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Die vergessenen Gräber

Geschichte|Archäologie

Die vergessenen Gräber
Seit fast 300 Jahren durchstreifen Abenteurer und Archäologen das Tal der Könige. Aber noch immer gibt der berühmte Königsfriedhof große Geheimnisse preis – zum Beispiel welche Sterblichen die gottgleichen Pharaonen ins Jenseits begleiten durften.

Das Tal ist geleert.” Theodore M. Davis, millionenschwerer Hobbyarchäologe mit der Lizenz zum Graben, war überzeugt: Im Tal der Könige, der weltbekannten Nekropole im Süden Ägyptens, war nichts mehr zu holen. Nachdem der US-Amerikaner in 12 Jahren 18 Pharaonengräber aufgespürt hatte, gab er guten Gewissens seine Grabungserlaubnis auf. Was es zu entdecken gab, war bis 1914 entdeckt worden – dachte er.

Doch der Grabjäger irrte. Acht Jahre später stieß der Brite Howard Carter auf das nahezu unberührte Grab eines längst vergessenen Königs, das „wunderbare Dinge” barg. Jene schlichten Worte flüsterte Carter seinem schwerreichen Geldgeber zu, als die beiden erstmals in das dunkle Grab von Tutanchamun blickten. Särge und Schreine aus Gold, Statuen aus Ebenholz, erlesene Stoffe und vergoldete Möbel funkelten im Licht ihrer Taschenlampen. Jahrelang hatte Carter das Tal nach Hinweisen durchkämmt, seinem Sponsor Geld abgerungen, enttäuschende Grabungskampagnen verkraftet. Doch die entbehrungsreiche Suche hatte sich gelohnt. Gebannt blickte die ganze Welt nach Theben, war berauscht vom Glanz des schillernden Grabschatzes. Bis heute ist die mystische Strahlkraft Tutanchamuns nicht verblasst.

Im Tal der Könige wurde es nach der Jahrhundertsensation jedoch still. Zwischen den steilen Felswänden des thebanischen Wüstenmassivs hatten Abenteurer und Archäologen im Laufe der Zeit 62 Gräber entdeckt – den Großteil davon im sogenannten Ost-Tal, nur zwei unterirdische Grablegen fanden sie im benachbarten West-Tal. Aber auf den Goldgräberrausch folgte Katerstimmung. Der Zweite Weltkrieg erstickte die Ambitionen spendabler Finanziers und emsiger Forscher. Zudem gab es nur wenige Pharaonen, denen Ägyptologen noch keine Gruft in der Königsnekropole zuweisen konnten. War das Tal nun endgültig „geleert”? Der Eindruck täuschte erneut.

Wer suchet, der findet

Allerdings dauerte es mehr als sieben Jahrzehnte, bis die berühmte Pharaonen-Stätte ein weiteres Geheimnis preisgab: In einer unscheinbaren Felskammer stießen amerikanische Forscher 1995 auf eine riesenhafte Grabanlage. Sie erwies sich als das bislang größte Grab im Tal – nicht weniger als 130 Kammern dürfte der Komplex umfassen. Wie Inschriften an den Wänden belegen, ließ sie einer der mächtigsten Pharaonen der ägyptischen Geschichte erbauen: Ramses II. (Regierungszeit: 1279 bis 1213 v.Chr.) – nicht für sich selbst, sondern für seine Söhne. Die Grabungen des „Theban Mapping Projects” laufen inzwischen seit 20 Jahren, 15 Kammern sind freigelegt – und ein Ende ist nicht in Sicht.

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2006 konnten Archäologen dann unter meterdicken Gerölllagen eine unbekannte Kammer öffnen, in der seit über 3300 Jahren mehrere Holzsärge, Totenbetten und Vorratskrüge ungestört schlummerten. Doch die Leichenkästen enthielten keine Mumien, sondern Stofffetzen, Natron und Kopfkissen. Es waren die Überreste einer Mumienbalsamierung aus der Zeit von Tutanchamun (1336 bis 1327 v.Chr.). Die Utensilien hatte man offenbar nicht einfach entsorgt – das wäre pietätlos gewesen –, sondern feinsäuberlich deponiert. Tote waren in dem neuem Grab mit der Nummer 63 in der „Kings’ Valley”-Zählung (kurz: KV 63) nie bestattet. Davon ist der Ausgräber Otto Schaden von der Universität in Memphis, Tennessee, überzeugt.

