Noch im Tod scheinen sie einander Trost zu spenden. Die Gesichter der Erwachsenen und der Kinder sind einander zugewandt. Oft berühren sich die Hände – liebevoll, dieses Attribut drängt sich dem Betrachter auf. Insgesamt 13 Menschen, verteilt auf vier Gräber, entdeckten die Archäologen Robert Ganslmeier und Harald Meller im Juli 2005 am Rand eines Kiestagebaus nahe Naumburg in Sachsen-Anhalt im Ortsteil Eulau. Zehn Jahre nach dem spektakulären Fund hat nun eine umfangreiche genetische Studie geklärt, in welchem großen Zusammenhang die Toten stehen. Die Gräber dokumentieren einen tödlichen Konflikt zwischen Alteingesessenen und Zugewanderten – eine Momentaufnahme aus der Zeit vor etwa 4600 Jahren, als eine Welle von Nomaden aus dem Osten ins Herz Mitteleuropas eingedrungen war.
„Die Familiengräber von Eulau”, unter diesem Namen gingen die Bestattungen aus der Kiesgrube im Saaletal in die Fachliteratur ein. Denn DNA-Analysen an der Universität Mainz zeigten: Es handelt sich größtenteils um enge Verwandte. Wie ein Triptychon hängen heute drei der Eulauer Gräber als Blockbergungen an den Wänden des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle. Wer kein anatomisch geschultes Auge hat, wird nichts Auffälliges an den Skeletten entdecken. Doch die drei Frauen, zwei Männer und acht Kinder wurden Opfer eines Massakers.
Die Frau im Grab mit der laufenden Nummer 98 war etwa Mitte 30, sie hatte ihr Baby bei sich. Ihr Mörder hat ihr den Schädel mit einem Steinbeil eingeschlagen. Hinter ihrem Rücken liegen zwei fünf und acht Jahre alte Geschwister, die laut DNA-Analyse nicht mit der Frau verwandt sind – vielleicht Kinder aus einer früheren Ehe ihres Mannes. Dass Frauen bei der Geburt ihrer Kinder starben, war keine Seltenheit.
In Grab 90 ruhen eine etwa 30-jährige Erwachsene und ein 4- bis 5-jähriges Kind. Im vierten Lendenwirbel der Frau steckt noch nach 4600 Jahren ein sogenannter Querschneider aus Feuerstein, ein zweiter hat in Höhe des Herzens ihr Brustbein gestreift. Querschneider sind stumpfe, trapezförmige Pfeilspitzen, die große Fleischwunden reißen und zu raschem Verbluten führen.
Etwas Besonderes ist Grab 99. Dort haben die Mainzer DNA-Spurensucher bei allen vier Toten genügend intakte Erbsubstanz gefunden, um den Nachweis zu führen: Es sind Vater, Mutter und deren etwa 5- und 9-jährige Kinder. Wer sie bestattet hat, wusste das. Die Gesichter des etwa 50-jährigen Mannes und des größeren Kindes sind einander zugewandt. Auch die etwa 40-jährige Frau scheint im Tod das Jüngere der beiden Kinder anzuschauen.
Der Vater, nicht anders als der zweite männliche Erwachsene, war für die damalige Epoche bereits in vorgerücktem Alter. Die Ansätze der Muskulatur an den Knochen weisen beide Männer als sehr kräftig aus. Aber sie hatten keine Chance. Unverheilte Knochenbrüche an den Unterarmen und Händen zeigen, dass beide sich mit bloßen Händen gewehrt haben, als die Hiebe der Steinäxte auf sie einprasselten und schließlich ihre Schädel spalteten.
Der brutale Überfall
Der Überfall war sorgfältig geplant. Offenbar waren beim Angriff keine Männer und Frauen zwischen 15 und 25 Jahren im Dorf. Denn sie hätten sich und ihre Gemeinschaft mit Vehemenz verteidigt, und einige von ihnen wären unter den 13 Toten – doch junge Erwachsene fehlen in den Gräbern. Vielleicht waren sie beim Holzeinschlag oder beim Ernten. Bald nach dem Massaker müssen die Dorfgenossen der Ermordeten zurückgekehrt sein, denn die Skelette weisen keinerlei Tierverbiss auf. Und hätten die Feinde ihre Opfer verscharrt, wären die Körper kreuz und quer in ein Massengrab geworfen worden. Doch die pietätvolle Beerdigung zeigt, dass die Toten von Menschen beigesetzt wurden, die sie genau kannten.
