Der Kuss ist aus dem Belecken und Beschnüffeln unserer Vorfahren am Hinterteil hervorgegangen, so die These von Ingelore Ebberfeld von der Universität Bremen. Erst als sich der Mensch von der Erde erhob, habe er die sexuelle Kontaktaufnahme “von unten nach oben” verlegt.
Wenn man wie Sigmund Freud davon ausgeht, dass der Kuss für das Saugen an der Mutterbrust stehe, oder wenn man mit Irenäus Eibl-Eibesfeldt annnimmt, dass der Kuss das Brutpflegeverhalten repräsentiere, dann könne man die Brisanz, die ein Kuss in vielen Kulturen hatte oder hat, nicht erklären, meint Ebberfeld. Denn in vielen Gesellschaften galt und gilt immer noch: Kein Kuss vor der Ehe und/oder in der Öffentlichkeit.
Ebberfeld zeigt in ihrem Buch anhand vieler Beispiele aus der Geschichte und aus anderen Kulturen, mit welch drastischen Strafen Menschen rechnen mussten, die sich dem gesellschaftlichen Kussverbot widersetzt hatten. So wurde zum Beispiel im 13. Jahrhundert ein Bischof des Landes verwiesen, weil er ohne zu fragen, die Wangen der Gemahlin von Rudolph I. von Habsburg geküsst hatte. Auch heutzutage gibt es noch Regionen, wo Liebende, die sich in der Öffentlichkeit küssen, mit 99 Peitschenhieben bestraft werden.
Obwohl der Zungenkuss eine so große Rolle spielt, ist er von der Sexualwissenschaft bisher kaum beachtet worden ? sehr zu Unrecht, wie die Bremer Forscherin meint. Denn aus dem sexuellen Kuss seien auch alle anderen Küsse, wie der Hand-, Fuß- oder Friedenskuss hervorgegangen.