KV 63 blieb ein Einzelfund – und glückte wohl nur deshalb, weil Otto Schaden eine Stelle untersucht hatte, an der Forscher nachweislich noch nie gegraben hatten. Bereiche freizulegen, die Generationen von Archäologen links liegen gelassen hatten, hält auch Susanne Bickel von der Universität Basel für vielversprechend. 2009 begann die Ägyptologin mit ihrem Team in einem südlichen Seitental des Königsfriedhofs zu arbeiten. Schon bald darauf gelang den Schweizern ein erster Erfolg. 2012 entdeckten sie ein neues Grab samt Mumienbestattung: KV 64. Auf den Schacht zu der kleinen Kammer stießen die Forscher eher zufällig. Eigentlich hatte sich das „University of Basel Kings’ Valley Project” ein Dutzend Gräber aus dem Seitental vorgenommen, die Archäologen zwar schon kannten, für die sie sich aber bislang wenig interessiert hatten. Was Susanne Bickels Team nun aus diesen Felsenkammern fördert, bringt nicht nur eine Fülle neuer Funde zu Tage, sondern die Basler kamen auch einem weiteren Rätsel auf die Spur: In der Epoche des Neuen Reichs – der 18., 19. und 20. Dynastie – besaßen 26 Könige eine Grablege im thebanischen Bestattungskomplex. Doch 64 Gräber sind gezählt. Wer lag in den übrigen 38?

Gräber aus der goldenen Epoche

Dass heute noch Teile des Tals der Könige unerforscht sind, überrascht. Seit dem 18. Jahrhundert besuchten Abenteurer, Künstler und Gelehrte das Wadi Biban el- Moluk, so der arabische Name. Sie fertigten Zeichnungen und Pläne an und berichteten staunend über die Farbenpracht der noch zugänglichen Königsgräber. Im Auftrag des englischen Generalkonsuls legte 1817 der Italiener Giovanni Battista Belzoni die ersten Anlagen frei. Erst um 1900 machte der französische Archäologe Victor Loret wieder eine Reihe spektakulärer Entdeckungen, die in der Erfolgsserie des Millionärs Theodore M. Davis mündeten.

Spätestens zu dieser Zeit war klar: Einige der prominentesten Herrscher des alten Ägyptens ließen ihre letzte Ruhestätte in den Schluchten des westthebanischen Bergmassivs anlegen. Dazu zählten große Eroberer wie Thutmosis III. (1479 bis 1425 v.Chr.), der Ägypten gen Syrien und Nubien ausdehnte, seine Stiefmutter und Pharaonin Hatschepsut (1473 bis 1458 v.Chr.), ferner der geradezu bauwütige Vater von „Ketzerpharao” Echnaton, Amenhotep III. (1390 bis 1352 v.Chr.). Und auch Ramses II. – der Große, der rund 67 Jahre über Ägypten herrschte und unzählige Tempelmonumente hinterließ. Ketten aus Kammern und Korridoren ließen sich die Granden der goldenen Epoche Ägyptens in den weichen Kalkstein treiben und seit der späten 18. Dynastie auch farbenreich ausmalen (siehe Grafik S. 66/67). An den Wänden treten die Pharaonen vor die Jenseitsgötter Osiris und Anubis oder die Hausgöttin von Theben-West, Hathor. Kunstvolle Sternbilder bedecken gewölbte Raumdecken, und meterlange Bildzyklen leiten die Könige an, wie sie den Gefahren der Unterwelt widerstehen können.

Doch auf der Suche nach Farbenpracht und Königsschätzen blendeten die Forscher aus, was sie nicht blendete: „Viele Gelehrte interessierten sich nicht für die Gräber, die keine Wanddekoration besaßen. Das ist aber bei zwei Dritteln der Grabräume im Tal der Könige der Fall”, erklärt Susanne Bickel. Sie interessiert: „Für wen wurden sie angelegt?”

Karge Kammern, jähes Jenseits?