Der Ritus der Bestattungen verrät, welcher Kultur die 13 und ihr Dorf angehörten: Es waren Schnurkeramiker. Denn wie bei allen Gräbern dieser spätjungsteinzeitlichen Kultur sind die Köpfe der Frauen strikt nach Osten ausgerichtet, die der Männer nach Westen. Die Erwachsenen beider Geschlechter ruhen in seitlicher Hockerlage, die Gesichter stets nach Süden gewandt – vielleicht ein Indiz für einen Sonnenkult oder die Verehrung eines Sonnengottes. Die Frauen haben aus Knochen geschnitzte Nähnadeln und Anhänger aus durchbohrten Tierzähnen mit ins Grab bekommen, die Männer häufig ein Keramikgefäß – und immer eine steinerne Axt. Von dieser Besonderheit stammt der früher gebräuchliche Name „Streitaxt-Kultur”. Heute sprechen die Archäologen angesichts der typischen Verzierung der Tongefäße meist von „ Schnurkeramiker-Kultur” oder einfach von „Schnurkeramikern”.
Auf der Spur der Mörder
Wer aber waren die Aggressoren, die das Gemetzel im Dorf anrichteten? Hier können die Forscher nur spekulieren – allerdings gut begründet. Indiz Nummer eins: die Querschneider-Pfeilspitzen im Skelett der Frau aus Grab 90. Solche Projektile waren in den jungsteinzeitlichen Kulturen jener Epoche wenig gebräuchlich, sie dienten gelegentlich zur Vogeljagd. Zum Fundinventar der Schönfelder- Kultur zählen sie hingegen recht häufig. Das Schönfelder- Siedlungsgebiet erstreckte sich zur selben Zeit wie die Schnurkeramiker-Kultur beiderseits der Elbe vom Wendland südöstlich von Hamburg bis nach Böhmen, mit einem regionalen Schwerpunkt im Raum Magdeburg. Nur drei Tagesmärsche nördlich des überfallenen Schnurkeramiker-Dorfs lagen die nächsten Weiler der Schönfelder.
Indiz Nummer zwei: Die ermordeten Frauen waren – im Gegensatz zu den Männern und Kindern – nicht im Gebiet Naumburg aufgewachsen. Das schlossen Forscher der Universität Bristol aus der Zahnanalyse der Toten. Die Wissenschaftler hatten das Isotopenverhältnis des chemischen Elements Strontium im Zahnschmelz bestimmt. Es ist charakteristisch für Boden und Wasser einer Region. Der chemische Fingerabdruck in den Zähnen der Frauen passt zum östlichen Harzvorland – Siedlungsgebiet der Schönfelder.
Beides nährt den Verdacht: Der Heimat-Clan der Frauen nahm Rache an der fremden Gemeinschaft, in der sie seit geraumer Zeit gelebt und Kinder zur Welt gebracht hatten. Vielleicht waren sie als Mädchen „eigenen Leuten” versprochen gewesen, aber hatten sich für Männer der Schnurkeramiker entschieden. Oder sie waren geraubt worden und hatten sich nicht bei nächster Gelegenheit umgebracht, wie es die Sitte gebot. Die Schmach muss jedenfalls so groß gewesen sein, dass sie nur mit Blut reinzuwaschen war.
Die Jungsteinzeit in Mitteleuropa war ohnedies eine Epoche voller Gewalt. Sie begann um 5500 v.Chr., als Bauern aus dem Nahen Osten in Europa eingewandert waren. In jener Zeit wurde der Krieg erfunden. Jäger und Sammler weichen normalerweise einander aus, wenn es Konflikte gibt. Doch wer sesshaft ist, muss Land und Saatgut verteidigen, um jeden Preis. Seit Jahrtausenden haben fruchtbare Lössböden wie der in der Magdeburger Börde, an deren Südrand Eulau liegt, Siedler angezogen. Und guter Ackerboden war meist mit Blut getränkt.
Die Menschen der Schönfelder-Kultur (2900 bis 2100 v.Chr.) waren einheimische Nachfolger der Trichterbecher- und der Bernburger-Kultur, in etwa derselben Region wie die Vorläufer. Ihre Hinterlassenschaften sind tönerne Trommeln und mit Zickzacklinien verzierte Gefäße. Sie verbrannten ihre Toten und deponierten die Asche in Flachgräbern. Ganz anders die Schnurkeramiker: andere Gefäße, andere Hausgrundrisse, Körperbestattungen in Seitenhockerlage nach dem oben beschriebenen strengen Ritus, höchstwahrscheinlich eine andere Sprache. Hier trafen Alteingesessene auf zugewanderte Fremde.
