Jahrtausende vor der Domestikation von Huhn und Co: Bewohner der Insel Neuguinea haben möglicherweise bereits vor 18.000 Jahren eine Art Geflügelzucht betrieben. Sie sammelten schlupfreife Kasuar-Eier, um die Vögel anschließend bis zur Schlachtreife aufzuziehen. Dies lassen Untersuchungsergebnisse von Eierschalen aus archäologischen Fundorten sowie weitere Hinweise vermuten.
Als sich die Menschen einst über den Globus ausbreiteten, stießen sie in den neuen Welten auf Tiergemeinschaften, die in einigen Fällen auch buchstäblich herausragende Vogelarten umfassten. Zu den teils riesigen flugunfähigen Laufvögeln gehörten etwa die Elefantenvögel Madagaskars oder die Moas Neuseelands. Man geht davon aus, dass der Mensch eine Rolle beim Aussterben dieser Arten gespielt hat. Bis heute überlebt haben hingegen die großen Laufvögel Neuguineas: Die bis zu 1,70 Meter großen und 60 Kilogramm schweren Kasuare schreiten noch immer durch die Wälder der Insel nördlich von Australien. Im Rahmen ihrer Studie haben sich die Forscher um Kristina Douglass von der Pennsylvania State University in University Park nun der Erforschung der Geschichte der Mensch-Kasuar-Beziehung auf Neuguinea gewidmet.
Archäologische Kasuar-Eierschalen im Visier
Wie sie berichten, ist bekannt, dass die drei Arten dieser Laufvögel den heutigen Bewohnern der Insel noch immer als Nahrungsquelle dienen: Sie werden gejagt – es kommt allerdings offenbar auch vor, dass Jungtiere im häuslichen Umfeld aufgezogen und dann verspeist werden. Was den Umgang mit den Vögeln in prähistorischen Zeiten betrifft, gibt es allerdings nur wenige Hinweise: Knochen von Kasuaren, die sich mit menschlichen Aktivitäten verknüpfen lassen, sind selten. An archäologischen Fundorten wurden allerdings zahlreiche Eierschalen der Vögel entdeckt, was nahelegte, dass sie von den Menschen einst als Nahrungsquelle genutzt wurden.
Im Rahmen ihrer Studie haben Douglass und ihre Kollegen nun zahlreiche Eierschalen untersucht, die aus verschieden Kulturschichten von zwei Fundorten im Hochland Neuguineas stammen. Es handelte sich um Eier des vergleichsweise kleinen Hochland-Kasuars Casuarius bennetti. Sie wurden auf ein Alter von 18.000 bis 6000 Jahren datiert. Neben möglichen Spuren der Bearbeitung durch Menschen untersuchten die Forscher, in welchem Entwicklungsstadium sich die Eier befunden haben, als sie genutzt wurden. Sie wendeten dazu eine zuvor entwickelte Methode an, die auf der Analyse bestimmter Merkmale der Schale beruht. Wie die Forscher erklären, zeichnet sich das Entwicklungsstadium eines Kükenembryos dabei an der Aufnahme von Kalzium aus der Eierschale ab.
Warum so weit entwickelte Eier?
Wie sie berichten, führten die Analysen der Funde zu überraschenden Ergebnissen: Die Menschen sammelten und verspeisten offenbar selten junge Kasuareier. „Der Großteil der an den archäologischen Stätten gefunden Eierschalen weist hingegen die Merkmale eines ausgesprochen späten Entwicklungsstadiums auf“, berichtet Douglass. Den Wissenschaftlern zufolge gibt es dafür zwei mögliche Erklärungen. Vielleicht aßen die Menschen gerne sogenannte Baluts, die auch heute noch in Südostasien als Delikatesse gelten. Dabei handelt es sich um Eier, die gezielt kurz vor dem Schlupf des schon weit entwickelten Kükens erhitzt und verspeist werden. Die Forscher fanden an den Schalen der schlupfreifen Eier allerdings keine Hinweise auf eine Erhitzung. Bei den vergleichsweise seltenen Schalen der jüngeren Eier von den Fundorten stießen sie hingegen durchaus auf die Spuren einer Zubereitung.
Deshalb erscheint ihnen die zweite Erklärungsmöglichkeit eher wahrscheinlich: Die offenbar gezielt in einem späten Entwicklungsstadium gesammelten Eier wurden nicht gegessen, sondern die Menschen ließen die Küken schlüpfen. Anschließend wuchsen die jungen Kasuare dann im Bereich des Lagers auf und konnten schließlich als große Braten verspeist werden, vermuten die Wissenschaftler. Dabei könnte ihnen zufolge auch ein spezielles Verhalten der Tiere eine wichtige Rolle gespielt haben: Ähnlich wie andere Vogeljungtiere lassen sich auch Kasuarküken auf den Menschen prägen, da sie das erste Wesen, das sie nach dem Schlupf erblicken, für die Mutter halten.
Direkt nachweisen können die Wissenschaftler diese Form der Geflügelzucht vor bis zu 18.000 Jahren zwar nicht, aber sie erscheint zumindest sehr plausibel: „Die Ergebnisse sind möglicherweise die frühesten bekannten Belege für eine Form der Vogelwirtschaft“, resümieren die Forscher. “Das Verhalten, das wir vermuten, gab es offenbar schon Jahrtausende vor der Domestizierung des Huhns”, hebt Kristina Douglass abschließend hervor.
Quelle: Pennsylvania State University, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.2100117118