Frühe Menschen legten bereits vor 300.000 Jahren erstaunlich komplexe Verhaltensweisen an den Tag. Sie unternahmen Reisen, betrieben Handel und gestalteten ungewöhnlich feine Steinwerkzeuge, wie Funde aus Ostafrika belegen. Womöglich nutzten sie sogar schon Farben als Form der symbolischen Kommunikation. Angetrieben worden sein könnte diese Entwicklung durch Umwälzungen in der Umwelt, die unsere Vorfahren zu mehr Erfindungsreichtum zwangen, berichten Forscher.
Lange schien klar, dass die ersten anatomisch modernen Menschen vor rund 200.000 Jahren entstanden und vor 60.000 Jahren aus Ostafrika in die Welt hinauszogen. Doch in den letzten Jahren haben neue Fossilfunde diesen “Zeitplan” komplett durcheinander gewirbelt. Unter anderem offenbarten 300.000 Jahre alte Homo sapiens-Fossilien, dass sich unsere Spezies früher entwickelte als bisher angenommen und sich außerdem deutlich schneller innerhalb Afrikas verbreitete. Gleich drei Studien werfen nun einen spannenden Blick auf diese Phase der mutmaßlichen Geburt des Homo sapiens. Sie könnten nicht nur erklären, warum sich unsere Vorfahren so schnell über den afrikanischen Kontinent ausbreiteten. Sie zeigen auch: Schon damals legten frühe Menschen komplexe Verhaltensweisen an den Tag – Verhaltensweisen, von denen Wissenschaftler bisher glaubten, dass Menschen in Afrika sie erst zehntausende Jahre später entwickelten.
Antrieb für neues Verhalten
Rick Potts von der Smithsonian Institution in Washington und seine Kollegen haben sich für ihre Untersuchung Sedimente im Olorgesailie-Becken in Kenia angesehen, einem bekannten Fundort homininer Relikte. Sie wollten wissen: Welche Rolle spielte das Klima für die Entwicklung der Menschen in Ostafrika? Ihre Analysen belegen, dass die Region vor 800.000 Jahren eine drastische Transformation erlebte. Das einstige Überschwemmungsgebiet entwickelte sich zu Grasland und die klimatischen Bedingungen wurden deutlich unbeständiger. Immer wieder wechselten sich in der Folge demnach feuchte Phasen mit sehr trockenen Zeiten ab. Unter diesen Umständen wurde die Nahrungssuche für frühe Jäger und Sammler komplizierter, wie die Wissenschaftler betonen. Denn Ressourcen waren nicht mehr so verlässlich verfügbar wie zuvor. Dies zwang die Menschen dazu, sich auf Zeiten des Mangels einzustellen – und förderte womöglich ihre Anpassungsfähigkeit und ihren Erfindungsreichtum.
So könnte die klimatische Variabilität Antrieb für mehr Mobilität oder sogar die Etablierung von Handelsbeziehungen gewesen sein, so die These des Teams. Tatsächlich scheinen archäologische Funde ein solches Verhalten zu belegen: Lange Zeit bestehen Funde früher Steinwerkzeuge aus der Region fast ausschließlich aus vor Ort verfügbarem Material. Doch nach und nach ändert sich das. Vor 320.000 Jahren und danach entstandene Werkzeuge sind zu großen Teilen aus Obsidian gemacht – einem vulkanischen Gesteinsglas, das im Olorgesailie-Becken gar nicht vorkommt. Für Potts und seine Kollegen ist dies ein deutliches Indiz dafür, dass Menschen damals bereits weitere Reisen machten oder Handel betrieben.
Handel und symbolische Kommunikation?
