Die Besatzung will beweisen, daß der Mensch bereits vor weit mehr als 60000 Jahren von Indonesien aus per Floß Australien erreichen konnte. Die Expedition gelingt. In nur 13 Tagen überquert das fünfköpfige Team die 2500 Meter tiefe Timor-See.
Bednariks Hypothese, die hinter diesem Abenteuer steht, ist indes ungleich gewagter als die Heyerdahls. Denn wo Heyerdahls Fahrten künstlerische Zeugnisse zugrundeliegen – beispielsweise Modelle von Papyrusbooten und Steinreliefs in ägyptischen Tempeln -, interessieren sich Bednarik und Hobman für Floßfahrten vor Hunderttausenden von Jahren. Und aus dieser Altsteinzeit fehlen bildliche Zeugnisse oder andere Hinweise auf den Bau hochseetüchtiger Fahrzeuge. Doch seit neuestem existiert immerhin eine Indizienkette, die durch datierbare Funde für sich spricht.
Neben anderen Spuren menschlichen Tuns, insbesondere Felsbilder, liefern menschliche Knochenfunde Hinweise auf die Besiedlung des isolierten fünften Kontinents. Der wichtigste Beleg ist ein 60000 Jahre altes Männerskelett, das am Lake Mungo im Südosten Australiens entdeckt wurde. Der Mungo-Mann aus der abgelegenen Weltregion “down under” wird damit zum ältesten Nachweis des Homo sapiens außerhalb von Afrika und Vorderasien. Kein Zweifel besteht jedoch auch daran, daß Australien stets durch größere Meeresstraßen vom indonesischen Archipel und erst recht von anderen Kontinenten isoliert war. Australiens einmalige Tierwelt – vom Schnabeltier bis zum Känguruh – macht dies zur Gewißheit. Also bleibt im Fall der Menschen allein die Möglichkeit einer frühen Seefahrt, während der es wenigstens einer Gruppe gelungen sein muß, die offene Timor-See mit Hilfe von Wasserfahrzeugen zu überqueren. Bednarik geht jedoch noch einen großen Schritt weiter. Seiner Ansicht nach, die neuerdings auch Kollegen wie Dr. Mike Morwood von der University of New England in Australien teilen, wurde diese Leistung nicht erst vom modernen Homo sapiens erbracht. Vielmehr dürfte bereits der Frühmensch Homo erectus zum Seefahrer getaugt haben. Sicher ist, daß Homo erectus seit etwa 1,5 Millionen Jahren spezifische Steinwerkzeuge – Faustkeile, Schaber, Äxte – anfertigte und den Gebrauch des Feuers beherrschte. Der erfolgreiche Jäger, ist – wie Funde auf Java belegen – schon vor rund 1,8 Millionen Jahren bis Südostasien vorgedrungen.
Anthropologen und Zoologen nahmen bislang an, daß ein Tiefseegraben, der auch zu Zeiten niedriger Meeresspiegel immer von Wasser bedeckt war, nicht nur die asiatische von der australischen Fauna schied. Auch die Wanderung des Homo erectus war hier zu Ende, hieß es bislang. Erst Homo sapiens soll in der Lage gewesen sein, seetüchtige Fahrzeuge zu konstruieren und die rund 35 Kilometer breite Wasserstraße nach Lombok zu überwinden. Im März 1998 berichtete Mike Morwood im renommierten britischen Fachblatt “Nature” über Neudatierungen, nach denen Steinwerkzeuge, die auf der indonesischen Insel Flores gefunden wurden, rund 800 000 Jahre alt sind. Demnach hatte bereits der Frühmensch Homo erectus Flores erreicht – denn Homo sapiens existierte vor 800 000 Jahren noch nicht. Und: Die Einwanderung der Frühmenschen kann nur über das offene Meer stattgefunden haben. Um von der nächstgelegenen Insel Sumbawa aus nach Flores zu kommen, mußten mindestens 19 Kilometer hohe See überwunden werden – Schwimmen scheidet aus. Also müssen bereits die Vorläufer des Homo sapiens über seetüchtige Fahrzeuge verfügt haben. Jetzt ist nicht einmal mehr auszuschließen, daß Homo erectus bis Australien kam.
Doch egal, ob der fünfte Kontinent erst später kolonisiert wurde, und egal, ob der Frühmensch dabei Bambusflöße nach Art der Nale Tasih baute: Die entscheidend neue Erkenntnis ist, daß bereits Homo erectus – und nicht erst der spätere Homo sapiens – offenbar über erhebliche technische und kulturelle Fertigkeiten verfügte. Die Erectus-Menschen, davon sind Forscher wie Robert Bednarik überzeugt, müssen für ihren Floßbau planerische und technische Fertigkeiten besessen und über eine komplexe Kommunikation, wahrscheinlich in Form einer Lautsprache, verfügt haben. All dies spricht für eine geistige Kapazität weit über dem Niveau, das Homo erectus bislang zugestanden wurde – und macht ihn zum archaischen Kolonisten der ersten Stunde.
Man wird jedoch immer nur spekulieren können, was den Frühmenschen zu solchen Fahrten ins Ungewisse motivierte. Waren es gewaltsame Auseinandersetzungen? War es Nahrungsmangel, weil die gewieften Jäger das Großwild rasch ausrotteten?
Und noch etwas: Die hohen Vulkane der Sunda-Inseln dürften für die ersten Kolonisten stets als Wegmarken zur See erkennbar gewesen sein. Doch das ferne Australien war zweifellos hinter dem Horizont verborgen. Wie die Pioniere diese Terra Incognita dennoch fanden, bleibt weiterhin ein Rätsel.