Dies könnte sich dank einer völlig neuen Technik jedoch bald ändern. Den Grundstein hierfür legte seinerzeit der ungarisch-englische Physiker Dennis Gabor, der 1948 die Holographie entdeckte. Gabors 3-D-Prinzip ist ebenso einfach wie genial: Betrachten zwei Beobachter aus zwei verschiedenen Positionen ein Hologramm, dann sehen sie unabhängig voneinander zwei unterschiedliche Bilder. So verwundert es nicht, dass Hologramme sich bereits heute auf vielen Gebieten etabliert haben. Mal fungieren sie als Sicherungshologramme auf Scheck- und Kreditkarten, mal als Messtechnik, um Raketentriebwerke auf Materialfehler hin zu untersuchen. Dass die Holographie nunmehr in der Archäologie Einzug hält, ermöglicht Gert von Bally vom Labor für Biophysik der Universität Münster. Zusammen mit der Abteilung für Kohärenzoptik der Universität Berlin und der Akademie der Wissenschaften der Ukraine in Kiew entwickelte der Biophysiker und sein Team nach siebenjähriger Forschung erstmalig ein mobiles Kamerasystem und zugleich ein verfeinertes 3-D-Aufnahmeverfahren, mit dem sich archäologische Objekte in höchstauflösenden Farbhologrammen ablichten lassen. Der fototechnische Vorteil dieser neuen Methode liegt für Professor von Bally auf der Hand: “Bisher übliche zweidimensionale Photographien können die dreidimensionale Ausdehnung der Originale nur unzureichend dokumentieren. Eine Lösung können hier höchstauflösende Hologramme bieten”. Mit der Tiefenschärfe dieses System kann noch nicht einmal ein Digitalfoto konkurrieren. Die dreidimensionalen Hologrammbilder erfassen selbst Feinstrukturen von dreitausendstel Millimetern “Größe”. Da viele Fundobjekte bereits stark beschädigt und die winzigen Keilinschriften kaum lesbar sind, setzen vor allem die Archäologen große Hoffnungen auf die 3-D-Technik. Sie soll die bis zu 3500 Jahre alten assyrischen oder sumerischen Keilschriftentafeln wieder zu neuem Leben erwecken. Der Münsteraner Physiker Dr. Frank Dreesen zeigt sich optimistisch: “Dass wir gerade bei Keilschriften die dreidimensionale höchstauflösende Dokumentation anwenden, liegt daran, dass der getrocknete Ton sehr kontrastarm ist und daher farblich sehr homogen wirkt. Da das Reingedruckte der Keilinschrift vom Schatten und Lichtspiel sowie der Dreidimensionalität lebt, lassen sich mit solch einem Verfahren mehr Details erfassen”.
Um ein Hologramm mit Farbe zu beleben, setzen Bally und sein Team Laser ein, die rotes, grünes und blaues Licht ausstrahlen. Überlagern sich die drei Grundfarben, entsteht ein farbechter 3-D-Abdruck vom Original. Die hierfür notwendige transportable Holographie-Kamera wird vorzugsweise in Museen eingesetzt. Hier lassen sich die meist fragmentarischen Ausstellungsstücke im Original systematisch abholographieren. Sind alle Polymer-Fotoplatten belichtet, werden die einzelnen Fotosegmente, auf denen die jeweiligen Fundobjekte abgespeichert sind, mosaiksteingerecht Stück für Stück zusammengesetzt. Was weltweit in vielen Museen verstreut aufbewahrt wird, nimmt so im Labor wieder dreidimensionale Gestalt an. Tontafelfragmente, die jahrtausendelang voneinander getrennt waren, stehen mit einem Male der Forschung wieder als vollständiges 3-D-Exponat zur Verfügung. Und dies sogar theoretisch an jedem Ort der Welt, da sich vom “Master-Hologramm”, dem Ursprungshologramm, beliebig oft Kopien machen lassen. Wohl deshalb schwebt Professor von Bally ein “Interdisziplinäres Master-Hologramm-Archiv” vor Augen, ein Weltarchiv, in dem ausschließlich die ersten Holographiefassungen von seltenen archäologischen Exponaten deponiert werden sollen. Die hierin abgelegten 3-D-Fotos könnten dann Altertumsforscher rund um den Globus jederzeit anfordern. Wertvolle Originale liessen sich so vor Transportschäden und negativen Umwelteinflüssen vorbeugend schützen. Wenngleich das vom Bundesministerium für Forschung und Technologie und von der Deutschen Unesco-Kommission geförderte Projekt noch in der Erprobungs- und Forschungsphase ist, so hat doch zumindest der Kamera-Prototyp seine Leistungsfähigkeit schon mehrfach eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Copyright (c) 2000 Harald Zaun