Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass der Durchschnittsbürger dem freien Willen eine große Bedeutung im Rahmen des menschlichen Verhaltens beimisst.Doch aus wissenschaftlicher und juristischer Sicht ist dieses Thema äußerst heikel und kontrovers: Wie zurechnungsfähig war ein Täter bei seinem Verbrechen? Inwieweit ist beispielsweise ein sogenannter Triebtäter das Opfer eines eingeschränkten freien Willens? Oder liegt etwa allen kriminellen Handlungen ein neuronaler Mechanismus zugrunde, der die Willensfreiheit einschränkt? Zu diesen Fragen gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Die Studie der Forscher um Azim Shariff von der University of Oregon belegt nun, wie formbar die zugrundeliegenden Einstellungen sind.
Für ihre Untersuchungen baten die Forscher eine Gruppe von Studenten einen Text zu lesen, der das menschliche Handeln eher als ein Resultat von neuronalen Mechanismen darstellte – also die Bedeutung des freien Willens tendenziell einschränkte. Eine Kontrollgruppe bekam hingegen einen Text zu lesen, der nichts mit dem Thema Willensfreiheit oder Hirnforschung zu tun hatte. Anschließend baten die Forscher beide Probandengruppen einen weiteren Text zu lesen, der von einem fiktiven Fall handelte, bei dem ein Mann einen anderen tot geschlagen hatte. Anschließend sollten alle Testteilnehmer dem Täter nach ihrem persönlichen Ermessen eine Gefängnisstrafe zuteilen.
Geringere Bedeutung der Willensfreiheit: Mildere Strafen
Ergebnis: Die Probanden der Kontrollgruppe brummten dem fiktiven Totschläger durchschnittlich zehn Jahre Gefängnis auf. Diejenigen, die sich zuvor mit dem neurowissenschaftlichen Text befasst hatten, „verurteilten” ihn jedoch nur zu fünf Jahren. Bei Befragungen stellte sich dann heraus, dass die Ursache für die Entscheidung zum vergleichsweise geringen Strafmaß eine geringere Einschätzung der Schuldfähigkeit des Täters war.
Diese Ergebnis konnten die Forscher durch einen weiteren Test zusätzlich untermauern: Sie baten erneut zwei Gruppen von Studenten, einem Täter eine Gefängnisstrafe zuzuordnen. Anschließend nahm die eine Gruppe ein Semester lang an Vorlesungen zum Thema Neurowissenschaften teil, die andere besuchte hingegen Geographie-Vorlesungen. Danach bekamen beide Probandengruppen erneut einen Kriminalfall zur Beurteilung vorgelegt. Der Vergleich zeigte: Die Teilnehmer der neurowissenschaftlichen Vorlesungen kamen zu deutlich milderen Urteilen als beim vergangenen Test. Die Studenten der Geographie-Vorlesungen verhängten hingen ähnliche Gefängnisstrafen wie zuvor.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Lerninhalte so etwas Fundamentales wie Einstellungen gegenüber der Bedeutung von Moral und Verantwortung verändern können”, sagt Shariff. „Das unterstreicht den Einfluss von wissenschaftlicher Bildung auf die Gesellschaft”. Ob man den Effekt nun als gut oder schlecht beurteilt, bleibt dahingestellt. Shariff und seine Kollegen messen ihrem Ergebnis aber eine große Bedeutung aus der Sicht der Psychologie zu und sie sehen darin auch eine wichtige Information für die Justiz.