Etwa 2900 v.Chr. tauchen die Schnurkeramiker – damals noch Viehnomaden – an der unteren Weichsel auf, im heutigen Polen. Um 2700 v.Chr. sickern die Ersten in Mitteldeutschland ein, um 2500 v.Chr. lassen sie sich auch an Schweizer Seen in Pfahlbausiedlungen nieder. Als sesshafte Ackerbauern und Schweinezüchter erarbeiteten sie sich ihren Lebensunterhalt.
Nach 2200 v.Chr. ist die Kultur der Schnurkeramiker archäologisch nicht mehr nachweisbar. Nun dominieren Glockenbecher- und Aunjetitzer-Kultur in Mitteleuropa. Mit ihnen brach die Frühbronzezeit an. Doch nach dem aktuellen Forschungsstand haben die Schnurkeramiker eine markante Note im Erbgut der heutigen Europäer hinterlassen. Und damit ist ein großes Rätsel der europäischen Vorgeschichte endlich gelöst.
Im September 2014 stellte der Harvard-Genetiker David Reich eine der umfangreichsten genetischen Studien vor, die jemals unternommen wurden. Reich: „Vor unserer Arbeit hatten wir die Vorstellung, die Europäer seien genetisch aus zwei Gruppen zusammengesetzt” – nämlich aus den Jägern und Sammlern der Jüngeren Altsteinzeit, die vor 45 000 Jahren nach Europa kamen, und aus nahöstlichen Bauern, die vor 7500 Jahren Ackerbau und Viehzucht nach Mitteleuropa brachten. „Jetzt haben wir nachgewiesen, dass es drei waren”, sagt der Forscher.
Co-Autor Johannes Krause, Paläogenetiker an der Universität Tübingen und Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, formuliert die wissenschaftliche Fragestellung so: „Wenn man die Gene von ganz frühen Europäern, also von Jägern und Sammlern und von jungsteinzeitlichen Bauern, mit dem Erbgut der Europäer im 21. Jahrhundert vergleicht, erkennt man: Da muss noch mindestens eine weitere Komponente hinzugekommen sein.” Schon bei den Menschen der Glocken- becher-Kultur (2600 bis 2200 v.Chr.) ist diese neue Komponente vorhanden. „Die waren genetisch wie wir heute.” Die logische Schlussfolgerung: Etwa zwischen 3000 und 2200 v.Chr. muss der Einbruch der geheimnisvollen dritten Komponente stattgefunden haben – des „Geistervolks”, wie es die Forscher etwas ratlos nannten, weil es archäologisch zunächst nicht fassbar und bloß durch seine Gene sichtbar war. Als Ausgangsregion dieser Zuwanderer bot sich die Steppe nördlich des Schwarzen und des Kaspischen Meeres an.
Der nebulöse „Faktor X”
Einem konkreten Verdacht ging seit 2008 eine Forschergruppe um den Berliner Archäologen Wolfram Schier und den Mainzer Paläogenetiker Joachim Burger nach. Die Wissenschaftler vermuteten, dass hinter dem nebulösen „Faktor X”, wie Burger die dritte genetische Komponente nannte, das frühbronzezeitliche Hirtenvolk der Jamnaja-Kultur steckt (bild der wissenschaft 2/2011, „Invasion aus der Steppe”). Doch in ihren Daten konnten sie keine große Jamnaja-Welle nach Mitteleuropa dingfest machen, lediglich eine begrenzte Einwanderung ins untere Donautal.
Mehr Erfolg hatte nun die Materialschlacht von Krause und seinen Kollegen. Für Klarheit sorgten verfeinerte Analysemethoden und die Kern-DNA-Daten aus 94 prähistorischen europäischen Skeletten, verglichen mit 2345 Genomen heute lebender Menschen aus 192 Populationen: Die bislang rätselhafte genetische Komponente im Erbgut der Europäer entspringt tatsächlich einer massiven Einwanderung von Nomaden aus Nordosteuropa, die Mitte des 3. Jahrtausends v.Chr. tief in Mitteleuropa eindrangen. Aus Sicht von Johannes Krause und dem an der Universität von Adelaide forschenden Wolfgang Haak sind die Invasoren höchstwahrscheinlich mit den Schnurkeramikern identisch – mit Menschen wie den Männern aus den Familiengräbern von Eulau.
