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Aus dem Dunkel ans Licht

Geschichte|Archäologie

Aus dem Dunkel ans Licht
Die Weltkatastrophe von 1200 v.Chr. riss Griechenland jahrhundertelang in ein dunkles Zeitalter. Immer mehr Grabungen erhellen jetzt die Zeit nach dem Kollaps.

Griechenland in Trümmern. Ganze Landstriche entvölkert. Mykene, Tiryns, Theben, Pylos – die steinernen Manifeste einstiger Königsmächte liegen in Schutt und Asche, ihre Herrscher sind verschwunden, vertrieben oder tot. Mit den Palästen endet eine ganze Kultur: Spezialisierte Handwerkszweige wie Malerei, Schnitzkunst und Metallbearbeitung verschwinden. Straßen und Brücken verfallen. Der Handel mit Zinn, Gold und Elfenbein kommt zum Erliegen – auch weil der komplexe, zentralistisch organisierte Beamtenapparat zusammenbricht. Das Wissen um Bürokratie und Schrift taucht ins Dunkel der Geschichte ab.

Chaos, Entvölkerung, Isolation. Ganz Griechenland fällt nach 1200 v.Chr. in einen kulturellen Dornröschenschlaf. Diese These hielt sich hartnäckig in der archäologischen Forschung. Doch geriet die Region nach dem Kollaps tatsächlich in eine Dauerkrise, in die sogenannten Dunklen Jahrhunderte? „Nein, so apokalyptisch, wie es bisweilen skizziert wird, dürfte es sich nicht abgespielt haben”, meint Sebastian Traunmüller, Archäologe an der Universität Heidelberg. „Inzwischen wissen wir sehr viel mehr über die Jahrhunderte nach dem Untergang der mykenischen Palastkultur”, fügt der Experte für das frühe Griechenland hinzu. Zahlreiche Grabungen der vergangenen Jahre haben Licht ins Dunkel gebracht.

Demnach verlief der Kollaps nicht überall gleich. Einige Regionen litten stärker als andere. Die Landschaft Messenien und ihr einstiger Palastort Pylos im Süden der Halbinsel Peloponnes etwa waren leer gefegt. In Mykene hingegen ging das Leben weiter – allerdings unter anderen Voraussetzungen. Das 12. Jahrhundert v.Chr. war keine friedliche Zeit. Dafür sprechen verschiedene Funde wie die Kriegervase von Mykene (siehe S. 60 oben). Das Weinbehältnis entstand bald nach dem Untergang der Paläste, vielleicht im Auftrag eines lokalen Fürsten. Dass sich nach dem Wegfall der Palastmachthaber Einzelne zu Anführern aufschwangen, lesen Forscher aus den Gräbern jener Epoche ab. In einigen Nekropolen ragen einzelne Grablegen durch besondere Beigaben heraus: wertvolle Gefäße, Schmuck – und Waffen.

„Das lässt vermuten, dass aus dem Kreis der ehemaligen mykenischen Militärelite eine Art Warlords hervorgegangen war, die Kriegerverbände zusammenstellten und mit ihnen über andere Regionen herfielen”, interpretiert Joseph Maran die Funde. Er lehrt in Heidelberg Ur- und Frühgeschichte und leitet seit 1994 die Grabungen des Deutschen Archäologischen Instituts in der Burg von Tiryns. Seine Untersuchungen ergaben, dass die Elite der Nachpalastzeit an den Glanz vergangener Zeiten anknüpfen wollte. „ Kurz nach der Zerstörung des Palastes wurde in den Ruinen des ehemaligen Thronbaus eine kleine, wohl für Versammlungen genutzte Halle gebaut – ein Hinweis darauf, dass man sich auf die Vergangenheit bezog und gemeinsam ihrer erinnerte”, erklärt Maran.

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Zudem entstanden im Umfeld der Burg neue Wohnquartiere. Bis etwa 1050 v.Chr. trotzte Tiryns den Folgen des Kollapses. Doch die Zeiten blieben unruhig. Tiryns ging erneut in Flammen auf. Auch anderswo in Griechenland brannten zu jener Zeit Siedlungen. „ Was da genau geschehen ist”, sagt Maran, „verstehen wir noch nicht.”