Dass es bei vielen Felsgruften bislang keine Antwort auf diese Frage gab, hat verschiedene Gründe: Auf den Wandbildern und Sarkophagen der Pharaonengräber werden die beigesetzten Könige explizit mit Namen genannt. Diese Information fehlt in den nackten Grabkammern. Wer dort einst bestattet war, dürften zwar Hieroglyphen auf den Beigaben verraten haben, doch Grabräuber haben die meisten Gräber in den letzten 3000 Jahren ausgeraubt. Folglich gibt es nur wenige Grablegen, in denen Archäologen noch Teile des ursprünglichen Beigabenschatzes oder gar Mumien vorfanden.

Ein solcher Glücksfall ist KV 46 – dort lagen die Schwiegereltern von König Amenhotep III. Ein anderes Grab, KV 36, beherbergte wohl die Überreste eines Weggefährten und hohen Beamten von Pharao Thutmosis III. Darauf deuten die Inschriften auf seinem Sarg und einigen Beigaben hin. Hinweise auf eine Amme fanden sich im Grab KV 60. Hatschepsuts Nährmutter war vielleicht dort bestattet. Eine Hauptfrau von Amenhotep II. (1427 bis 1400 v.Chr.) war in KV 32 beigesetzt. Ein Zeitgenosse desselben Pharaos, ein Wesir, lag vermutlich in KV 48. Seine Mutter dürfte eine Nebenfrau von Amenhoteps Vater gewesen sein. Der Vetter des Wesirs war Bürgermeister von Theben und erhielt wohl als letzte Ruhestätte KV 42. So unterschiedlich die Toten zu Lebzeiten waren – sie alle standen auf die eine oder andere Weise dem Königshaus nahe.

Doch was unterschied sie von anderen Titelträgern und hohen Beamten mit denselben Funktionen am Hof, die in den Friedhöfen am Rande des thebanischen Bergmassivs bestatten waren? Dort, einige Kilometer vor dem Zugang ins Tal der Könige, besaßen auch der Bürgermeister von Theben und sein Vetter stattliche Grabkomplexe, die sie mit Wandbildern ihrer frommen Jenseitswünsche schmücken ließen. Das ewige Leben, auf das die Ägypter nach dem Tod hofften, ließen sie an die Grabwände malen. In Verbindung mit ihrem Namen sollte es das Weiterleben im Jenseits garantieren.

Doch den Toten in den kahlen Kammern des Pharaonenfriedhofs blieb die schöne Ewigkeit offenbar verwehrt. „Die Beigaben und Särge waren aber sicher beschriftet”, meint Susanne Bickel. Den Forschern bereitet die Diskrepanz zu den bunten Königsgruften Kopfzerbrechen. Auch Konstantin Lakomy hat sich damit befasst. „ Es war sicher Absicht, die Wände kahl zu belassen”, meint der Göttinger Ägyptologe. Doch viel wichtiger ist: „Der Ort an sich und die Nähe zum Pharao dürften die zentrale Rolle gespielt haben. Das Tal der Könige war ein exklusiver und heiliger Ort.” Durch ihre Beziehung zum Herrscher erhielten einige Menschen das besondere Recht, in der Königsnekropole bestattet zu werden – wenn auch schmuck- und schnörkellos. Denn die Rechte eines Pharaos hatten sie nicht.

Im südlichen Seitenarm des Ost-Tals hofft Susanne Bickel, Antworten auf die Identität der unbekannten Toten zu finden. Am Ende des schmalen Wadis befindet sich das Grab von Thutmosis III. (KV 34). Auf dem Weg dorthin liegen die Eingänge zu zwölf Schachtgrabanlagen. Ägyptologen bezeichnen damit unterirdische Kammern, die über einen senkrechten Schacht zugänglich sind. Einige der Gräber hatten neuzeitliche Gelehrte schon betreten und in ihren Berichten erwähnt – aber die Forscher hatten dort nicht gegraben. Andere Gräber waren verschüttet. Über die Jahrtausende hatte Geröll die Schächte verstopft, die Folge von Regengüssen. Die gibt es im Wüstental zwar äußerst selten, aber wenn sie kommen, sind sie flutartig und verdichten das Geröll im Schacht zu einer zementähnlichen Masse. „Unsere erste Sorge vor der Freilegung ist daher stets”, so Bickel, „ob ein Grab trocken ist und ob darin alles heil geblieben ist.”

