Die Etrusker bildeten in den acht Jahrhunderten vor Christi Geburt eine Hochkultur im nördlichen Mittelitalien. Mit ihren bemerkenswerten Fähigkeiten in der Metallverarbeitung und einer heute ausgestorbenen, nicht-indoeuropäischen Sprache hoben sich die Etrusker von ihren zeitgenössischen Nachbarn ab. Ihre geographischen Ursprünge sind daher bis heute umstritten. Neue genetische Analysen der DNA von Individuen aus der Zeit von 800 vor Christus bis 1000 nach Christus deuten nun darauf hin, dass das Volk seine Wurzeln in Italien hatte – und nicht wie von anderen Archäologen angenommen in Kleinasien.
Die Debatte um den Ursprung der Etrusker reicht zurück bis in die Zeit antiker Philosophen. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot stellte um 500 vor Christus die These auf, dass die Vorfahren der Etrusker um 1000 vor Christus aus Lydien – einem Gebiet an der Mittelmeerküste der Türkei – nach Italien eingewandert seien. Rund 500 Jahre später vertrat dagegen Dionysios von Halikarnassos die These, dass die Etrusker aus der bronzezeitlichen Villanovakultur hervorgegangen sind und sich lokal entwickelt haben. Obwohl eine moderne Analyse des Erbguts der heutigen Bevölkerung des etruskischen Gebiets kleinasiatische Einflüsse nachweisen konnte, gehen die meisten Archäologen heute von einem lokalen Ursprung der Kultur aus. Genetische Belege für diese Annahme waren allerdings bislang rar.
Alte DNA aus fast 2000 Jahren
Ein Team um Cosimo Posth vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena hat nun alte DNA aus den versteinerten Knochen und Zähnen von 82 Individuen aus zwölf archäologischen Stätten im Gebiet der Etrusker erfasst, die den Zeitraum vom 800 vor Christus bis 1000 nach Christus umfassen. 48 Individuen stammten aus der etruskischen Zeit in den acht Jahrhunderten vor Christus, sechs aus der Zeit von 1 bis 500 nach Christus und 28 aus dem Frühmittelalter von 500 bis 1000 nach Christus.
Das Ergebnis: „Von den 48 Individuen aus dem ersten Zeitintervall konnten wir 40 einem gemeinsamen genetischen Cluster zuordnen, das deutliche Übereinstimmungen mit dem Erbgut heutiger Spanier zeigt“, berichten die Forscher, und folgern: „Der etruskische Genpool scheint nicht durch Bevölkerungsbewegungen aus dem Nahen Osten entstanden zu sein. Die Etrusker besitzen ein lokales genetisches Profil, das sie mit anderen benachbarten Populationen wie den Latinern aus Rom und Umgebung teilen, trotz der kulturellen und sprachlichen Unterschiede zwischen den beiden benachbarten Gruppen.“
Ähnliche Gene, andere Sprache
Ein großer Teil des genetischen Profils der Etrusker stammt der Analyse zufolge von Steppenvölkern, die Italien und weite Teile Europas während der Bronzezeit erreicht haben. Ihr Einfluss gilt als genetisch und kulturell prägend für unseren Kontinent. Bemerkenswert ist dieser Befund angesichts der Tatsache, dass die Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen auf eben diese Gruppe zurückgeführt wird, ausgerechnet die Etrusker aber eine nicht-indoeuropäische Sprache sprachen. „Diese sprachliche Persistenz in Verbindung mit einem genetischen Wandel stellt vereinfachende Annahmen in Frage, wonach Gene gleich Sprachen sind“, schreiben die Forscher. Stattdessen seien komplexe Szenarien wahrscheinlich, bei denen es zu genetischen Vermischungen kam, während gleichzeitig die etruskische Kultur und Sprachgemeinschaft erhalten blieb.
Die Analysen zeigten auch, dass der etruskische Genpool in den 800 Jahren von der Eisenzeit bis zur römischen Republik weitgehend stabil blieb. Lediglich acht von 48 Individuen wiesen eine andere genetische Herkunft auf – aus Nordafrika, Mitteleuropa und dem Nahen Osten. „Die ausgeprägte genetische Stabilität in Etrurien über fast ein Jahrtausend hinweg steht im Einklang mit den historischen Aufzeichnungen, in denen die Assimilation an die Römische Republik eher als politischer denn als demografischer Prozess beschrieben wird, was auch durch die Aufrechterhaltung der etruskischen Kultur und Sprache in der Region über Jahrhunderte hinweg belegt wird“, erklären die Forscher.
Geschichtliche Ereignisse im Genpool sichtbar
Das änderte sich mit der Entstehung des Römischen Kaiserreichs. Die sechs Individuen aus der Zeit von 1 bis 500 nach Christus wiesen deutlich andere genetische Profile auf als die Etrusker aus den 800 vorangegangenen Jahren. „Diese genetische Verschiebung zeigt deutlich die Rolle des Römischen Reiches bei der groß angelegten Umsiedlung von Menschen in einer Zeit erhöhter sozioökonomischer und geografischer Mobilität“, sagt Posths Kollege Johannes Krause. Rund 50 Prozent des früheren etruskischen Genpools wurden ausgetauscht, wahrscheinlich durch Einflüsse von Sklaven und Soldaten aus dem östlichen Mittelmeerraum.
Einen weiteren Umbruch im Genpool stellten die Forscher im Frühmittelalter fest. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich germanische Einwanderer nach Zusammenbruch des Weströmischen Reichs über die italienische Halbinsel ausbreiteten und Spuren im Erbgut der 28 untersuchten Individuen aus der Zeit von 500 bis 1000 nach Christus hinterließen. Der Genpool dieser Individuen ähnelt auffällig dem der Menschen, die noch heute in der Region leben. „Unsere Analysen zeigen somit eine breite Bevölkerungskontinuität zwischen dem frühen Mittelalter und der heutigen Zeit in den Regionen Toskana, Latium und Basilikata, was darauf hindeutet, dass der Hauptgenpool der heutigen Menschen in Mittel- und Süditalien vor mindestens 1000 Jahren gebildet wurde“, schreiben die Posth und seine Kollegen.
Um die genetische Geschichte der Etrusker und ihrer Vor- und Nachfahren noch besser zu verstehen, werden den Forschern zufolge weitere Proben alter DNA aus ganz Italien benötigt.
Quelle: Cosimo Posth (Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Jena) et al., Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.abi7673