Ein Fund in Ägypten hat den Expertenstreit kürzlich wieder aufflammen lassen. In der Wüste hatte ein ägyptisch-amerikanisches Team Zähne und Kieferknochen von Halbaffen ausgegraben. Die Fossilien stammten von einer ursprünglichen Art der Faulaffen und von einem Buschbaby, auch Galago genannt. Das Spektakuläre an den Knochen ist ihr Alter: Die nur wenige Hundert Gramm schweren Tierchen mussten vor rund 40 Millionen Jahren gelebt haben. Die bislang ältesten bekannten Fossilien von Halbaffen waren dagegen weniger als 20 Millionen Jahre alt.
Die Forscher um Erik Seiffert von der Duke-Universität in Durham sehen ihren Stammbaum durch den Fund bestätigt. Demnach lebte der Urprimat vor etwas mehr als 70 Millionen Jahren. Nach dem Aussterben der Dinosaurier spaltete sich die Ordnung in Affen, zu denen auch die Menschenaffen gehören, und Halbaffen auf. Aus letzteren entwickelten sich die Lemuren, und vor gut 40 Millionen Jahren entstanden aus der Linie der Halbaffen auch die Faulaffen und Buschbabys.
Demgegenüber hält der Evolutionsforscher Robert Martin vom Field-Museum in Chicago die Ordnung der Primaten für bedeutend älter. Vor einem Jahr präsentierte der Forscher ein statistisches Modell, um aus den bisherigen Fossilienfunden den evolutionären Ablauf zu berechnen. Der Clou dabei: Der Ansatz berücksichtigt erstmals, dass Forscher die meisten Primatenarten, die je gelebt hatten, gar nie entdecken. Nach dem Modell kennen Paläontologen gar nur 7 Prozent aller Primaten. Bezieht nun Martin die neuen Funde in Ägypten mit ein, so kommt er auf ein Alter des ersten Primaten von 90 Millionen Jahren. Diesen Zeitpunkt würden auch Rechnungen anhand genetischer Daten ergeben, sagt Martin.
Genauso uneins wie mit der Datierung sind sich die Forscher über den Ort des ersten Primaten. Heutige Faulaffen leben in Asien, Buschbabys dagegen in Afrika. Dazwischen, isoliert auf Madagaskar, hausen die Lemuren, eine weitere wichtige Gruppe der Halbaffen. Deren isoliertes Vorkommen bereitet Evolutionsforschern Kopfzerbrechen. Nach der Theorie, der die Forscher um Seiffert anhängen, entwickelten sich die Primaten in Afrika aus der Ordnung der Insektivoren, zu denen heute Igel und Spitzmäuse gehören. Irgendwann vor 50 bis 60 Millionen Jahren schließlich trieb eine Gruppe von Halbaffen auf das Meer hinaus und landete auf Madagaskar: die Ureltern der Lemuren.
Laut Martin lebte der erste Primat dagegen auf dem indischen-madagassischen Urkontinent, der bis vor rund 90 Millionen Jahren Bestand hatte. Indien löste sich dann jedoch von Madagaskar und trieb im Eiltempo von 15 Zentimetern pro Jahr auf Asien zu. Nach dem Zusammenprall der Landmassen besiedelten die Primaten Asien und wanderten über Ägypten nach Afrika. Für die Theorie sprechen genetische Daten und ein Fund, den ein internationales Forscherteam vor eineinhalb Jahren präsentierte. Die Paläontologen hatten die ersten Fossilien von Lemuren außerhalb Madagaskars ausgegraben in Pakistan.
Wie die Primaten auch immer nach Afrika kamen, die anpassungsfähigen Tiere besiedelten seit ihrer Entstehung die tropischen Regionen der ganzen Erde. Die wohl wandlungsfähigste der 200 Primatenarten aber, der Mensch, entwickelte sich vor rund sechs Millionen Jahren in Afrika und setzte sich in Grönland genauso fest wie in den Steppen Russlands. Vielleicht schafft sie dank ihrer hochentwickelten Primateneigenschaften gar den Sprung auf einen anderen Himmelskörper.