Als sich die Basler in KV 40 durch den sechs Meter tiefen Schacht gegraben hatten, erwies sich immerhin diese Sorge als unbegründet. Doch unten angekommen bot sich den Forschern ein Anblick wie nach einem Orkan: Ein Durcheinander aus Sargresten, Bandagen, Keramikscherben und Mumienteilen bedeckte kniehoch den Boden. Grabräuber hatten gewütet. Sie hatten nicht nur die wertvollsten Beigaben mitgehen lassen, sondern auf der Suche nach Kostbarem auch die Mumien ausgewickelt und zerpflückt. Um anschließend ihre Spuren zu verwischen, legten die Grabräuber Feuer. „Damit sie der aufsteigende Rauch nicht verriet, schütteten sie den Schacht rasch zu, wodurch das Feuer erstickt wurde.” Für Bickel ein Glück im Unglück. Denn die Funde sind dadurch zwar verrußt, aber nicht völlig zerstört.

Im Frühjahr 2015 haben die Schweizer Archäologen die letzten Objekte aus dem wohnzimmergroßen Hauptraum und den drei kleineren Nebenkammern geborgen. Aus den Stücken ergaben sich erste Hinweise auf die Toten. Die vielen Reste von bunten Mumienmasken aus Kartonage, einer Art Pappmaschee aus Leinen und Gips, konnten die Forscher zwei Epochen zuweisen. Der eine Teil stammt aus der 18. Dynastie, der andere aus der Dritten Zwischenzeit, vermutlich der 21. oder 22. Dynastie. In der Gruft wurden also erstmals im 14. und ein weiteres Mal im 10. Jahrhundert v.Chr. Mumien beigesetzt. Und die Keramikfunde verrieten ihre Identität.

Aus den Tonscherben setzten Spezialisten über 100 hüfthohe Vorratskrüge zusammen. Sie enthielten einst Utensilien zur Mumifizierung wie Natronsäckchen, Bandagen und Tupfer. „Solche Krüge finden sich oft in Ägypten”, erklärt die Basler Archäologin. „Aber diese hier sind einmalig: Sie sind beschriftet.” Die schlichten Hieroglyphen auf den weiß getünchten Vasen nennen insgesamt 30 Namen. Mehrere davon tragen zudem einen Zusatz: Acht sind als Königstochter betitelt, vier als Königssohn. „Die Toten gehörten demnach zur engsten Familie des Königs.” Welcher Pharao der Vater war, bestimmte Bickel mithilfe der Tongefäße. Die Keramikexperten ihres Teams datierten sie in die Regierungszeit von Herrscher Amenhotep III. (1390 bis 1352 v.Chr.).

Von den Kindern Amenhoteps III. kennen Ägyptologen bisher vier Töchter aus Inschriften auf Statuen. Keine von ihnen stimmt aber mit einem der Namen aus KV 40 überein. Sie alle dürften indes Geschwister von Amenhoteps Thronfolger gewesen sein: Amenhotep IV. (1352 bis 1336 v.Chr.) – besser bekannt als Echnaton, der sich mit einem Donnerschlag ins kollektive Gedächtnis der Weltgeschichte brannte. Indem er die traditionelle Götterwelt zerschlug und die Sonnenscheibe zur einzigen Gottheit bestimmte, stellte er das gehegte Weltbild der alten Ägypter auf den Kopf – ein monotheistisches Intermezzo, das gerade mal 15 Jahre dauerte.

Ob die Toten aus KV 40 tatsächlich zur Familie von Amenhotep III. und Echnaton gehören, könnten die Mumienreste verraten. Davon haben Susanne Bickel und ihr Team reichlich aus den rußgeschwärzten Grabkammern geborgen. Nicht weniger als 50 Schädel fanden sie, halbe Körper und zahlreiche Knochen. Die stark lädierten Mumien hat Susanne Bickel nun quasi unter ärztliche Aufsicht gestellt. Mumienexperte Frank Rühli, Leiter des Instituts für Evolutionäre Medizin in Zürich, der schon Ötzi und Tutanchamun inspizierte (siehe bild der wissenschaft 3/2012, „ Was macht eigentlich der Mumienforscher Frank Rühli?”), untersucht die menschlichen Überreste aus KV 40.