Sprachwissenschaftliche Analysen jedenfalls zeigen, dass die griechischen Bevölkerungsgruppen in Bewegung geraten waren, zum Teil nach Kleinasien und bis nach Zypern auswanderten. Das schließen Wissenschaftler aus der Verteilung der griechischen Dialekte im 1. Jahrtausend v.Chr. Vollkommen neu wurden die griechischen Regionen aber nicht besiedelt. Das belegen wiederum die Linear-B-Tontafeln aus den mykenischen Palästen von Theben, Pylos, Knossos, Mykene oder Tiryns aus der Zeit kurz vor dem Zusammenbruch. Als es dem englischen Sprachwissenschaftler Michael Ventris 1952 gelungen war, die bronzezeitliche Schrift zu entziffern, war klar: Sie ist eine Frühform des Griechischen. Die mykenische Vergangenheit blieb auch in Glaubensdingen wach. So tauchen in den Linear-B-Texten die Namen wohlbekannter Götter auf: Zeus, Hera, Poseidon, Hephaistos, Hermes, Athena.

Unterwegs zum griechischen Stadtstaat

Trotz solcher Verbindungen in die mykenische Vergangenheit: Die Krise der Spätbronzezeit hatte die Gesellschaft Griechenlands für immer verändert. Aber sie schuf auch die Basis für wichtige Entwicklungen im 9. und 8. Jahrhundert v.Chr., den Beginn der griechischen Stadtkultur. „Der Einschnitt um 1200 v.Chr. war gravierend – die Paläste verschwanden und die Siedlungsstruktur dezentralisierte sich”, betont Sebastian Traunmüller. „Doch aus vielen Orten, die in der Früheisenzeit besiedelt werden, erwuchsen später bedeutende Stadtstaaten wie Athen, Korinth oder Sparta.”

Die neuen Herren Griechenlands waren lokale Fürsten und Häuptlinge. Ihren Rang verteidigten sie durch kriegerische Stärke und reichen Besitz, vor allem von Pferden und Rinderherden. Das deuten zum Beispiel die Funde in frühen Heiligtümern an: Olympia etwa, später Austragungsort der weltberühmten Sportspiele, begann um 1050 v.Chr. als Heiligtum für eine wohlhabende Aristokratie, die dort Bronzefigürchen von Stieren, Pferden und Wagengespannen hinterließ – quasi als Bittgeschenke an Zeus, damit er ihre Herden beschütze.

Und die Fürsten der „Dunklen Jahrhunderte” führten fort, was ihre mykenischen Vorfahren in großem Stil gepflegt hatten – wenn auch auf kleinerer Flamme: Sie trieben Handel mit Zypern, Italien und der Levante, knüpften neue Kontakte mit der Außenwelt. „Die Struktur des Handelsnetzes blieb ja gleich, nur die Akteure und das Ausmaß änderten sich”, erklärt Joseph Maran. „Zudem wissen wir aus den Linear-B-Texten, dass sich in den Palästen Menschen aus Zypern und der östlichen Ägäis aufgehalten hatten. Die werden nach dem Kollaps nicht alle verschwunden sein.”

Wie rasch die frühen Fürsten wieder erstarkt waren, wurde den Archäologen erstmals 1980 gewahr. Britische Forscher waren damals nahe dem Dorf Lefkandi auf der Insel Euböa auf die Überreste eines monumentalen Gebäudes gestoßen – einer fast 50 Meter langen Halle aus der Zeit um 950 v.Chr. Das Haus war unter einem großen Erdhügel verborgen. Den Grund dafür fanden die Archäologen im Inneren des Lehmziegelbaus: Neben einem Grab mit vier Pferden lagen das Skelett einer Frau und ein bronzener Kessel mit der Asche eines Mannes, zusammen mit Goldschmuck und Waffen. Die Forscher sind sich einig: Die Toten waren einst ein bedeutendes Fürstenpaar, das in seinem Herrscherhaus prächtig bestattet wurde. Die Ascheurne etwa stammte aus Zypern und war zur Zeit des Begräbnisses bereits eine 200 Jahre alte Antiquität.

Die Bewohner jener Gegend ließen sich in der Folgezeit um das Gebäude und seinen Grabhügel herum beerdigen. In ihren Gräbern fanden sich Schmuckstücke, Ton- und Bronzegefäße, die aus dem Vorderen Orient und Ägypten stammen. Die Menschen legten hier den Grundstein für den regen Handelsverkehr und die Kolonisierung des Mittelmeerraums durch die Griechen anderthalb Jahrhunderte später. Der Untergang der Paläste hatte den Weg frei gemacht für die griechische Kultur der Antike. •

von Karin Schlott

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