Wo und wann sich unser Vorfahre Homo erectus entwickelte, ist bislang strittig. Denn obwohl Ostafrika als wahrscheinlichste “Wiege” dieser Spezies gilt, stammte der älteste Schädel eines Homo erectus bislang aus Georgien. Doch nun haben Forscher in einer Höhle in Südafrika die Fragmente eines weiteren, noch älteren Homo-erectus-Schädels entdeckt. Mit 2,04 Millionen Jahren ist dieser Schädel der mit Abstand älteste Beleg für diese Frühmenschenart weltweit. Sein Alter und die Tatsache, dass er gemeinsam mit einem fast gleichalten Schädel der Vormenschenart Paranthropus robustus gefunden wurde, geben neue Einblicke in eine entscheidende Periode der menschlichen Evolutionsgeschichte.
Die Entwicklung des Homo erectus gilt als bahnbrechend, denn dieser Frühmensch war der erste unserer Vorfahren, der sich von Afrika aus über weite Teile Europas und Asiens verbreitete. Schon vor rund 1,6 Millionen Jahren hinterließ er seine Spuren unter anderem auf der indonesischen Insel Java. Zudem deuten Fossilfunde darauf hin, dass der Homo erectus uns im Körperbau bereits relativ ähnlich war, ein vergleichsweise großes Gehirn besaß und so ging wie wir. Zudem war er wahrscheinlich der erste Frühmensch, der lernte, das Feuer zu nutzen und Faustkeile herzustellen. Doch wo und wann der erste Vertreter dieser so erfolgreichen Spezies entstand, ist bislang unklar. So haben Forscher zwar einige der ältesten Werkzeuge, Fußabdrücke und Fossilien des Homo erectus in Ostafrika gefunden, darunter einen 1,63 Millionen Jahre alten Schädel in Kenia. Doch die mit 1,8 Millionen Jahren ältesten bekannten Relikte dieser Art stammten bisher aus Dmanisi in Georgien – was Anthropologen in Erklärungsnöte brachte.
Ein zwei Millionen Jahre alter Schädel
Jetzt aber bringt ein neuer Fund aus Südafrika etwas mehr Klarheit in die verworrene Frühgeschichte des Homo erectus. Entdeckt haben ihn Andy Herries von der La Trobe University in Australien und seine Kollegen in einer eingestürzten Karsthöhle nordwestlich von Johannesburg. Die Drimolen-Höhle ist schon länger eine bekannte Fossilfundstätte, in der seit 1992 schon mehr als 150 Homininen-Relikte, einige Knochen- und Steinwerkzeuge sowie Tierknochen gefunden worden sind. Vor einigen Jahren dann stieß ein Ausgrabungsteam auf neue Fragmente: “Wir konnten sehen, dass es sich um Teile eines Schädels handelte”, berichtet Co-Autorin Stephanie Baker von der University of Johannesburg. “Aber was genau es war, ließ sich nicht unmittelbar erkennen.” Die Fragmente des DNH 134 getauften Schädels wurden daher ins Labor gebracht und im Laufe der letzten Jahre gründlich analysiert. Zudem setzten die Forscher mehrere voneinander unabhängige Methoden ein, darunter Uran-Blei-Datierung, eine paläomagnetische Datierungen, Elektronenspinresonanz und die Datierung von Tierknochen aus der gleichen Fundschicht, um das Alter des Schädels zu bestimmen.
Jetzt liegen die Ergebnisse vor. Demnach handelt es sich bei dem Schädel DNH 134 um einen Vertreter des Homo erectus. Dafür spreche unter anderem das von oben gesehen tropfenförmige Aussehen des Schädels und das relativ große Hirnvolumen, so Herries und seine Kollegen. Eine Besonderheit ist dabei, dass dieses Fossil nicht von einem ausgewachsenen Vertreter dieser Art stammt, sondern von einem zwei bis drei Jahre alten Kind. Schon dies macht den Fund zu einer Seltenheit. Doch noch spannender ist das Alter dieses Schädels: “Wir wissen jetzt, dass die Drimolen-Fundstätte und die in ihr enthaltenen Fossilien zwischen 2,04 und 1,95 Millionen Jahre alt sind”, berichtet Baker. Das bedeutet: Der in der südafrikanischen Drimolen-Höhle gefundenen Homo erectus ist der älteste der Welt. “Der Schädel DNH 134 ist mindestens 100.000 bis 150.000 Jahre älter als die Homo-erectus-Exemplare aus Dmanisi und mehr als 300.000 Jahre älter als der KNM-ER3733-Schädel aus Kenia”, konstatieren Herries und sein Team. Das belege, dass dieser Frühmensch früher existierte als bislang gedacht.
Drei Homininen zur gleichen Zeit am gleichen Ort
Und nicht nur das: Dieser älteste Homo erectus wirft nun auch neue Fragen über den Ursprungsort dieser Spezies und ihre frühe Verbreitung auf. “Bis zu diesem Fund sind wir immer davon ausgegangen, dass Homo erectus in Ostafrika entstanden ist”, erklärt Baker. Doch der Dmanisi-Schädel führte dazu, dass einige Forscher auch über einen eurasischen Ursprung dieser Spezies spekuliert haben. Nach Ansicht von Herries und seiner Kollegen belegt ihr neuer Fund nun, dass Homo erectus höchstwahrscheinlich sehr wohl in Afrika entstanden ist. “Dennoch sagen wir damit nicht, dass diese Art sich notwendigerweise in Südafrika entwickelt haben muss”, betonen sie. DNH 134 belege aber, dass sich der Homo erectus schon bald nach seiner Entstehung schon mehr als 8000 Kilometer weit verbreitete.
Der Fund und das Alter des Homo-erectus-Schädels belegen zudem, dass dieser Menschenvorfahre damals nicht der einzige Hominine in Südafrika war. Denn in der gleichen Fundschicht haben Herries und sein Team auch Schädelfragmente eines Paranthropus robustus entdeckt, eines Vormenschen, der als früher Seitenzweig der Menschheitsentwicklung gilt. Zudem wurden schon zuvor in der gleichen Region auch Überreste des Vormenschen Australopithecus gefunden. “Damit könne wir jetzt sagen, dass Homo erectus damals die Gegend mit zwei anderen Menschenformen teilte, mit Paranthropus und Australopithecus”, sagt Herries. Wie und ob diese Spezies sich damals direkt begegneten und wie sie sich in ihrer Lebensweise unterschieden, muss nun noch erforscht werden. “Aber ihre Präsenz weckt die Möglichkeit, dass diese frühen Menschenvorfahren Strategien entwickelt hatten, um den Lebensraum und seine Ressourcen so unter sich aufzuteilen”, sagt Co-Autor Gary Schwartz von der Arizona State University.
Quelle: Andy Herries (La Trobe University, Bundoora) et al., Science, doi: 10.1126/science.aaw7293