Vaterschaftstest für eine Mumie

Der erste Körper-Check brachte eine überraschende Diagnose: „ Die 50 Mumien waren vor allem Kinder, Jugendliche und auch Neugeborene”, fasst Rühli die vorläufigen Ergebnisse zusammen. Der Befund ist ungewöhnlich, denn Mumien von Kindern haben Forscher im Tal der Könige bislang kaum dokumentiert. Und er bestätigt, was die Prinzen- und Prinzessinnen-Namen auf den Mumientöpfen besagen: „Wir haben es mit einer sehr hohen Gesellschaftsschicht zu tun”, erklärt Grabungsleiterin Susanne Bickel. „Die normale Bevölkerung ließ Kinder und Neugeborene nicht mumifizieren, sondern setzte sie in Tonkrügen oder einfachen Matten bei.”

Doch gehörten die zerzausten Mumien aus KV 40 wirklich zur Großfamilie von Amenhotep III.? Ein Vaterschaftstest könnte Licht ins Familiendunkel bringen. Die Mumie von Amenhotep III. hat die Jahrtausende überdauert, ebenso die balsamierten Überreste seiner Schwiegereltern. Deren Erbgut hat bereits 2010 der Genetiker Carsten Pusch von der Universität Tübingen analysiert. Im Auftrag des ehemaligen Generalsekretärs des ägyptischen Antikendienstes, Zahi Hawass, entnahm er Proben aus dem Inneren der Knochen, erstellte einen genetischen Fingerabdruck und verglich die Daten mit denen weiterer Mumien aus der Königsnekropole. Das „King Tutankhamun Family Project” ergab damals, dass Tutanchamun Teil von Amenhoteps Großfamilie war. Er war der Enkel von Amenhotep III. Zwei weitere Mumien stellten sich als Tutanchamuns Eltern heraus, die – laut Gen-Analyse – zugleich Geschwister gewesen waren. Zahi Hawass deutete sie als Pharao Echnaton und seine Hauptfrau Nofretete.

Das Ergebnis ließ Laien wie Experten jubeln, stieß aber auf ebenso vehemente Kritik aus den Reihen der Ägyptologen. Mit den historischen Informationen auf Inschriften und Papyri stimmte der neue Familienstammbaum nicht überein. Zweifel an der naturwissenschaftlichen Untersuchung kamen auf. Überhaupt: Kann in Mumien DNA-Material mehr als 3000 Jahre überdauern? „Ja, grundsätzlich schon”, kommentiert Mumienexperte Rühli die Erbgut-Entschlüsselung. „Die Datenlage bei der molekularen Analyse von Mumien ist aber sehr viel dünner als bei forensischen Analysen von modernem Material. Die Resultate müssen daher vorsichtig interpretiert werden.” Weiterbringen würde es die Forscher jedoch allemal, auch die Mumien aus KV 40 molekular zu untersuchen, da ist Rühli sicher. Nur: Eine entsprechende Erlaubnis haben die Wissenschaftler noch nicht. „Diese Erlaubnis zu bekommen, ist unser nächstes Ziel”, sagt Ägyptologin Bickel. „ Das könnte aber noch dauern.”

Doch auch ohne DNA-Untersuchung können die Archäologen die Funde aus KV 40 mit der historischen Figur Amenhoteps III. verknüpfen. Eine weitere Verbindung stellen die Namensinschriften auf den Tongefäßen her. Die meisten Eigennamen sind typisch altägyptisch. Einige Frauen tragen allerdings eine Hieroglyphe im Namen, die sie eindeutig als Ausländerinnen kennzeichnet. Einen besonderen Titel, der ihnen eine Funktion am Königshof zuschreibt, hatten sie jedoch nicht. Dennoch vermutet Susanne Bickel, dass sie zum Umfeld des königlichen Harems gehörten: „Wie wir wissen, heirateten die Pharaonen fremde Prinzessinnen, vor allem aus dem Nahen Osten, um diplomatische Verträge zu besiegeln.” Diese Frauen brachten einen großen Hofstaat mit. Von Amenhotep III. ist überliefert, dass seine Zweitfrau Giluchepa aus dem ostanatolischen Reich Mitanni mit 317 Hofdamen nach Ägypten kam. „Wo sind diese 317 Frauen geblieben?”, fragt Bickel. „Denkbar wäre, dass die eine oder andere in KV 40 begraben wurde.”

