Die IGS hat deshalb Kontakt zu den letzten Sprechern des Idioms aufgenommen. Ein Forscherteam um Sprachwissenschaftler Siewert von der Uni Münster machte sich auf, um Reste der Geheimsprache “auf den letzten Metern” zu sichern. Erste Kontakte seien hergestellt – in den süddeutschen Orten Fichtenau und Ichenhausen, aber auch im ferneren Loosdorf im österreichischen Waldviertel bei Melk, berichtet Siewert. “Wir haben Tonbandaufnahmen und erste Untersuchungen angestellt.”
Die Dokumentation des Jenischen soll nun in einem eigenen Projekt vorangetrieben werden. Dazu sind die Sprachforscher laut Siewert dringend auf weitere Gewährsleute und Sponsoren angewiesen. Gesucht würden etwa “zwicklbosler” (Scherenschleifer) oder “kellebangerer” (Schausteller), die weitere Wörter oder Wortlisten liefern könnten.
Die Forschergruppe plant, die noch heute existierende Minderheit wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. “In der Schweiz, in der jenische Kinder wegen ihrer Herkunft meist in Sonderschulen gesteckt oder ihren Eltern weggenommen wurden, um in so genannten gutbürgerlichen Verhältnissen aufzuwachsen, bemüht man sich seit geraumer Zeit um Wiedergutmachung,” berichtete Siewert.
In diesem Zusammenhang verweist er auf ein Sprachdokument, das die enge Verflechtung zwischen Geheimsprache und dem Schicksal der Jenischen im Nationalsozialismus belegt: “Es ist der Brief einer jenischen Frau aus dem Vernichtungslager Auschwitz an ihre Schwester, in dem das Wort “begern” vorkommt, das für tot sein oder tot machen steht und darauf hinweist, dass in Auschwitz Menschen umgebracht werden.” Unverschlüsselt hätte die Botschaft die Adressatin kaum erreicht, ohne abgefangen zu werden.
Neben ihrer Geheimsprache entwickelten die Jenischen Geheimzeichen (Zinken), die schon im Mittelalter etwa an Hauswände gekritzelt wurden und für Gesinnungsgenossen wertvolle Informationen enthielten. Außerdem schufen die “weißen Zigeuner” laut Siewert ein akustisches Warnsystem in Gestalt von Klopfzeichen. Wenn nötig, heiß es eben: “Noppi gatschi, jenisch baal” – “nicht deutsch, sondern jenisch sprechen”. Das Wort jenisch selbst bedeutet klug, gescheit. Zahlreiche Begriffe wie “bommerling” (Apfel), “blattling” (Salat), “härtling (Messer) entstammen dem alten Rotwelschen, andere wie “masematte” (Geschäft), “dinnelo” (Dummkopf) oder “doches” (Hintern) den Zigeunersprachen oder dem Hebräischen.
Der Begriff “weiße Zigeuner” entstand, weil die Jenischen wegen ihrer Lebensweise irrtümlich mit den Sinti und Roma in Verbindung gebracht wurden. Tatsächlich sind die Jenischen Nachkommen des fahrendes Volkes, das im 18. und 19. Jahrhundert auf den Handelsstraßen Europas unterwegs war. “Dass sie heute praktisch unsichtbar geworden sind”, erklärt Siewert damit, “dass sie sich in der Regel längst mit den Angehörigen der Gegenwelt der Sesshaften, den gatschis, vermischt haben”. Vor Jahrzehnten noch waren sie als “dachlingspflanzer (Regenschirmmacher), “schrenzierer” (Hausierer), “ketterpflanzer (Pfannenflicker), Bürstenmacher, Schrotthändler, Schausteller oder Artisten unterwegs.
Hinweise auf Reste der Geheimsprache der Jenischen nimmt die Internationale Gesellschaft für Sondersprachenforschung (in Münster, Bispinghof 5/6, 48143 Münster, Telefon 0251/8324759) entgegen.