Amerika ist der letzte Kontinent, den der Mensch besiedelte. Doch wann die ersten Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner dort ankamen, ist stark umstritten. Jetzt heizen archäologische Funde in einer Höhle in Mexiko die Diskussion an. Denn Forscher haben dort hunderte Steinklingen, Tierknochen und Pflanzenreste entdeckt, die gut 30.000 Jahre alt sind. Dies spricht dafür, dass Menschen schon gut 10.000 Jahre früher in dieser Region präsent waren als bislang angenommen. Sie müssen demnach schon vor dem Höhepunkt der letzten Eiszeit nach Amerika eingewandert sein. Die Steinwerkzeuge haben zudem eine Machart, die keiner anderen bislang auf dem Kontinent dokumentierten gleicht.
Die ersten Menschen, die ihren Fuß auf den amerikanischen Kontinent setzten, kamen aus Asien, wie DNA-Vergleiche belegen. Diese ersten Einwanderer zogen damals wahrscheinlich über die Beringstraße auf den neuen Kontinent. Denn während der letzten Eiszeit verband dort eine 1600 Kilometer breite und fast 5000 Kilometer lange Landbrücke Asien und Nordamerika. Wann aber diese erste Besiedelung der Neuen Welt stattfand, ist bis heute rätselhaft – und heiß diskutiert. Denn lange Zeit galten die Jäger der Clovis-Kultur, die vor rund 13.000 Jahren Spuren an vielen Stellen Nordamerikas hinterließen, als der Ursprung aller Ureinwohner dieses Kontinents. Dieser Theorie zufolge wurde ihre Einwanderung erst möglich, als sich damals ein eisfreier Korridor zwischen dem östlichen Laurentide-Eisschild und dem im Westen Nordamerikas liegenden Kordilleren-Eisschild öffnete. Erst dieser Durchgang machte den Clovis-Jägern den Weg frei zur Besiedelung des Kontinents – so diese lange dominierende Sicht.
Fund in einer Berghöhle in Mexiko
Doch seither haben Archäologen an vielen Orten in Nord-, aber auch in Südamerika Spuren menschlicher Präsenz entdeckt, die teilweise einige tausend Jahre älter sind als die Clovis-Kultur. Dazu gehören unter anderem ein 14.500 Jahre alter Mammut-Schlachtplatz in Florida, aber auch bis zu 18.000 Jahre alte Relikte von der Südspitze Südamerikas. Angesichts der gewaltigen Entfernung dieser Siedlungsplätze vom wahrscheinlichen Ankunftsort der ersten “Uramerikaner” weckt dies schon länger Zweifel an den Clovis-Jägern als ersten Ankömmlingen – und auch dem Timing ihrer Ankunft. Demnach müssten die ersten Menschen schon deutlich früher nach Amerika gekommen sein, möglicherweise sogar auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit oder kurz danach. Weil der Weg durch den eisfreien Korridor damals noch verschlossen war, müssen diese ersten Ankömmlinge stattdessen entlang der Pazifikküste nach Süden gewandert sein. Trotz der Funde von Prä-Clovis-Relikten blieb diese Theorie der früheren Ankunft aber weiterhin umstritten.
Jetzt liefert eine Entdeckung im Hochland von Mexiko neue Beweise für eine weit frühere Besiedlung Amerikas durch den Menschen. Aufgespürt haben sie Ciprian Ardelean von der Autonomen Universität von Zacatecas und seine Kollegen bei Ausgrabungen der 2.740 Meter über dem Meeresspiegel am Berghang liegenden Chiquihuite-Höhle. Dort hatten die Archäologen schon 2012 bei einer Testgrabung erste Hinweise auf eine frühe Präsenz des Menschen entdeckt. 2016 und 2017 führten sie daher eine umfassende Grabung durch. In mehreren Schichten des Höhlenbodens stießen die Forscher neben Tierknochen und Pflanzenresten auch auf von Menschenhand bearbeitete Steinwerkzeuge. Um das Alter dieser Funde zu bestimmen, führten die Forscher für 59 Proben eine Radiokarbondatierung durch und datierten zusätzlich Proben von Gestein aus den Fundschichten mithilfe der optisch stimulierten Lumineszenz.
Mehr als 30.000 Jahre alt
Die Datierungen ergaben, dass die ältesten Funde in dieser Höhle schon gut 30.000 Jahre alt sein könnten. “Unseren Ergebnissen zufolge liegt der Beginn der Fundschicht C bei 33.150 bis 31.400 Jahren – und damit vor dem letzten glazialen Maximum”, berichten Ardelean und sein Team. Demnach müssen Menschen schon vor dem Höhepunkt der letzten Eiszeit in Amerika präsent gewesen und bis nach Mexiko vorgedrungen sein. Wer diese Menschen waren, bleibt jedoch offen. Denn es ist den Wissenschaftlern nicht gelungen, DNA der ehemaligen Höhlenbewohner zu isolieren. Die Machart der Steinwerkzeuge deutet aber darauf hin, dass es sich um eine eigene, noch unbekannte Kultur gehandelt haben könnte. Denn sie unterscheiden sich deutlich von den bisher aus Amerika bekannten, wie die Archäologen erklären.
Die Steinwerkzeuge umfassen verschieden geformte Klingen, Spitzen und Keile, die auf teils komplexe Weise hergestellt worden sind. Der größte Teil dieser Werkzeuge besteht zudem nicht aus dem überall herumliegenden groben, grauen Kalkstein, sondern aus grünlich und schwärzlich gefärbten, besonders dichten und gleichmäßigen Varianten dieses Gesteins. Diese kamen im Umfeld der Höhle nur vereinzelt vor und müssen demnach gezielt zusammengesucht worden sein. “Die systematische geologische Selektivität, die in der Herstellung dieser Werkzeuge zutage tritt, spricht für eine bewusste Wahl und für eine tiefe Kenntnis der verfügbaren Stein-Rohstoffe”, sagen Ardelean und seine Kollegen. Kombiniert mit der besonderen Machart repräsentiere diese Fundsammlung eine Steinkultur, die keiner der bisher aus Amerika bekannten gleiche.
Nach Ansicht der Forscher liefern ihre Funde damit weitere Beweise für die frühe Präsenz des Menschen auf diesem Kontinent und illustrieren gleichzeitig die schon in den Anfängen herrschende kulturelle Vielfalt. Ähnlich sieht es auch Ruth Gruhn von der University of Alberta. In einem begleitenden Kommentar schreibt sie: “Dieser mexikanische Fundort gesellt sich nun zu rund einem halben Dutzend weiterer dokumentierter archäologischer Stätten, die Belege für eine menschliche Besiedlung vor 30.000 bis 20.000 Jahren nahelegen.” Damit sei klar, dass die Theorie der Clovis-Kultur als Ausgangspunkt aller frühen Kulturen dieses Kontinents überholt sei. “Es ist klar, dass Menschen schon lange vor der Entwicklung der Clovis-Technologie in Nordamerika präsent waren”, so Gruhn. Wer diese Menschen aber waren, wann und wo sie den ersten Fuß auf den Kontinent setzen und wie sie von dort weiterzogen, ist aber noch immer rätselhaft.
Quelle: Ciprian Ardelean (Universidad Autónoma de Zacatecas, Mexico) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2509-0