Das heißt: Nicht verdiente Staatsbeamte begleiteten die Pharaonen ins Jenseits, wie Ägyptologen oft vermuteten, sondern die königliche Familie und Entourage. „Das lässt sich noch vertiefen”, sagt Susanne Bickel. Ihre wissenschaftlichen Vorgänger haben dazu wertvolle Arbeit geleistet. Denn die wenigen nichtköniglichen Gräber, die Archäologen schon vor 100 Jahren freigelegt haben, vervollständigen das Bild. Darin ruhten Beamte, die mit einer königlichen Amme verheiratet oder selbst Kind einer solchen Nährmutter waren. Hatschepsut hatte ihre Amme ganz nah bei sich bestattet. „Diese Personen waren zwar mit dem König nicht bluts-, aber doch milchverwandt”, resümiert die Ägyptologin. „Im Tal bestattet zu werden, war keine Auszeichnung für verdiente Staatsbeamte, sondern die Könige betteten ihre Großfamilie – Töchter, Söhne, Hofdamen und Milchverwandte – neben sich.”

Dieses Szenario stützen Funde aus den übrigen Gräbern, die Bickel und ihr Team schon freigelegt haben. Direkt neben KV 40 öffnet sich der Schacht in das 2012 entdeckte Grab KV 64. Als die Basler Archäologen den schlichten Raum betraten, sah es dort sehr viel ordentlicher aus als in der Nachbargruft – aber nur, weil in der 22. Dynastie aufgeräumt wurde, um die Kammer erneut zu nutzen. Auf einer Schotterschicht lagen seit 3000 Jahren unversehrt der Holzsarg samt Mumie und Totenstele einer Frau, die einst Sängerin im Amun-Tempel von Theben war.

Im Geröll unter dem Leichenkasten entdeckten die Ausgräber allerdings noch Reste einer älteren Bestattung aus der 18. Dynastie, ungefähr eine halbe Generation älter als das Nachbargrab KV 40. Einige Holz-, Keramik- und Textilfragmente sowie große Teile einer zerschlissenen Mumie sammelten die Forscher auf – darunter auch das hölzerne Täfelchen mit dem Namen einer Prinzessin: Satjah.

Erinnerungen ans Tal der Könige

„Aus ägyptischen Quellen kennen wir eine Gattin von Thutmosis III. mit demselben Namen”, so Bickel. Weitere Indizien für ihre Identität sammelte Frank Rühli. Laut seiner Diagnose stammen die Mumienfragmente aus KV 64 von einer Frau mittleren Alters. Somit wurde sie zur Zeit von Thutmosis III. (1479 bis 1425 v.Chr.) geboren und ist unter Thutmosis IV. (1400 bis 1390 v.Chr.), dem Vater von Amenhotep III., gestorben. „Falls Mumie und Namenstäfelchen zusammengehören, wäre Satjah eine spätgeborene Tochter Thutmosis’ III. gewesen, die wie üblich denselben Namen trug wie eine der Gemahlinnen”, vermutet Bickel, „und so bedeutend, dass sie ein eigenes Grab bekam.” Die Ägyptologin ist sicher, dass die Haremsgruft KV 40 nicht zufällig so nah zu KV 64 angelegt wurde. Die Frau darin muss eine wichtige Bezugsperson gewesen sein.

Das war sie auch noch 300 Jahre später. Denn in den Gräbern finden die Schweizer Forscher immer wieder Hinweise auf Beisetzungen aus der 22. Dynastie. Zu jener Zeit, im 10. und 9. Jahrhundert v.Chr., hatte sich Ägypten stark verändert. Das Land war in rivalisierende Fürstentümer zerfallen, zudem setzten kriegerische Überfälle und wirtschaftlicher Stillstand den Menschen zu. „Dennoch war sich die herrschende Schicht, die Priester des thebanischen Amun-Tempels, der einstigen Heiligkeit des Ortes noch bewusst”, glaubt Bickel. „Daran wollte man anknüpfen, indem man sich dort bestatten ließ.”