„Ancient North Eurasians”, kurz ANE, haben die Forscher die genetische Komponente getauft. Denn der älteste, genetisch am engsten verwandte Vorläufer ist ein wahrhaft alter Nordeurasier: der Junge von Mal’ta. Er wurde vor 24 000 Jahren nordwestlich des Baikal-Sees in Zentralsibirien bestattet, sein Skelett ist gut erhalten. 2014 hat eine Arbeitsgruppe um den dänischen Genetiker Eske Willerslev seine Kern-DNA komplett sequenziert. Ein weiterer Skelettfund in Afontova Gora am Jenissei, 17 000 Jahre alt, trägt ebenfalls das genetische ANE-Signal.
„Wissenschaftshistorisch ist das eine verrückte Sache”, kommentiert Johannes Krause. „Diese genetische Komponente ist nämlich zuerst in Indianern Nordamerikas aufgespürt worden, bereits vor etlichen Jahren”, fährt Krause fort. „Schon damals war eine gewisse Ähnlichkeit zu europäischen Gen-Sequenzen aufgefallen, aber man hatte sich noch keinen Reim darauf machen können.” Die ANE- Sibirier zwischen Baikal-See und Jenissei haben sowohl zum Erbgut der nordamerikanischen Indianer als auch zu dem der Europäer beigetragen. Vor knapp 5000 Jahren spülte die Schnurkeramiker-Welle die Sibirier-Gene flächendeckend ins Herz Europas.
Der „Faktor X”-Verdacht der Gruppe um Wolfram Schier und Joachim Burger hat den tatsächlichen Sachverhalt immerhin touchiert. Zwar hat es die vermutete umfangreiche Einwanderung von Jamnaja-Nomaden aus der südrussischen Steppe nicht gegeben – aber, so Johannes Krause, „die genetischen Analysen zeigen, dass die Schnurkeramiker ihnen sehr ähnlich waren”. Zu rund 75 Prozent sind die Schnurkeramiker mit den Jamnaja-Menschen identisch. Es handelte sich also um enge Nachbarn, vielleicht waren die Schnurkeramiker eine nordöstliche Untergruppe der Jamnaja-Kultur.
Die Nomaden holten sich einheimische Frauen
Expansionen von Nomadenvölkern werden häufig vor allem von Männern getragen. Sie holen sich die Frauen aus den Regionen, die sie durchwandern. So könnten die restlichen 25 Prozent im Genom der Schnurkeramiker zustande gekommen sein. Dafür spricht auch ein Ungleichgewicht in deren genetischer Feinstruktur. „In der mt-DNA ist die alteurasische Komponente weniger deutlich zu sehen als in der Zellkern-DNA”, erklärt Krause. „Im Y-Chromosom jedoch” – dem männlichen Geschlechtschromosom – „ist die ANE-Komponente sehr stark vorhanden.” Die mt-DNA ist eine nur von der Mutter auf die Tochter weitergegebene Erbinformation außerhalb des Zellkerns und berichtet von der genetischen Geschichte der weiblichen Linie einer Bevölkerung. „Es gab also eine stärkere Einwanderung von männlicher Schnurkeramiker-DNA als von weiblicher.”
Der Umbruch in den Y-Chromosomen der Mitteleuropäer, der sich ungefähr um 2500 v.Chr. vollzog, war gewaltig. Innerhalb weniger Jahrhunderte dominierten die Y-Haplotypen (genetische Linien) R1a und R1b, die Linien der Schnurkeramiker. „Von Nordindien über den Iran bis ins Rheinland findet man sie seit dieser Zeit fast überall”, betont Krause. „Entweder haben die Einwanderer die anderen Männer verdrängt, oder auf ihrem Y-Chromosom war eine zusätzliche Komponente, die ihnen höhere Fruchtbarkeit beschert hat.”
Seitdem hat sich die dritte genetische Komponente im europäischen Erbgut fest etabliert. Im europaweiten Durchschnitt machen die ANE-Gene rund zehn Prozent des Gesamtgenoms aus. Doch die regionalen Unterschiede sind erheblich: Bei Russen, Balten und Polen findet sich ein ANE- Anteil von etwa 20 Prozent, der Höchstwert in Europa. In Sardinien ist es gerade mal ein Prozent – die Sarden sind praktisch lupenreine Nachkommen der jungsteinzeitlichen Bauern, die vor 7000 Jahren lebten.
