermodellen festgestellt. Zudem steht sein Gebiss dem der frühzeitlichen Hominiden in nichts nach, die an die karge Kost der Savanne angepasst waren und problemlos harte Nüsse zerkleinern oder große Stücke Fleisch abbeißen konnten. Die veränderten Essgewohnheiten des modernen Menschen hätten ihren Studien zufolge bislang keinen Einfluss auf die Entwicklung der Beißkraft gehabt, berichten die Wissenschaftler um Stephen Wroe von der University of New South Wales in Sydney.
Frühmenschen wie der Australopithecus africanus oder der auch als Nussknackermensch bekannte Paranthropus boisei konnten kräftig zubeißen. Mit ihren Backenzähnen, die bis zu viermal größer waren als die des heutigen Menschen, zermalmten sie harte Pflanzenfasern und sogar Nüsse mitsamt der Schale. Damit war ihr Gebiss hervorragend an die Ernährung in der Savanne angepasst. Im Gegensatz dazu scheint der moderne Mensch geradezu verweichlicht zu sein: Seine Kaumuskeln sind im Gegensatz zu denen seiner Vorfahren eher schwach ausgebildet und an das Zerkauen von weich gekochten und mit Messer und Gabel schon vorzerkleinerten Speisen angepasst. Aufgrund dessen waren einige Wissenschaftler der Ansicht, dass der menschliche Kiefer nicht in der Lage wäre, eine hohe Beißkraft auszuüben.
Um dies zu überprüfen, verglichen Stephen Wroe und seine Kollegen die Beißkraft des modernen Menschen mit der von Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans und Gibbons sowie der seiner frühzeitlichen Vorfahren. Sie erstellten dreidimensionale Modelle der Schädel und zwar mit Hilfe eines Computertomographen, der aus verschiedenen Richtungen gemachte Röntgenaufnahmen zu einem Bild zusammensetzt. Über eine eigens entwickelte Software berechneten die Forscher dann die Beißkraft der Kiefer. Dazu simulierten sie den Biss eines Tieres in ein hypothetisches hartes Objekt. Die dabei entstehenden Kräfte wurden im Computer visualisiert.
Die Forscher kamen zu einem erstaunlichen Ergebnis: Der moderne Mensch besitzt ein hocheffizientes Gebiss, mit dem er weitaus kräftiger zubeißen kann als die Menschenaffen: Es ist bis zu 50 Prozent effizienter als das Gebiss seiner nächsten Verwandten. Im Vergleich zu den Gourmets der Frühzeit konnten die Wissenschaftler hingegen keine großen Unterschiede feststellen.
Ausschlaggebend für die Effizienz des Gebisses ist nach Ansicht der Wissenschaftler die Lage und Länge des Kiefergelenkes. Der Mensch hat im Vergleich zu den Primaten einen längeren Unterkiefer und kann so eine stärkere Hebelwirkung ausüben. Dieser bewährte Mechanismus hat sich seit der Frühgeschichte des Menschen nicht verändert.
Stephen Wroe (University of New South Wales, Sydney) et al.: Proceedings of the Royal Society: Biological Sciences, Online-Veröffentlichung, doi:10.1098/rspb.2010.0509. ddp/wissenschaft.de ? Gwydion Brennan