Scherbe um Scherbe, Mumie um Mumie ergänzen die Schweizer Archäologen die Geschichte des Tals der Könige. Aus einem Dutzend Gräbern haben sie bergeweise Funde geborgen. Kein Stück davon verriet bislang weitere Namen. Doch die Geschichte im Tal der Könige hat schon so oft gezeigt, dass es vermessen wäre anzunehmen, der Friedhof der Pharaonen sei „geleert”. •

von Karin Schlott

Das Grabraub-Komplott – ein Krimi aus Ägypten

Zwei hochkarätige Gegenspieler, ein finsteres Komplott, brachiale Gewalt – was sich um 1110 v.Chr. in Theben zutrug, bietet genügend Stoff für einen Thriller. Die Vorlage liefert eine Handvoll Papyri: Gerichtsprotokolle, die heute als Grabräuber-Papyri bekannt sind. Denn um kein geringeres Vergehen als frevelhaften Grabraub rankt sich die Geschichte. Die beiden Widersacher sind Paser, der Bürgermeister von Theben-Ost, und Paweraa, der Stadtvorsteher von Theben-West, dort wo die Friedhöfe der Könige und Beamten liegen. Warum der eine den anderen politisch kalt stellen will, überliefern die Prozessakten nicht. Doch klar ist: Jedes Mittel ist recht. Paweraa bringt die Sache ins Rollen. Er entsendet einen Beamten nach Theben-Ost, um Paser mit einem fingierten Bericht zu ködern. In den Nekropolen sei es zu Einbrüchen gekommen, in bürgerliche und – besonders schändlich – in königliche Gräber. Paser leitet die brisante Nachricht an seinen Vorgesetzten weiter, den Wesir von Theben. Doch auch Paweraa bringt Einbrüche zur Anzeige, um zu zeigen, dass er seinen Pflichten nachkommt. Rasch werden mehrere Täter verhaftet, als Rädelsführer ein Steinmetz. „Er wurde durch Stockschläge verhört, seine Beine und Hände wurden verdreht”, heißt es in den Papyri. Verdächtige zu foltern, war übliche Verhörmethode in Ägypten. Der Steinmetz gesteht, mit anderen Gräber beraubt zu haben: „Wir brachten die Särge fort, in denen sich Gold befand, und wir brachen sie auf und legten Feuer in ihnen in der Nacht, im Innern der Gräber.” Der Wesir von Theben sendet Inspektoren in die Nekropole, die feststellen: Nur ein Königsgrab war aufgebrochen worden – anders als Paser berichtete – , aber Räuber waren in zahlreiche Beamtengräber eingedrungen. Paweraa lässt Paser ein zweites Mal in die Falle tappen: Ein Informant unterrichtet Paser von erneuten Einbrüchen. Der wendet sich umgehend an den Wesir. Paweraa reagiert. Er präsentiert eine Liste mit Verdächtigen: Kupferschmiede, die verhaftet und gefoltert werden. Sie gestehen, das Grab einer Königin entweiht zu haben. Um sich von der Glaubwürdigkeit der Aussagen zu überzeugen, lässt der Wesir den Steinmetz und die Kupferschmiede zum Tatort bringen. Sie sollen zeigen, welche Gräber sie beraubt haben. Während der Steinmetz das Tribunal an ein beraubtes Pharaonengrab führt, deuten die Schmiede auf noch versiegelte Gruften. Paser gerät in Bedrängnis, hatte er doch Unschuldige des Einbruchs bezichtigt. Er plant, den Pharao höchstpersönlich von dieser Scharade zu unterrichten. Daraufhin warnt Paweraa den Wesir, dass Paser an ihm vorbei den König benachrichtigen will. Bevor der Bürgermeister von Theben-Ost zur Tat schreiten kann, kommt es zur Verhandlung gegen die Grabräuber. Der Wesir spricht die Schmiede frei und erklärt Pasers Anschuldigung für nichtig. Die Bande des Steinmetzes wird zum Tode verurteilt. Und Paser? Über ihn schweigen fortan die Quellen. Paweraa aber bleibt noch weitere 30 Jahre im Amt.

Pleiten, Pech und Pannen

Auf Megaprojekte wie Stuttgart 21 und den Flughafen Berlin hätten sich altägyptische Baumeister vermutlich mit Eifer gestürzt. Dass sie fähig waren, Großbauten durchzuziehen, haben sie in der über 3000 Jahre währenden Pharaonenzeit mehrfach bewiesen. Sie stampften monumentale Steinpyramiden aus dem Wüstenboden, legten Städte dazu an und errichteten kolossale Tempelanlagen.

Doch von Pannen blieben auch altägyptische Bauprojekte nicht verschont. König Snofru (2613 bis 2589 v.Chr.) etwa ließ sich nicht weniger als drei Pyramiden erbauen. Die erste wollte er nicht, die zweite sackte weg und erst die dritte hielt, was sie versprach. Die zweite Pyramide hatten die Bauleute zu steil begonnen. Als sie die Neigung abflachten, war es schon zu spät – der Untergrund gab nach.