Und anscheinend haben die Schnurkeramiker nicht nur ihre DNA in Europa verbreitet. Vor 4000 bis 5000 Jahren fand auf unserem Kontinent ein weiterer großräumiger Umschwung statt: die alteuropäischen Sprachen – heute noch inselhaft vertreten im Baskischen und in den Kartwelischen Sprachen des Kaukasus – wichen auf breiter Front den indoeuropäischen Idiomen. Kein zufälliges Zusammentreffen, meint Paläobiologe Wolfgang Haak.
„Mit solchen Gleichsetzungen sollte man vorsichtig sein”, mahnt Krause, „Gene und Sprache sind zweierlei. Es spricht allerdings nichts dagegen”, formuliert es der Genetiker so vorsichtig wie nur möglich, „dass die schnurkeramischen Einwanderer auch die Träger des Indoeuropäischen waren”. Zumindest trifft das auf die Nordgruppe zu, aus der sich im Lauf des folgenden Jahrtausends die slawischen, baltischen und germanischen Regionalsprachen gebildet haben.
„Immerhin kann man jetzt Hypothesen testen”, freut sich Johannes Krause, der ein sauber designtes Experiment jeder noch so kühnen Spekulation vorzieht. „Man kann sich anhand von Skelettfunden die Genome einstiger nicht-indoeuropäisch sprechender Völker in Europa anschauen, beispielsweise von Etruskern”, skizziert der Tübinger Genetiker mögliche Studien. „ Wenn sie keine ANE- Komponente haben sollten, würde das die Hypothese zu den indogermanisch sprechenden Schnurkeramikern sehr gut stützen!” •
von Thorwald Ewe
Einwanderer aus dem Osten
Etwa 50 Prozent des Erbguts der heutigen Mitteleuropäer stammen von jungsteinzeitlichen Bauern aus dem Nahen Osten. Altsteinzeitliche Jäger und Sammler steuerten rund 40 Prozent bei. Woher die restlichen 10 Prozent kamen, war lange ein Rätsel – bis Genetiker 2014 ihre Herkunft identifizierten. Sie gehen auf „ Ancient North Eurasians” zurück, eine anscheinend ursprünglich in Zentralasien beheimatete Population. Erst vor weniger als 5000 Jahren floss diese dritte genetische Komponente ins Erbgut der Mitteleuropäer ein: während einer Einwanderungswelle von Menschen der „Schnurkeramiker-Kultur”. Sie brachten wahrscheinlich auch die Nordgruppe der indoeuropäischen Sprachen mit.
LESEN
Wissenschaftliche Publikation über den Mann von Ust-Ischim: Qiaomei Fu et al. Genome Sequence of a 45 000 Year-old Modern Human Male from Siberia In: nature Vol. 514 (2014), S. 445–4 49
Gute, kritische Übersicht zum IUP: Steven L. Kuhn, Nicolas Zwyns Rethinking the Initial Upper Paleolithic In: Quaternary International (2014) via Internet: dx.doi.org/10.1016/j.quaint.2014.05.040
Wissenschaftliche Studie zu Tolbor, Mongolei: Nicolas Zwyns, John R. Stewart et al. The Open-air Site of Tolbor 16 (Northern Mongolia): Preliminary Results and Perspectives In: Quaternary International (2014) via Internet: dx.doi.org/10.1016/j.quaint.2014.05.043
LESEN
Rekonstruktion der Ereignisse in Eulau: Harald Meller, Arnold Muhl, Klaus Heckenhahn Tatort Eulau Theiss, Stuttgart 2010, € 22,95
Publikation zur Entdeckung der „Ancient North Eurasians”: Iosif Lazaridis, David Reich, Johannes Krause et al. Ancient Human Genomes Suggest Three Ancestral Populations for Present-day Europeans In: nature Vol. 513 (2014), S. 409–413. doi: 10.1038/nature13673
FERNSEHen
ZDF-Film „Tatort Eulau” aus der Reihe „Terra X”: www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1118362/Tatort-Eulau
Ohne Titel
THORWALD EWE, Ex-bdw-Redakteur für Anthropologie, war bis zu dieser Recherche überzeugter Europäer. Jetzt sattelt er auf „ Eurasier” um.
Kompakt
· Bisher galten die Europäer als Mixtur aus zwei genetischen Gruppen: altsteinzeitlichen Jäger-Sammlern und jungsteinzeitlichen Bauern aus dem Nahen Osten.
· Nun steht fest: Auch ein Volk aus der Baikal-See-Region in Zentralasien hat bei den Genen der Europäer mitgemischt.