Wissenschaftler um Alison Brooks von der George Washington University in Washington haben sich die zeitlichen Veränderungen in Bezug auf menschengemachte Artefakte aus dem Olorgesailie-Becken genauer angesehen. Ihre Untersuchungen von 500.000 bis 298.000 Jahre alten Fundstellen bestätigen, dass sich die älteren Werkzeuge deutlich von den jüngeren unterscheiden. Die jüngsten Artefakte bestehen demnach zu 42 Prozent aus Obsidian. Doch woher stammt der fremde Rohstoff? Die chemische Komposition deutet dem Team zufolge daraufhin, dass das Material aus unterschiedlichen Quellen herbeigeschafft wurde, die zwischen 25 und 50 Kilometern entfernt liegen. Über 46.000 einzelne Obsidian-Splitter legen zudem nahe: Wahrscheinlich wurde das Material nicht in Form fertiger Werkzeuge importiert, sondern als Rohstoff, der vor Ort verarbeitet wurde.
Doch Obsidian ist nicht das einzige exotische Material, das die frühen Menschen im Olorgesailie-Becken nutzten. Brooks und ihre Kollegen fanden daneben auch auffällig häufig bunt gefärbtes Gestein – unter anderem mit schwarzen Mangan- und roten Ockerpigmenten. Bearbeitungsspuren legen nahe, dass aus den Rohstoffen Farben zur weiteren Verwendung gewonnen wurden. “Wir wissen nicht sicher, wofür die Farbpigmente genutzt wurden. Die Verwendung von Farben gilt unter Archäologen aber als die Wurzel komplexer, symbolischer Kommunikation”, sagt Mitautor Potts. “So wie wir heute mit Farben auf Kleidung und Flaggen unsere Identität ausdrücken, könnten diese Pigmente den Menschen dabei geholfen haben, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu kommunizieren und Bande zu entfernt lebenden Gemeinschaften aufrecht zu erhalten.”
Filigrane Werkzeugkunst
Neben dem Import von Rohstoffen und der möglichen Verwendung von Farben unterstreicht noch ein weiterer Fund das erstaunlich weit entwickelte Verhalten der Menschen aus der Zeit, als der Homo sapiens entstand: eine Vielfalt an kleinen und besonders fein gearbeiteten Werkzeugen. Charakteristisch für die frühe Werkzeugkunst des Menschen sind sogenannte Faustkeile – verhältnismäßig große und grobe Steingeräte, die erst mit der Zeit immer kleiner und aufwändiger in der Bearbeitung wurden. Alan Deino vom Berkeley Geochronology Center und seine Kollegen haben im Olorgesailie-Becken einige solcher aufwändiger bearbeiteten Werkzeuge entdeckt. Manche waren wie ein Projektil geformt, andere hatten die Form eines Schabers oder eines Bohrers. Die Forscher ordneten sie daher einer späteren Phase der Geschichte zu. Doch die Datierung zeigte: Die Werkzeuge sind zwischen 320.000 und 305.000 Jahre alt. Damit sind sie der älteste Beleg für Steinwerkzeuge in Ostafrika, die die typischen Eigenschaften der Mittelsteinzeit aufweisen, wie das Team erklärt.
Mobilität, Handel, symbolische Kommunikation über Farben und filigrane Handwerkskunst: All diese neuen Erkenntnisse zeigen, dass wir unsere Vorstellung über das Verhalten der zur Geburtsstunde des Homo sapiens in Afrika lebenden Menschen revidieren müssen. Diese frühen Menschen waren innovativer als bisher gedacht – womöglich auch dank der unberechenbaren Umwelt, in der sie lebten. “Dieser Wandel hin zu sehr hoch entwickelten Verhaltensweisen wie komplexeren Sozialstrukturen könnte der entscheidende Faktor gewesen sein, der unsere Stammeslinie schließlich von anderen frühen Menschen trennte”, schließt Potts.
Quellen: Rick Potts (Smithsonian Institution, Washington) et al., Science, doi: 10.1126/science.aao2200; Alison Brooks (George Washington University, Washington) et al., Science, doi: science.aao2646; Alan Deino (Berkeley Geochronology Center, Berkeley) et al., Science, doi: 10.1126/science.aao2216