Baupannen unterliefen sehr viel später auch den Arbeitern im Tal der Könige. Nachdem die Ägypter dort rund 300 Jahre lang ihre Herrscher zu Grab getragen hatten, drohte Überfüllung. Kollisionen waren programmiert – wohl auch, weil kein Gesamtplan des Königsfriedhofs existierte. Um 1200 v.Chr. knallte es das erste Mal. Beim Bau der Gruft von Pharao Sa-Ptah (1194 bis 1188 v.Chr.) hackten die Arbeiter versehentlich ein Loch in die Kammern von Königin Tiaa aus dem späten 15. vorchristlichen Jahrhundert. Wie die Forscher vom Theban Mapping Project feststellten, entschied man sich zur Planänderung und füllte das Loch mit Quadern.

Das Platzproblem im Tal der Könige war da immer noch nicht gelöst. Folglich plumpsten Steinmetze wenige Jahre später gleich zweimal in eine ältere Gruft. Das eine Mal flickten die Arbeiter das Loch, das andere Mal ließen sie es bleiben. Der König bekam sein Grab an anderer Stelle. Dass die Baumeister in der Königsnekropole allmählich die Übersicht verloren, lag mit daran, dass die Eingänge älterer Anlagen oft durch Bauschutt überdeckt wurden. Zudem mauerten die Arbeiter ihre Bauhütten über alte Zugänge. Doch immerhin: Die konfuse Planung erhöhte den Schutz vor Grabräubern. Tutanchamun beispielsweise lag verborgen unter einer Schicht aus Schotter und Bauhütten. Howard Carter hatte dies 1922 erkannt und deshalb gezielt an der Stelle gegraben.

Größer, höher, kolossaler – diesem Leitspruch der alten Pharaonen blieben die späteren griechischen und römischen Herrscher Ägyptens treu. Doch selbst unter ihrer Regentschaft lief nicht alles glatt. Prominentestes Beispiel: die Memnon-Kolosse in der Uferebene von Theben-West. Die beiden rund 18 Meter hohen Sitzbilder von König Amenhotep III. galten in der Antike als Touristenattraktion. Nicht nur aufgrund ihrer Größe, sondern auch weil eine der beiden Statuen „sang”: Nach einem Erdbeben um 27 v.Chr. waren Risse in der Figur entstanden. Diese füllten sich nachts mit feuchter Luft, die sich bei Sonnenaufgang erwärmte und mit einem laut vernehmlichen Ton entwich. Zu jener Zeit war die Erinnerung an Amenhotep III. verblichen. In den Kolossen sah man ein Abbild der griechischen Mythengestalt Memnon, Sohn der Morgenröte, der morgens singend seine Mutter begrüßt. Heute ist die Figur verstummt. Kaiser Septimius Severus (192 bis 211 n.Chr.) hatte dem Spektakel ein Ende bereitet – ungewollt. Er ließ die Statue restaurieren, was sie der Stimme beraubte.

Mehr zum Thema

Internet

Kings‘ Valley Project der Universität Basel: www.kv64.ch

Theban Mapping Project – Pläne, Bilder und Videos: www.thebanmappingproject.com

Lesen

Neues Überblickswerk über Tutanchamuns Grab: Zahi Hawass Auf den Spuren Tutanchamuns WBG, Darmstadt 2015, € 29,95

Informative Einführung ins Tal der Könige: Erik Hornung Das Tal der Könige C.H.Beck, München 2011, € 8,95

Kompakt:

· Archäologen haben neue Gräber im Tal der Könige entdeckt. Der letzte große Fund liegt 90 Jahre zurück: Tutanchamun.

· In den Grabanlagen fanden die Forscher keine Wandmalereien, und es ruhten dort auch keine Pharaonen.

· Nun suchen sie nach der Identität der Menschen, die mit den Königen an diesem besonderen Ort bestattet wurden.

Ohne Titel

Fluch des Pharao, gibt es nicht? Doch! Im Studium fühlte sich bdw-Redakteurin Karin Schlott ziemlich verflucht, als sie die Namen der Pharaonen auswendig lernen musste.

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