Seit ihrer Entdeckung in den 20er Jahren haben sich schon viele Menschen daran versucht, den Sinn und Zweck der mysteriösen Linien in der Wüste zu entschlüsseln. Man hielt sie etwa für Landebahnen von Außerirdischen, dann wieder für einen riesigen astronomischen Kalender. Andere vermuteten Clansymbole dahinter oder bezeichneten die Linien als Wegmarkierung, um die Menschen zu ihren religiösen Stätten zu leiten.
Die Nasca, ein Volk von Ackerbauern, die von 100 bis 600 nach Christus die dürre Küstenlandschaft Perus besiedelten, haben neben geometrischen Formen wie Spiralen, Zickzack oder Dreiecken auch Vögel und Säugetiere in die trockene Landschaft gezeichnet. Was die Tierdarstellungen angeht sind die Wissenschaftler ratlos, doch David Johnson meint, dass die seltsamen geometrischen Linien mit Hilfe der Hydrologie dieser Region erklärt werden könnten.
Einen Durchbruch hatte Johnson, als er gerade an einem Projekt arbeitete, in dem es darum ging, Wasserquellen für die lokale Bevölkerung ausfindig zu machen. “Ich bemerkte, dass geologische Verwerfungen Grundwasser von den Anden durch die Wüste bis zur pazifischen Küste transportierten. Viele dieser Verwerfungen unterteilen das Tal in Abschnitte und wo dies geschieht, sieht man Wasser aus Quellen in das Tal eindringen. Diese Stellen kennzeichneten die Nasca mit Hilfe von Geoglyphen.” Sie entfernten dazu die dunklen Felsen und Steine bis der helle Sand darunter zum Vorschein kam. Die Steine wiederum schichteten sie entlang der Ecken der Linien auf. In einem Gebiet wie diesem, in dem pro Jahr weniger als zwei Zentimeter Wasser pro Kubikmeter jährlich fallen, ist Johnson überzeugt, konnten sich die Menschen nicht auf das Flusswasser verlassen. Sie mussten sich alternative Wasserquellen erschließen.
Um seine Theorie zu testen, holte Johnson den Wasserspezialisten Stephen B. Mabee und den Archäologen Donald Proulx, beide von der University of Massachusetts. “Es ist dies ein ganz neuer Weg die Nasca Linien zu betrachten”, sagt Proulx, der sich auf die Nasca Kultur spezialisiert hat. “Und obwohl wir noch in der Anfangsphase unserer Tests stehen, so können wir doch schon viele der Linien geologischen Verwerfungen, Quellen und Versickerungen zuweisen.” “Es ist absolut nicht ungewöhnlich, dass sich Wasser senkrecht zum Tal bewegt”, sagt der Hydrologe Mabee. “Verwerfungen sind gemeinhin große Wasserstraßen. An einer Fundstelle fanden wir eine Quelle 20 Meter über dem Flussbett, die das ganze Jahr über eine gleichbleibende Wassermenge liefert. Die Niederschlagsmenge und das Oberflächenwasser machen es unmöglich, dass diese Quelle aus ihnen gespeist wird. Sie muss ihren Ursprung im Grundwasser haben.”
Die Wissenschaftler sind jetzt dabei, alle Quellen und Versickerungsstellen im Tal zusammen mit den Verwerfungen zu kartieren. Computer Modelle werden ihnen dann helfen zu entscheiden, ob Geoglyphen, Verwerfungen und Wasserquellen auch statistisch in Zusammenhang gebracht werden können. Denn gerade diese fehlenden statistischen Test wurden bislang an der Hypothese kritisiert. “Es passen nicht alle Linien mit Verwerfungen überein, manche sind wahrscheinlich rituelle Wege und auch mythische Wesen”, so Proulx, “doch die Daten sind sehr vielversprechend.”