Klebriges Zeug, das Steinklingen mit Speeren verband: Vor rund 100.000 Jahren nutzten Menschen im südlichen Afrika eine Teer-artige Substanz mit besonders guten Hafteigenschaften, berichten Forscher. Das Besondere ist dabei: Der Klebstoff stand nicht natürlicherweise in der Umwelt zur Verfügung. Er musste stattdessen durch ein Herstellungsverfahren gezielt aus Pflanzenmaterial gewonnen werden, zeigen Experimente. Der Klebstoff zeugt somit von der kulturellen Evolution des Menschen in Afrika, sagen die Wissenschaftler.
Andere Lebewesen sind meist stark auf körperliche Leistungen angewiesen – wir nutzen hingegen unser Köpfchen: Der Erfolg der Spezies Mensch beruht auf der Fähigkeit, Zusammenhänge zu begreifen, zu kooperieren und Wissen sowie Gegenstände in komplexer Weise zu nutzen. Im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte lernten unsere Vorfahren, Werkzeuge aus Holz und Stein in immer raffinierterer Weise einzusetzen und selbst herzustellen. Aus Funden ist in diesem Zusammenhang bekannt, dass der moderne Mensch im südlichen Afrika vor rund 100.000 Jahren Stein- und Holz-Technik in fortschrittlicher Weise miteinander verband: An mehreren Fundorten sind Spuren von Klebstoffen entdeckt worden, die dabei halfen, Steinwerkzeuge an Griffen oder Speeren zu befestigen.
Überraschende Rohstoffquelle
Chemische Analysen des Materials ergaben dabei: Der Klebstoff besteht aus einer Substanz, die von Steineiben-Pflanzen stammen. Es handelt sich dabei um immergrüne Sträucher und Bäume der Gattung Podocarpus, die im Bereich der Fundorte wachsen. Dieser Befund wirkte erstaunlich, denn diese Pflanzen sind zumindest keine offensichtlichen Klebstoffproduzenten: „Steineiben scheiden keine nennenswerten Mengen an Baumharz oder sonst einer klebrigen Substanz aus“, erklärt Patrick Schmidt von der Universität Tübingen. Gemeinsam mit seiner Kollegin Tabea Koch sowie Edmund February von der Universität Kapstadt ist er nun der Frage nachgegangen, wie die Menschen vor rund 100.000 Jahren zu dem Teer-artigen Klebstoff aus den Podocarpus-Pflanzen gekommen sein könnten.
Wie sie erklären, lag nahe, dass die Substanz auf das Harz zurückzuführen ist, das in den Blättern der Pflanzen in geringen Mengen enthalten ist. Um es zu gewinnen, musste es offenbar herausdestilliert worden sein, sagen die Wissenschaftler. Um möglichen Verfahren auf die Spur zu kommen, hat das Team Methoden der experimentellen Archäologie angewendet: Die Forscher untersuchten, wie der Klebstoff mit Mitteln hergestellt worden sein könnte, die den steinzeitlichen Menschen damals zur Verfügung standen.
Heiß erzeugter Superkleber
Das Team entdeckte dabei zwei mögliche Herstellungsverfahren: Es zeigte sich, dass die Teer-Substanz bereits in der Form eines Kondensats entsteht, wenn man Podocarpus-Blätter direkt neben flachen Steinen verbrennt. Das klebrige Material lässt sich dann von den Oberflächen abkratzen. „Dieses Verfahren könnten die Menschen zufällig entdeckt haben“, sagt Schmidt. Möglicherweise nutzten sie dann aber auch ein komplexeres Verfahren, das sich bei den Experimenten der Forscher als effektiv herausstellte: Dabei werden Bündel von Blättern mit Lehm bedeckt und durch ein darüber brennendes Feuer über mehrere Stunden lang erhitzt. In dieser kleinen „Destillationsanlage“ bildet sich dann Teer, der in einen Auffangbehälter tropft. Inwieweit die Menschen auf die eher einfache oder aber raffiniertere Weise den Klebstoff aus den Steineiben gewonnen haben, bleibt zwar unklar. Dennoch musste er aber grundsätzlich hergestellt werden, betonen die Forscher.
Dies warf die weitere Frage auf, warum die Menschen ausgerechnet diese Klebstofflieferanten nutzten? „Sie hätten auch einfach Baumharze sammeln können. Bei mehreren Arten, die in ihrer Umgebung vorkamen, fließt es erkennbar aus dem Stamm. Manche Pflanzen geben zum Beispiel auch beim Abbrechen der Blätter klebrigen Latex ab“, sagt Koch. Dem Hintergrund der Präferenz für den Steineiben-Kleber kamen die Wissenschaftler dann durch spezielle Labortests auf die Spur, wie sie typischerweise in der Klebstoffindustrie verwendet werden, um Merkmale von Testsubstanzen zu erfassen. „Unser aus Steineiben destillierter Teer hatte besonders gute mechanische Eigenschaften und erwies sich als stärker als alle anderen natürlich vorkommenden Klebesubstanzen der Steinzeit in Südafrika – er konnte deutlich größere Lasten halten“, resümiert Schmidt die Ergebnisse der Vergleichstests.
Den Wissenschaftlern zufolge besitzen ihre Ergebnisse nun eine spezielle Bedeutung für die Anthropologie: Dass die Menschen im südlichen Afrika vor rund 100.000 Jahren gezielt besonders gute Klebstoffe produzierten, beleuchtet das innovative Denken und die kulturelle Entwicklung in der damaligen Zeit. „Die Menschen wählten Materialien nicht mehr nur nach deren Eigenschaften aus, sondern veränderten das vorhandene Material“, sagt Schmidt.
Quelle: Universität Tübingen, Fachartikel: Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2209592119