Wann begannen unsere Vorfahren, ihre Toten zu bestatten? Diese Frage ist vor allem für Afrika, die Wiege des Homo sapiens, bislang schwer zu beantworten. Jetzt liefert die Entdeckung des ältesten Grabes in Afrika einen neuen zeitlichen Eckpunkt. In einer Höhle an der kenianischen Küste haben Forschende die Überreste eines zweieinhalb- bis dreijährigen Kindes entdeckt, das vor rund 78.000 Jahren bestattet wurde. Seine Haltung und die Beschaffenheit der Grube legen nahe, dass das Kind dabei fest von einem Leichentuch umhüllt war und auf einer Art Kissen lag. Damit handelt es sich um den frühesten Beleg einer Bestattung in Afrika, von Neandertalern in Europa sind allerdings noch ältere Begräbnisse bekannt.
Die Bestattung von Toten und die damit verknüpften Rituale und Traditionen sind ein wichtiger Teil unserer menschlichen Kultur. Funde in Höhlen vor allem im Nahen Osten legen nahe, dass die Neandertaler schon vor rund 120.000 Jahren ihre Toten begruben. Auch die ersten Vertreter des Homo sapiens in Eurasien bestatteten ihre Verstorbenen. Doch ausgerechnet in Afrika, dem Heimatkontinent unserer Spezies, sind frühe Bestattungen extrem rar und oft nicht eindeutig nachweisbar. Obwohl der Homo sapiens dort vor mehr als 300.000 Jahren entstand und die ersten modernen Verhaltensweisen und Fertigkeiten entwickelte, ist daher nicht klar, wann er begann, seine Toten zu bestatten. Mögliche Zeugnisse dafür sind die rund 74.000 Jahre alten Überreste eines Kindes in einer südafrikanischen Höhle sowie 69.000 Jahre alte Kinderknochen in einer Feuersteingrube in Ägypten. Ansonsten gibt es nur eine Handvoll von Funden, die auf eine mögliche Entbeinung von Toten oder andere nachträgliche Behandlungen hindeuten.
78.000 Jahre alte Knochen eines toten Kindes
Jetzt hat ein Forschungsteam um María Martinón-Torres vom Nationalen Forschungszentrum für menschliche Evolution (CENIEH) im spanischen Burgos in Ostafrika das bislang früheste eindeutige Beispiel für eine Bestattung in Afrika entdeckt. Fundort ist die Höhle Panga ya Saidi nahe der kenianischen Küste. In ihr haben Forscher bereits zahlreiche Spuren einer Besiedlung durch den Homo sapiens gefunden. “Als wir Panga ya Saidi zum ersten Mal besuchten, wussten wir sofort, dass diese Stätte etwas ganz Besonderes ist”, sagt Co-Autorin Nicole Boivin vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. „Wiederholte Ausgrabungen haben mittlerweile dazu beigetragen, sie als Schlüsselstätte für die ostafrikanische Küste zu etablieren, mit einer außergewöhnlichen, einen Zeitraum von 78.000 Jahren umfassenden archäologischen Aufzeichnung von frühen menschlichen kulturellen, technologischen und symbolischen Aktivitäten.”
Im Jahr 2013 stießen Wissenschaftler bei Ausgrabungen in der Höhle auf erste Hinweise menschlicher Knochen, 2017 legten sie dann etwa drei Meter unter dem heutigen Höhlenboden eine kleine Grube frei, in denen weitere eng zusammengedrängte, stark zersetzte Knochen lagen. “Zu diesem Zeitpunkt waren wir nicht sicher, was wir gefunden hatten. Und die Knochen waren einfach zu empfindlich, um sie vor Ort zu untersuchen”, erklärt Co-Autor Emmanuel Ndiema von den Nationalmuseen von Kenia. Deshalb gipste das Team den gesamten Fund ein und transportierten ihn zur näheren Analyse ins Labor. “Wir begannen, Teile des Schädels und des Gesichts freizulegen, einschließlich des Unterkiefers mit einigen nicht durchgebrochenen Zähnen und der Verbindung zum Oberkiefer”, berichtet Martinón-Torres. Aus den anatomischen Merkmalen der Knochen schließen sie und ihr Team, dass es sich um die Überreste eines zweieinhalb- bis dreijährigen menschlichen Kindes handelt. Der Fund erhielt deshalb den Spitznamen “Mtoto” – Suaheli für Kind. Die Wissenschaftler datieren die Überreste auf ein Alter von 78.000 Jahren.
Sorgfältig umhüllt und bestattet
Nähere Untersuchungen der Fundschicht ergaben, dass das tote Kind in eine eigens dafür ausgehobene Grube gelegt und unmittelbar darauf wieder mit Erde bedeckt wurde. Die mikroskopische Analyse der Knochen und des sie umgebenden Erdreichs deuten zudem darauf hin, dass der Leichnam des Kindes erst in der Grube verweste. „Das alles deutet darauf hin, dass der Körper unversehrt bestattet wurde und die Verwesung direkt in der Grube stattfand, in der die Knochen gefunden wurden”, so Martinón-Torres. Da Mtotos Körper auf der rechten Seite liegend und mit zur Brust gezogenen Knien gefunden wurde, geht das Forschungsteam zudem davon aus, dass das Begräbnis sorgfältig vorbereitet und der Körper hierfür eng umhüllt wurde. “Noch bemerkenswerter ist, dass die Position des Kopfes in der Grube darauf hindeutet, dass er auf einer Unterlage gelegen haben könnte, zum Beispiel auf einem Kissen”, berichtet Martinón-Torres. Auch dies deute auf eine absichtliche und behutsame Bestattung hin.
“Der Fund von Panga ya Saidi repräsentiert damit den ältesten bekannten Beleg für ein absichtliches Begräbnis in Afrika”, konstatiert das Forschungsteam. “Es demonstriert eindeutig, dass der Homo sapiens schon vor 78.000 Jahren einen komplexen Umgang mit seinen Toten entwickelt hatte.” Gleichzeitig bestätigt die Bestattung von Mtoto, dass die Beerdigung der Toten eine kulturelle Praxis ist, die Homo sapiens und Neandertaler gemeinsam hatten. “Dieser Fund wirft daher nun Fragen nach dem Ursprung und der Entwicklung von Bestattungspraktiken zwischen zwei eng verwandten menschlichen Arten auf und danach, inwieweit sich die Verhaltensweisen und Emotionen voneinander unterschieden”, sagt Michael Petraglia vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.
Quelle: María Martinón-Torres (National Research Center on Human Evolution(CENIEH), Burgos) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03457-8